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Ausgabe: | 1931 Nr. 1 |
Spalte: | 22-23 |
Autor/Hrsg.: | Rhyn, M. v. |
Titel/Untertitel: | Aart Jan Theodorus Jonker 1931 |
Rezensent: | Windisch, Hans |
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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 1.
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B. aus dem handschriftlichen Nachlaß R.s zum erstenmal
gedruckt. Der Titel der ersten (4. Okt. 1821): „Über
Helden und Heldenverehrung" ist vom Herausgeber
mit gewollter Beziehung auf Carlyle gewählt. Über den
Geschmack kann man streiten, aber sachlich ist die j
Wahl dieses Titels gerechtfertigt. In poetisch erzählender
Form zeigt hier R., wie sich der Mensch durch i
Entsagung und stetes Hochstreben über ein bloßes
Naturleben erheben kann und soll zu Mannhaftigkeit,
Heldentum, Gotteskindschaft. Von dieser Rede, die nach
Thema und Durchführung spekulativ ist, während die
Geschichte nur zur Erläuterung der Idee herangezogen
wird, unterscheidet sich die zweite (7. Okt. 1827) erheblich
. In „Über die Wechselwirkung . . ." will R.
nicht eine große Idee begeistert darstellen, sondern I
auf dem Boden einer gegebenen Wirklichkeit sachlich j
orientieren: „Meine Absicht ist, die Lage eines Gym- J
nasiums wie sie ist, unverhüllt vorzustellen". Nachdem
er sich durch Erinnerung an die Umwandlung des gelehrten
Unterrichtswesens seit dem Mittelalter den Weg j
gebahnt hat, zeigt er den gegenwärtigen Zwiespalt
zwischen den Intentionen des Staates und denen des
Publikums hinsichtlich der höheren Bildungsanstalten
in Deutschland. Den tieferen Grund für diesen Zwiespalt
findet er in der Kluft zwischen Wissenschaft und
Leben. Und hierdurch wieder sieht er den gesamten
gelehrten Unterricht bedroht. Dieser Gefahr zu begegnen
, appelliert R. an das Publikum, Verständnis
dafür zu gewinnen, daß der Staat mit seinem Streben
auf Gewährleistung umfassender menschlicher Bildung
ein großes Erbe der Nation zu wahren hat; zeichnet
er den Lehrer, wie er sein muß: gründlich, aber ohne i
Pedanterie; endlich den guten Schüler, der nicht um des
Examens, sondern um ihrer selbst willen sich den Studien
hingibt. Diese zweite Rede läßt bereits die künftige
Meisterschaft R.s ahnen, die Wirklichkeit im Zusammenspiel
ihrer Kräfte zu erfassen und mit der Kraft des
Gedankens zu durchleuchten. Doch wird nicht bloß der
Rankeverehrer, sondern jeder, der sich für deutschen |
Unterricht und deutsche Bildung mitverantwortlich
fühlt, an dieser reizvollen Darbietung seine Freude haben
. — Einführung und Nachwort des Herausgebers
wollen dem Verständnis der beiden Reden im Gesamtzusammenhang
von Rankes Werdegang dienen, ohne
aber ausreichend deutlich zu sein. Bis das gesamte
handschriftliche Material, aus dem diese beiden Stücke
eine vorläufige Sonderveröffentlichung sind, gedruckt
vorliegt —was hoffentlich nicht allzu lange dauert —
wird der nicht mit diesem Material Vertraute sich in
seiner Vorstellung von der Entwicklung des jungen
Ranke die größte Zurückhaltung auferlegen müssen.
Tübingen. E. Stracke.
Jahrbuch für Liturgiewissenschaften in Verbindung mit A. Baumstark
u. A. L. Mayer hrsg. D. Dr. O. Casel OSB. 8. Bd. Münster
i. W.: Aschendorff 1929. (III, 447 S.) 4°.
Der diesem trefflichen Jahrbuch regelmäßig beigegebene
Literaturbericht (diesmal über Erscheinungen
aus 1927/28) umfaßt 439 Nummern. Es handelt sich
ganz überwiegend um Arbeiten von Katholiken; doch
ist auch Protestantisches besprochen (sehr freundlich
Schorlemmers Kollektengebete). Natürlich ist der Rahmen
des Liturgischen dabei sehr weit gespannt; Kunst,
Kultbauten, Kultgegenstände sind einbezogen. Von den
Miszellen, die einen ziemlich breiten Raum einnehmen,
sei eine Studie zum Worte sacramentum erwähnt (Odo
Casel): die Antike hat die Bedeutung s. = /.tvocr.giov
gut vorbereitet; den Christen empfahl sich das Wort
durch seinen heiligen Klang und durch seine Verwen- |
dung auch außerhalb des heidnisch-kultischen Lebens.
Bei ihnen finden wir den ersten unterschiedslosen und
wie selbstverständlichen Gebrauch von s. für tivovqQiov.
