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Ausgabe:

1931 Nr. 1

Spalte:

378-381

Autor/Hrsg.:

Gerber, Hans

Titel/Untertitel:

Die Idee des Staates in der neueren evangelisch-theologischen Ethik 1931

Rezensent:

Piper, Otto A.

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 15/16.

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selbst hinaus gesteigert worden. Die Abhandlung | handelt (Veröffentlichungen des internationalen Hegelgipfelt
in der hieraus geschöpften politischen Nutzan- bundes, I (1931), S. 146 ff.). Sie zeigt uns, wie Hegel
Wendung, daß es für unseren heutigen Staat eine sitt- das Recht als Sittlichkeit, als die Idee der Freiheit aufliche
Notwendigkeit sei, dem Proletariat den Eigentums- < faßt, als das lebendige Oute und den zur Natur des
erwerb zu ermöß-lichen und es damit in freie Glieder Selbstbewußtseins gewordenen Begriff der Freiheit. Dem

der Volksgemeinschaft umzuwandeln, im Gegensatz zu
den Lehren des Sozialismus, der das Eigentum verurteilt
«nd gerade die „Enterbten" für sich zu gewinnen
trachtet.

Rechtshistoriker sei verstattet, anzumerken ,daß gerade
unter der Einwirkung des mittelalterlichen, christlichen
Gottesfriedensgedankens Ähnliches in dem Gemeinschaftsgebilde
der Stadt verkörpert worden ist. Man
^ LJ. i*i „„„u-,j> ,,„h ihrer 1 schließt sich zur Schwurbrüderschaft zwecks Wahrung
Diesen „Beiträgen zur Rechtsphilosophie uno. inrcr ^ QottesfTiedens zusarnmen) m freiwilliger Unterwer-

' fung unter die höhere Gemeinschaft des Rechts. So bindet
sich der Einzelne freiwillig durch Bande der Religion
und der Sittlichkeit, selbst den Frieden zu wahren
und die Gemeinschaft vor jedem Friedensbrecher zu
schützen. Gerade dadurch aber erlangen die Glieder der
Gemeinschaft das höchste Recht, das der Friedenswahrung
, das von je nach germanischer Auffassung
zugleich mit der Pflicht hierzu in die Hand der Freien
gelegt war. So wird die conjuratio pacis zu einer con-
juratio pro libertate. „Zwang um der Freiheit willen,
das ist das Recht".
Göttineen. Herbert Meyer.

Geschichte" schließen sich in

j^äge zur Geschichte des Staatsgedankens" an. Von
hoher Warte gibt E r n st M ayer, der gelehrte Rechtshistoriker
und originelle Staatsdenker, einen Überblick
hher „Die Staatsziele im Wandel der Geschichte". Er
2eigt, wie der Staat sich zu den verschiedenen Zeiten
auf den verschiedenen Gebieten des öffentlichen Lebens
Getätigt_ hat, wobei gerade auch die Stellung des Staates
zu.r. Religion, insbesondere die Erscheinung der Staats-
religion und die staatliche Einwirkung auf das Schulwesen
hervorgehoben wird. Max Wundt gibt ki seinem
Beitrag „Von Piaton zu Aristoteles", „Bemer-
lÄUn&en über die Entwicklung der griechischen Staats-
lfiee", in denen er zu zeigen sucht, wie die Entwicklung

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von Piaton zu Aristoteles bereits bei Piaton vorgebildet j Gerber, Prof. Hans: Die Idee des Staates in der neueren
war, indem sich auch bei ihm bereits die Idee ins Ob- i evangelisch-theologischen Ethik. Eine Studie. Berlin: Junker
jektive gewandt hatte. Heinz Wiegand stellt „die & Dünnhaupt 1930. (92 s.) gr.s0. RM 4.50

Staatslehre des Thomas von Aquin und ihre Bedeutung
für die Gegenwart", Emanuel Hirsch „Rousseaus
Geschichtsphilosophie" dar. Der letztgenannte Beitrag
des Göttinger Religionsphilosophen „zum Verständnis
des Contrat social" ist inhaltlich und formal von
besonderem Reiz. Er zeigt anschaulich, wie für
Rousseau der Contrat social nicht eigentlich das

Der Verfasser sieht seine Abhandlung an als „einen
ersten Versuch die Ergebnisse der Weltanschauungslehre
unmittelbar mit den Ergebnissen der juristischen
Wissenschaft (vor allem der Rechtsphilosophie
und des Staatsrechtes) in Verbindung zu bringen" (Vorwort
). In einer kurzen Einleitung skizziert er seine Auffassung
des Verhältnisses zwischen Rechtsphilosophie

