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Ausgabe:

1931 Nr. 17

Spalte:

395-397

Titel/Untertitel:

Archiv für Religionspsychologie und Seelenführung; 4. Bd. 1931

Rezensent:

Wobbermin, Georg

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 17.

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mählich über in solche eines unfarbigen, abstrakten Sachverhaltswissens
.

4. Elsa Köhler, Kindersprache und Begriffsbildung
. Die Verfasserin verfolgt die allmähliche
Vertiefung des Problems. W. Preyer, der das

mich, der jetzigen Darlegung Stählins ohne Vorbehalt
zustimmen zu können, und zwar in der doppelten Richtung
, die ihm am Herzen liegt. Er lehnt jetzt selbst alle
psychologistischen Verschiebungen, die der früheren
Mentalität nur gar zu nahe gelegen hätten, grundsätzlich

Problem der Begriffsbildung beim Kinde zuerst erkennt ; ab. Er betont aber nach der anderen Seite hin auch sehr

und benennt, setzt den Begriff in einem zu frühen Sta- j mit Recht, daß heute zum Teil die entgegengesetzte Ge-

dium des Kindes an. W. Ament untersucht die Ent- fahr drohe, daß man nämlich die Wirklichkeit des reli-

stehung des Begriffs aus primitiveren Bewußtseinszu- i giösen Lebens und die seelische Wirklichkeit überhaupt

ständen. E. F. W. Meumann fragt im Anschluß an | nicht beachtet.

Wundt nach den Motiven der ersten Worte und findet Der neue Herausgeber ergänzt dieses Vorwort durch

sie im Begehren. Die Frage nach dem Zusammenwirken j eine Einführung in „die empirische Religionsforschung

von Vorstellung, Gefühl und Willen beim Entstehen der
ersten Wortbedeutungen blieb seitdem ein Leitmotiv der
Forschung. — Die neue Denkpsychologie ermöglichte es
W. Stern, Sprach- und Denkentwicklung getrennt zu

der Gegenwart". Soweit sich auch diese Einführung auf
der von Stählin eingeschlagenen Linie hält, stimme ich
daher wiederum grundsätzlich zu. Ganz so eindeutig wie
bei Stählin ist freilich bei Gruehn der Sachverhalt nicht.

untersuchen. K. Bühler zeigte, wie Wahrnehmung und | Es muß ernstlich gefragt werden, ob er nicht die Girgen-
Sprachverständnis bei der Begriffsbildung zusammen- j sohnsche Arbeitsweise, deren Verdienstlichkeit nicht verwirken
. — J. Piaget zog psychoanalytische Kategorien j kannt werden soll, doch stark überschätzt,
heran. Dabei wirkt in eigenartiger Problemverschlingung

5. Charlotte Bühler und Hildegard j noch ein anderer Umstand mit ein, nämlich die einseitige
Hetzer, Zur Geschichte der Kinderpsycho- i und daher irreführende Terminologie G.'s. Es ist gewiß
logie. Die Arbeit will in ihrem (mit chronologischen I berechtigt, die empirische, eventuell auch die empirisch-
Tabellen der Autoren, sowie der Zeitschrifts- und Insti- ; experimentelle Religionspsychologie als besonderes
tutsgründungen ausgestatteten) Überblick zugleich die Forschungsgebiet abzusondern. Aber es ist weder
wirksamen Tendenzen herausarbeiten. Nach einem ersten i historisch, noch sachlich berechtigt, den Begriff „reli-

Aufschwung (Comenius, Locke, Rousseau, Pestalozzi,
Jean Paul) führte Kants Moralismus und Herbarts konstruktive
Psychologie zu einem Rückschlag. Erst mit
Preyer (1882) beginnt empirische Forschung auf breiter
Grundlage, geführt von naturwissenschaftlich geschultem
Tatsachensinn, vorläufig gipfelnd in K. Bühlers Werk

gionspsychologisch" überhaupt auf jenes Gebiet zu beschränken
. Denn in der theologischen Systematik wird
dieser Begriff sachgemäß zur Bezeichnung derjenigen
methodischen Einstellung verwendet, die das Korrelatverhältnis
von fides quae creditur und fides qua creditur
zum Ansatz ihrer Problemstellung und Problembehand-

„Die geistige Entwicklung des Kindes", vierte Auflage i Iung macht. Das führt keineswegs, wie G. meint, zu

1924. Die Fehler dieser Periode (Überschätzung des I einem halb metaphysischen Begriff der Religionspsycho-

Kausal-Mechanischen und Zufällig-Einzelnen, einseitige I logie. Ich darf und muß mich hier darauf beschränken,

Bevorzugung der intellektuellen Seite des Seelischen, ' zur Begründung dieses Urteils auf meinen Abriß der Me-

vorübergehend auch Problemverengung, durch zu nahen j thoden der religionspsychologischen Arbeit in Heft 22

