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Ausgabe:

1931 Nr. 1

Spalte:

357-360

Autor/Hrsg.:

Wiesenhütter, Alfred

Titel/Untertitel:

Die Passion Christi 1931

Rezensent:

Macholz, Waldemar

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 15/16.

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was wir noch nicht wissen. Der künftigen Forschung
werden jmmer wieder die noch dunklen oder
strittigen Gebiete gezeigt, ja sie wird geradezu herausgefordert
, sich an die Bearbeitung derselben heranzumachen
; auch werden ihr im „Ausblick" die nötigen
Richtlinien hierzu erteilt. Denn so fruchtbar besonders
die von Theodor von Kolde begründeten, von Karl
Schornbaum, dem soeben ernannten bayrischen Kirchenarchivsdirektor
, und D. H. Clauß fortgeführten „Beiträge
" sowie „Zeitschrift" und „Einzelarbeiten" zur
bayerischen Kirchengeschichte neben den zahlreichen
Publikationen der verschiedenen Historischen Vereine
Frankens gewesen sind wie auch seit Herausgabe der
Arbeit Michels — ich nenne nur die von Schornbaum bearbeiteten
„Archivinventare der evangelischen mittelfränkischen
Pfarreien des ehemaligen Konsistoriums
Ansbach" und die Augustanajubiläumsgate des bayerischen
Landeskirchenrates über „die fränkischen Bekenntnisse
, eine Vorstufe der Augsburgischen Konfession
" — neue wichtige Veröffentlichungen herauskamen
, so finden sich doch noch immer beträchtliche
und schmerzliche Lücken, durch die die Abfassung einer
längst erwünschten und erwarteten zusammenhängenden
Reformationsgeschichte Frankens immer noch verzögert,
ja verhindert wird.

Es wäre zu wünschen und zugleich der beste Erfolg
der mühereichen Arbeit Michels, wenn durch sie
mancher Leser zur Mitarbeit animiert und manche bisher
noch unveröffentlichte Pfarrbeschreibung der Forschung
dienstbar gemacht würde.
Ansbach. K. Alt.

Wiesenhütter, Alfred: Die Passion Christi in d. Predigt d.
dtschn. Protestantismus v. Luther bis Zinzendorf. Berlin: Furche-
Verl. 1930. (323 S.) S°. RM 7.50; geb. 8.50.
Das Beste aus der Verkündigung der Passion
Christi von Luther bis Zinzendorf und Oetinger will
W. dem Staube der Bibliotheken entreißen, um die alten
Prediger und Glaubenszeugen — er berücksichtigt auch
z. B. Scrivers Seelenschatz und Bengels Gnomon —
„mit ihren eignen Worten zum Geschlecht unserer Tage
sprechen zu lassen". Seine Absicht ist dabei gewiß,
„eine Lücke der homiletischen Literatur zu schließen",
aber auch dem suchenden und fragenden Geschlecht der
Gegenwart Quellen zugänglich zu machen, „aus denen
die Lehenswasser ursprünglicher und kraftvoller fließen,
als in der unmittelbar hinter uns liegenden Zeit". Die
„zu einer einzigen großen Passionspredigt vereinigten"
meist kurzen Auszüge sollen weiterhin auch die absprechenden
Urteile Dieffenbachs und Mosheims zurechtstellen
und den Prediger der Gegenwart bei seiner
Arbeit anregen. Wiesenhütter behandelt zu diesem Ende
zunächst die Grundzüge der Passionspredigt seines Zeitabschnitts
, indem er sich nacheinander mit dem „Volkstümlichen
", dem „Praktischen", dem „Polemischen",
dem „Dogmatischen", dem „Allegorischen", dem „Ty-
pologischen" beschäftigt, sodann erörtert er die Darstellung
des Leidens Christi, die Deutung des Leidens
Christi in besonderen Kapiteln, äußert sich vor der den
weiten Raum von S. 91—241 einnehmenden „Auswahl"
zur Form der Passionspredigt und beschließt endlich
die Darbietung des Stoffs durch einen Abschnitt „Prinzipielles
", um in einem „Ausblick" sein letztes Wort zur
Sache zu sagen.