Ideal des politischen Zustandes der Menschheit be- | und Weltanschauungslehre (S. 11—21), gibt dann eine
deutete; sondern durchaus im Einklang mit dem Ge- i synoptische Übersicht der Staatsauffassung bei Althaus,
danken „Zurück zur Natur" war für Rousseau das Brunstäd und Hirsch (S. 21—50) und unterzieht diese
eigentliche Ziel die Staatlosigkeit und Vereinzelung des ; schließlich einer Kritik vom Boden seiner Rechtsphilo-
Menschen der Urzeit, wie er sie sich vorstellte, der sophie aus (S. 51—81).

schrankenlose Individualismus im Zustande der bedürf- Gerber weist der Rechtsphilosophie die Aufgabe

nislosen Unschuld. Da nun aber infolge der Entwick- zu, die dem geltenden Recht zugrunde liegende Weftan-
lung der Kultur eine Rückkehr zu diesem Ideal nicht schauung in der Rechtsdogmatik zur Darstellung zu
mehr möglich schien, auch die öffentliche Erziehung ; bringen und in der Rechtswertlehre kritisch zu über-
der Jugend notwendig ist, um den Verfall wenigstens j prüfen (S. 15). Er glaubt nun, „daß wir (Deutschen)
einigermaßen aufzuhalten, hat er sich bemüht, in dem | uns... in unserem Bestände als Staat gerade aus der
Contrat social einen Staatstypus zu weisen, den er für , evangelischen Staatsauffassung erneuert haben" (s' 19)
den besten möglichen Menschheitsstaat ansah, weil er , Zwar wird das Vorhandensein anderer Weltanschau-
die sittliche Freiheit durch Einsetzung einer legalen , ungen (etwa des katholischen Naturrechts, des liberalen
Gewalt wahrt. Der Schlußbeitrag des Herausgebers Individualismus, des Marxismus) im geltenden Recht
Karl Larenz über „Staat und Religion bei Hegel" nicht bestritten, aber der Verf. glaubt ihnen gegenüber
zeigt gleichfalls, wie stark die Idee der Religion in die evangelische Staatsauffassung als überlegen airf-
diese Festgabe hineinspielt; er führt uns zugleich zurück ' weisen zu können. Als „eigentliche" evangelische
zu dem Ausgangspunkt, zur systematischen Interpre- Staatsauffassung wird dabei sehr einseitig nur die kon-
tation der Hegeischen Rechtsphilosophie. Larenz legt servative Staatsauffassung von Althaus, Brunstäd und
dar, daß bei Hegel die Religion nicht zusammenfällt Hirsch angesehen, „weil in ihnen allein die Linie von
mit' dem staatlichen Leben, aber der in ihr wirkende ; Luther und Calvin über die brandenburgisch-preußische
sittliche Geist derselbe ist, der auch den Staat gestaltet, i Staatsauffassung, Stahl und Bismarck fortgesetzt werde"
So vollzieht sich auch hier ein dialektischer Denkprozeß, (S. 19). G. gewinnt sein Geschichtsbild nur durch
der aus dem anscheinend Auseinanderstrebenden die Ignorierung des calvinischen Staatsbegriffes zugunsten
höhere Einheit gestaltet. Dagegen ist mit dem Hegel- des lutherischen und durch Bevorzugung der neuluthe-
schen System unvereinbar ein Aufgehen des Staates m : risch-konservativen Fortentwicklung des Staatsbegriffes
der Kirche oder der Kirche im Staat. Hegels Philo- auch da, wo er in entscheidenden Punkten zu Luther
sophie wurzelt also durchaus in der Welt der sittlichen im Gegensatz steht (vergl. z. B. S. 25).
Freiheit des Protestantismus. Nur von dieser Anschau- Als Hauptgedanken der evangelischen Staatsauffas-

ungsbasis aus vermag sie das sittliche Leben des Staates sung ergeben sich unter diesen Umständen: Ansatzbewußt
zu bejahen. Und gerade diese hohe Auffassung punkt ... für alle Rechts- und Staatslehre (ist) das
vom Staat führt Hegel wiederum dazu, die Religion : Grunderlebnis des Menschen als Persönlichkeit" (S 21)
des Volkes für die wichtigste Voraussetzung der Ge- j Aber zur Persönlichkeit gehöre die Gemeinschaft denn
sundheit seines staatlichen Lebens zu erklären: „Das nur in ihr sei die freie Entfaltung der sittlichen Persön-
Volk, das einen schlechten Begriff von Gott hat, hat lichkeit möglich (S. 22 f.). Nun sei dem religiös Er-
auch einen schlechten Staat, schlechte Regierung, griffenen das Gegebene in seiner Tatsächlichkeit und
schlechte Gesetze". Ich kann mir nicht versagen, aber- eigentümlichen Besonderheit „Schöpfung Gottes" (S 24)
mals auf eine auch für den Theologen überaus lehr- Das nötige den Glaubenden zum Ja zu Staat, Nation
reiche Schrift von Binder hinzuweisen, die wiederum Kultur (S. 25—28). Denn allein die staatliche Macht
im Anschluß an Hegel „Die Freiheit des Rechts" be- | mit ihrem Rechtszwang gebe die Möglichkeit, die Volk

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