Anschluß an die pädagogische Praxis) sucht die neueste des großen Abderhaldenschen Sammelwerkes über biolo-

Forschung zu überwinden. gische Arbeitsmethoden zu verweisen (Berlin, Urban und

6. Josef Krug, Zur Sprachtheorie. Die ; Schwarzenberg). Vielmehr ermöglicht gerade diese Posi-

Untersuchung konfrontiert die Sprachtheorien von A. : tion, daß auch in der theologischen Systematik die For-

Meinong und K. Bühler. Meinong unterscheidet an schungen der empirischen Religionspsychologie unbe-

sprachlichen Gebilden Ausdruck und Bedeutung. Er ana- i fangen beachtet und verwertet werden. Tatsächlich be-

lysiert die „statische" Struktur außerhalb des Lebenszu- ! steht ja auch zwischen den beiden Hauptformen religi-

sammenhangs. Bühler untersucht die Sprache „dyna- j onspsychologischer Arbeit bei aller Verschiedenartigkeit

misch-biologisch" nach ihrer Leistung im Leben und fin- i ihrer Prinzipien doch an einem Punkt eine bedeutsame

det eine dreifache Funktion: Kundgabe, Verständnisaus- , Analogie und Berührung. Das ist die Intention auf die

lösung, Darstellung. Krug zeigt, indem er die beiderseitigen
Begriffe und Tendenzen scharf herausarbeitet,
wie beide Auffassungen sich ergänzen.
Berlin. A. v. Sybel.

Archiv für Religionspsychologie und Seelenfflhrung, hrsg. von
Werner Gruehn. 4. Bd. Leipzig: E. Pfeiffer 1929. (VIII, 410 S.

m 2 Taf) gr. 8° rm 18-; geb. 20—. ! nannt: Carl Schneider, Studien zur Mannigfaltigkeit des

Berücksichtigung der psychologischen Struktur
des religiösen Bewußtseins und auf das Durchstoßen
von den peripherischen Ausdrucksformen in die
Tiefenschicht des religiösen Glaubens.

Dem Herausgeber gehört noch eine Abhandlung
„Seelsorgerliche Analysen" an. Außerdem seien ge-

Kurz vor dem Ausbruch des Weltkrieges hatte
Wilh. Stählin (damals Pfarrer in Nürnberg, jetzt Professor
der praktischen Theologie in Münster) das „Ar-

religiösen Erlebens; ein Beitrag zur Psychologie der individuellen
Differenzen auf experimenteller Grundlage. E.
Nobiling: Der Gottesgedanke bei Kindern und Jugend-

chiv für Religionspsychologie" begründet. Der erste liehen; ein Beitrag zur religiösen Psychologie des 10
Band war im Verlag von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) : bis 20. Lebensjahres. - W. Knuth Die Psychologie des
in Tübingen, 1914 erschienen. Nach der Unterbrechung Konfirmandenalters in ihrer Bedeutung für den Konfir-
durch den Krieg und die erste Nachkriegszeit war es mandenunterncht. — F. Kapp, Zur psychischen Hygiene.
Stählin doch möglich gewesen, im Jahre 1921 ein ein- Das Verhältnis des neuen Archivs zu der von Prof.
heitliches als „zweiter und dritter Band" bezeichnetes j Karl Beth seit 1926 herausgegebenen „Zeitschrift für
Buch folgen zu lassen. Aber die dann einsetzende Infla- , Religionspsychologie" (jetzt im Verlag C. L. Ungelenk,
tion vermochte das Unternehmen nicht zu überstehen, j Dresden) sucht G. durch die Stichworte „populär" für
Jetzt hat Professor Werner Gruehn aus der Schule Karl [ die letztere, „strenger wissenschaftlich" für das Archiv
Girgensohns einen neuen Anfang gemacht. ■ zu bestimmen. Indes das ist eine so nicht zutreffende
Ein „Vorwort" entstammt der Feder des ersten j Charakteristik von dem oben schon gekennzeichneten
Herausgebers. Mit ihm hatte ich früher über die grund- Standpunkt aus, der das Experiment zum entscheidenden
sätzliche Haltung des Archivs eine kleine Kontroverse Kriterium der Wissenschaftlichkeit religionspsychologi-
gehabt. Einige seiner programmatischen Äußerungen ga- I scher Arbeit macht. Dies letztere lehnt Beth's Zeitben
mir Anlaß, vor der Gefahr zu warnen, durch ein- | schritt ab. Hierin allein besteht, auf den Tatbestand ge-
seitige Betonung der empirisch-experimentellen Psycho- sehen, der grundsätzliche Unterschied der beiden Organe,
logie in eine psychologistische Denkweise zu geraten. Kurz notiert sei noch ein seltsames Versehen auf S.
(Vgl. Bd. II u. III., S. 200ff.) Um so mehr freue ich | 238. Meine deutsche Bearbeitung von William James'