Wie angedeutet wurde hat der Verf. von Anfang
an seine Charakteristiken nicht nur auf die homiletisch-
praktischen Ziele seines Buchs zugeschnitten. Die
Drastik der Darstellung, die er uns aus seinem Material
vorführt, bleibt, so vorbildlich jede rechte Volkstümlichkeit
zu ihrer Zeit auch für alle Zeiten der christlichen
Predigt sein mag, zeitgebunden, die praktische Verwendung
des Stoffs der Passionsgeschichte zu Ermahnungen
, die guter Tischsitte und erwünschter Grab-
pflege dienen sollen, zu Polemiken wider üble Moden,
Ausländerei, Trunksucht, ist gewiß nicht unmittelbar |

vorbildlich, und die polemischen Ausführungen gegen
mittelalterliche Mißbräuche (Legenden, Compassio, Verdienstethik
, Marienverehrung usw.) interessieren doch
in erster Linie wieder den an der Vergangenheit interessierten
Historiker. Desgleichen ist sicherlich nicht
das Dogmatisieren über die Zweinaturenlehre, sondern
nur die (seltenere) Aussprache der Glaubensparadoxie
in Kraft und Schlichtheit homiletisch empfehlenswert,
und Allegorese wie Typologie werden wir gern dem
gestrigen Tage überlassen. Als beachtenswerter auch
für den Prediger der Gegenwart mag die Bemühung
gelten, das Leben Jesu in seiner ganzen Ausdehnung
mit der Passionsbetrachtung zu durchdringen, um den
um unseretwillen tragenden und duldenden Gottesknecht
der Gemeinde vor die Augen zu malen. Lehrreich für
uns heutige Prediger wird auch der Nachweis zu den
Stichworten Held, Märtyrer, Erlöser sein, den der Verf.
aus seinen Quellen darbietet. Aber auch hier wie hinsichtlich
der weiteren vor uns entfalteten, z. T. in anerkennenswerter
Weise durchgeführten Absichten, Passion
als Gottes Offenbarung zu Gottes Ehre, als Rechtfertigung
zur vivificatio im Glauben theozentrisch zu
verkündigen, wird doch bemerkt werden müssen, daß
wir uns wohl durch jene alten Zeugen auf dies und
jenes Hochwichtige hinweisen lassen wollen, daß wir
unserem Ja jedoch fast regelmäßig ein kräftiges Aber
folgen lassen müssen. Besonders mag das hinsichtlich
jener Spekulationen von der Kreuzigung als kosmischer
Konsekration, als Heiligung auch der Gestirnwelt gelten
, für die der Verf. nicht ohne Sympathie zu sein
scheint. Und nicht minder im Blick auf die formale
Seite der Passionspredigt eines Zeitabschnitts der die
Jahrzehnte der „emblematischen" Geschmacksverirrungen
ja einschließt. So überrascht es denn auch nicht,
daß, nachdem Männer aus drei Jahrhunderten zuerst
als verkündende Ausleger der Passionstexte (vom Einzug
in Jerusalem bis zur Auferstehung), dann unter
prinzipiellen Gesichtspunkten zu Worte gekommen sind,
die Ausbeute an positiver homiletischer Weisung,
die der Ausklang bietet, nicht gerade reich genannt
werden kann. Der durch Herder und Schleiermacher
repräsentierten Passionsbetrachtung, die Jesus gerade im
Leiden „als die Erfüllung edelster, vollkommenster Humanität
" zeigen, wird die andere als normativ gegenübergestellt
, die von der im Kreuze Christi dem Menschen
entgegengestreckten Hand Gottes Kunde gibt u. das Ärgernis
des Kreuzes Christi wie das propter Christum
nicht vergißt. Sodann wird abschließend gefordert: 1.
Es muß Zug um Zug gezeigt werden, daß in dem leidenden
und sterbenden Jesus von Nazareth . . das
Menschliche in einer Weise erfüllt ist, die unwillkürlich
. . zu dem Bekenntnis nötigt: hier ist die Fülle des
Göttlichen erschienen. 2. Die Passion muß so verkündet
werden, daß der Hörer zur Wahrhaftigkeit des
erschrockenen, Zuflucht suchenden Gewissens gezwungen
wird. 3. Das Kreuz ist als die Schöpfung des sozialen
Menschen und 4. als das große „Stirb und
Werde" auch der Wissenschaft und Kunst zu verkündigen
. Ich untersuche nicht, wie weit diese homiletischen
Postulate aus der Betrachtung des uns aus dem
Staube der Bibliotheken geschenkten Schatzes wirklich
erwuchsen, wie weit sie durch die Arbeit an dem vor
uns ausgebreiteten Stoff vertiefte, schon vorher vorhandene
Einsichten darstellen. Ich wehre mich aber
gegeii 1. im Namen des vorher berufenen Ärgernisses
wie gegen die z. T. bedenklichen Formulierungen von
2, 3, 4, die m. E. Richtigeres und Schlichteres meinen,
als sie aussprechen.

Mag man nun aber über diese letzten zusammenfassenden
Thesen zur Homiletik denken wie man will:
kein Zweifel, daß der Sammelfleiß des Verfassers uns
eine Fülle von tiefsinnigen und geistvollen, auch heute
noch den historisch und theologisch geschulten Leser
„anregenden" praktischen Auslegungen aus seinen Bergwerken
zu Tage gefördert hat, die bestimmt eingestellten