Derselbe O. Casel steuerte einen 80 S. langen systematischen
Aufsatz über Mysteriengegenwart bei. Er
verteidigt die These, nach der die christliche Liturgie
der rituelle Vollzug des Erlösungswerkes Christi in der
Ekklesia und durch sie ist, also die Gegenwart göttlicher
Heilstat unter dem Schleier der Symbole, gegen
J. B. Umberg S. J. mit Gründen der Schrift und der
Tradition. Bei dieser innerkatholischen recht scharfen
Auseinandersetzung, in der, soweit die spätere Tradition
in Frage kommt, zweifellos das Recht auf Casels Seite
ist, ist interessant, daß C. die Haltung Umbergs auf die
Denkweise des modernen Subjektivismus zurückführt,
der möglichst wenig durch objektive Tatsachen eingeengt
werden will. Und Umberg ist Jesuit! — Eine
Vierzahl von geschichtlichen Aufsätzen bildet einen
besonders wesentlichen Teil des Jahrbuchs. Die 75 S.
lange Untersuchung von Heinrich Linssen hat die
Formelgruppe 6i-.og ffiutng zum Thema und bespricht
deren Entwicklung wie Verbreitung. L. geht sehr methodisch
vor: er geht dem Begriff aiutrig in dem ältesten
christlichen Schrifttum außerhalb des N. T.s nach
und gibt einen Überblick über den Gebrauch von ff.
bei den Kirchenvätern; die eigentliche Untersuchung
aber gilt dem Begriff ff. in der Liturgie. Hier achtet
er auf jede Erscheinungsform des Begriffs: ff. allein,
a. tjfitov, ff. mit anderen Possessiv-Pronominibus, a. rjficjv
mit dem Attribut der Person, mit Genetiv-Attribut, mit
Adjektiv-Attribut. Ein zweiter Teil ist der Verbreitung
der Formeln gewidmet; hier kommt die Liturgiegeographie
zu ihrem Recht; daran knüpft sich (die gedankliche
Ordnung ist hier anfechtbar) die Frage nach der Entstehung
der Formeln (N.T., A. T., Bibelzitate in der
Liturgie, Kultformeln der hellenistischen Umwelt. Eine
sehr genaue, sehr gründliche Arbeit, die übrigens keineswegs
nur liturgiegeschichtlichen Wert hat. In den anderen
drei geschichtlichen Aufsätzen behandelt Thomas
Michels die Akklamation in der Taufliturgie (festliche
Akklamation des Neugetauften, der als solcher
dem Volk dargestellt wird; sie findet sich in östlichen
Liturgieen, das lateinische Abendland gab ihr keinen
Raum); Germain Morin bricht eine Lanze für die
Authentizität der Schriften De sacramentis und Expla-
natio Symboli als von Ambrosius verfaßt; endlich geht
P. Browe der Ausbreitung des Fronleichnamfestes nach;
an dieser Stelle hat wieder die Liturgiegeographie ihr
Feld. Erwähnt sei nur, daß nach B. das Fest bis 1264
mit Sicherheit nur in der Martinskirche in Lüttich bezeugt
ist; wahrscheinlich war es aber auch schon in
anderen Kirchen des Bistums angenommen.
Breslau. M. S c h i a n.
R h y n , Prof. Dr. M. v.: Aart Jan Theodorus Jonker. Amsterdam:
H. J. Paris 1929. S. 186 p. gr. 8°.
Dies Buch hat ein halbes Jahr auf meinem Schreibtisch
gelegen, ohne daß ich hineinsah. Ich hatte während
meines langjährigen Aufenthalts in Holland kaum
je etwas von diesem Professor Jonker gehört, und das
freundliche Bauerngesicht auf dem Titel konnte mich
nicht zur Lektüre des Buches verlocken. Kurz vor den
Sommerferien habe ich es endlich einmal in die Hand
genommen, und sofort packte mich der Inhalt, so daß
ich es in den freien Stunden zweier Tage vom Anfang
bis zum Ende durchlas.
Jonker war vier Jahre (1905—1909) Professor
(für praktische Theologie) in Groningen, vorher weithin
verehrter Prediger in verschiedenen Dorf- und Stadtgemeinden
. Als er in Rotterdam stand, ward ihm seine
Frau genommen, in Groningen sein einziger Sohn. Dieser
zweite Verlust war der Anlaß, daß er seine Entlassung
nahm. Er hat darnach noch 20 Jahre irgendwo
auf der Veluwschen Heide gewohnt (f 1928).
Ein seltsamer Fall: ein Professor, der mit 58
Jahren in den Ruhestand tritt, weil er seinen Sohn verloren
hat. Was, wer steckt dahinter? Niemand anders
als — Kierkegaard, besser die Kierkegaard-natur
Jonker's. J. lebte in der Überzeugung, daß ein Christ
das Leiden, das Gott ihm schickt, in seiner ganzen
Bitterkeit durchkosten muß; der Trost kommt nur,