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Ausgabe:

1931 Nr. 14

Spalte:

318-321

Autor/Hrsg.:

Meyer, Arnold

Titel/Untertitel:

Das Rätsel des Jacobusbriefes 1931

Rezensent:

Seesemann, Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 14.

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1. die Irrlehrer nur ausgibt als „Funktionäre, die das
Wort der Wahrheit verkünden sollten, aber an ihrer Aufgabe
gescheitert sind, denen vermutlich ihre Gnosis zum
Verderben geworden ist" (S. 118; vgl. S. 111), oder sie
als heidnische Agitatoren bezeichnet, oder gar leugnet,
daß sie die abweichende Meinung, die sie haben, auch j
verbreiten (S. 10), und 2. die Irrlehre nur als juden-
christlich-rabbinische Spekulation über Geschlechtsregister
versteht.

Dali M. hier gewaltsam interpretiert, ist nicht zu verkennen. Daß i
die Irrlehrer in 1. Tim. 4, 3ff. nicht mit denen von 1. Tim. l,3f. zusammenzubringen
sind, ergibt sich ihm daraus, daß „4,7 eine nähere ,
Kennzeichnung der püöoi als jüdisch fehlt, wie sie 1. Tim. 1,4 (?);
Tit1, 14 gegeben wird" (S. 113). Und die 2. Tim. 4, 4 „erwähnten |
püöoi sind nicht ohne weiteres (!) den 1. Tim. 1,4; Tit. 1,14 erwähnten l
gleichzusetzen, sondern Gegensatz zur gesunden Lehre (wie 1. Tim. 4,7)"
(S. 123). Wozu ist aber die „gesunde Lehre" Gegensatz? Yv(T,fil? ln
I. Um 6,20 soll sich nicht auf die Irrlehren des 1. Tim. beziehen —
weil sonst „diese oder eine andere verwandte Wendung bereits irgendwo
" im 1. Tim. gebracht sein müßte (S. 114)1 2. Tim. 2, 14 ff. soll
mit den ETepoSiöaoxaXoüvxe? des 1. Tim. nichts zu tun haben, obwohl I
hier von Ä-oyoiiuxeTv und von ßtfßq&Ot xevoqpoivicu die Rede ist wie
I.Tim. 6,4. 20, und obwohl Zoyou«zi'a in 6, 4 neben tornaeic, steht,
was wieder auf 1. Tim. 1. 3 f.; 2. Tiim 2, 23 ff.; Tit. 3, 9 ff. verweist.

Durch solche Exegese nimmt sich M. natürlich die
Möglichkeit, ein Bild von der hinter den Past. liegenden
Gnosis zu zeichnen, das der Gnosis der paulinischen
Briefe gar nicht so fern ist. So lassen sich gute Gründe
dafür beibringen, etwa die Leugnung der eschatolö-
gischen Toten auf er steh ung in 2. Tim. 2, 18 mit der Auf-
erstehungsleugnung in 1. Kor. 15 zusammenzubringen,
und ebenso den asketischen Nomismus von 1. Tim.
1, 3f.; 4, lff.; Tit. 1, 9ff. mit der im Kolosserbrief
bekämpften Gnosis. Beides wäre aber ein Nachweis,
daß das Argument der „Irrlehrer" für die Unechtheit
der Past. nicht geltend gemacht werden kann. Eine andere
Frage ist es allerdings, ob die Behandlung der
Irrlehre in den Past. paulinisch ist. Paulus argumentiert
doch mehr theologisch als die Past., die, trotzdem die
Bekämpfung der Irrlehrer für sie ein Hauptanliegen ist,
nur warnen, polemisieren und an die „gesunde Lehre"
erinnern.

Wenn wir von der Frage der Situationsangaben der
Past. absehen, die M. in seinem 5. Abschnitt nachprüft,
und die er auf Grund seiner Hypothese von der ephesi- j
nischen Gefangenschaft wohl halten kann, weil durch sie |
die Past. keine gleichzeitigen Nachrichten mehr zur
Seite haben, so wird als 4. und 5. Argument gegen die |
Echtheit der Past. im 4. und 2. Abschnitt des Buches i
noch die Frage der Sprache und der Frömmigkeit beleuchtet
. Wir können beide zusammennehmen, weil es
sich hierbei im Wesentlichen um den Unterschied in der
theologischen Begrifflichkeit der Past. und des Paulus
handelt. Hier allein kann m. E. die Entscheidung über
Echtheit oder Unechtheit fallen. Gewiß betont M. mit
Recht, daß zum Vergleich der „Frömmigkeit" der
Past. die Absicht der Briefe und ihre Situation im Auge
behalten werden muß. Und gewiß wehrt er sich mit
Recht gegen eine mechanisch-vergleichende Statistik der
Wörter (vgl. auch ZNW. 1928 S. 69 ff.), aber das kann
uns doch nicht darüber hinweghelfen, daß auch dort,
wo dasselbe Thema und dieselbe Sache gemeint sind, j
und wo die Situation und der Zweck der Past. keine !
Rolle spielen, in den Past. eine andere Begrifflichkeit
vorliegt als bei Paulus.

Wenn die Past. 14 mal das, was Paulus etwa mit EÜavYeliov oder ,
•"tiotic wiedergibt, mit öiöaoxcbUu, bezeichnen, welcher Begriff seinerseits
als Gesamtbezeichnung des Christentums bei Paulus nie vorkommt,
so ist das nicht zufällig, sondern ein strikter Beweis, daß hier ein
anderer Sprachgebrauch, der durch keine besondere Erkenntnis und Erfahrung
motiviert ist, vorliegt. Warum redet P. z. B. nicht im 1. Kor.,
wo der Situation nach Anlaß genug ist, von „gesunder Lehre" ? Ähnlich
steht es bei FÜoeßeia, das M. übergeht. In Past. kommt es 10 mal, j
bei P. niemals vor. Wie merkwürdig muß es den Timotheus angemutet j
haben, daß P. in den Briefen an ihn Begriffe häuft, die er sonst noch
nicht von ihm gehört hat. Daß der römische Aufenthalt P. veranlaßt
haben sollte, Termini des römischen Herrscherkultes zu verwenden, wird
man doch nur annehmen können, wenn man übersieht, daß solche Aus- I

drücke den Provinzialen ebenso geläufig waren. Und warum sollte P.
in Rom z. B. gelernt haben für rtuponoiu. das Synonym Ejtupdveia zu
gebrauchen, das in Past. das paulinische Jiapouoia ersetzt?

Da die Begrifflichkeit ja nicht etwas Beliebiges im
Denken des P. ist, auch nicht etwas, was er ohne Zusammenhang
mit der eigenen Tradition übernimmt, um
es in 5—6 Jahren — die ephesinische Hypothese zugegeben
— zu verlieren, so wird man sagen müssen, daß
durch sie unüberwindliche Schwierigkeiten gegeben sind,
die Past. dem Paulus zuzuschreiben, der die uns bekannten
Paulusbriefe geschrieben hat. Natürlich „kann"
P. alles geschrieben haben; aber das steht dann außerhalb
der Diskussion. Ist so das Unternehmen des Verfassers
nicht gelungen, so wird man zum Schluß noch
hinzufügen müssen, daß der ganzen Frage nach der
„Echtheit" der Past. doch nicht mehr das Gewicht zukommt
, das M. ihr gibt. Denn nicht nur der religiöse,
sondern auch der dogmatisch-theologische Charakter einer
Schrift hängt nicht davon ab, ob sie von dem
Individuum Paulus geschrieben ist, sondern davon
ob sie apostolisch ist. Das läßt sich aber nur
dadurch feststellen, daß man untersucht, ob die Aussagen
der pseudopaulinischen Literatur eine legitime
Fortsetzung apostolischer Theologie sind, oder ob sich
schoti innerhalb des N.T.s eine Abirrung vom apostolischen
Kerygma und der apostolischen Paradosis findet.
Diese Aufgabe wäre die eigentlich sachliche in Bezug
auf die Pastoralbriefe.
Marburg. H. Schlier.

Meyer, Prof. D. Arnold: Das Rätsel des Jacobusbriefes. Hrsg.
m. Unterstützg. durch d. Stiftung f. wissenschaftl. Forschung an d.
Univ. Zürich. Gießen: A. Töpelmann 1930. (XII, 336 S.) gr. 8°. ='
Beihefte zur Zeitschrift f. d. neutestamentl. Wissensch, hrsg. v. H

Lietzmann, Beih. 10. RM 20_.

Eine Fülle von Gedanken und Anregungen bietet
das Buch. Es ist eine umfassende Einleitung in das
ganze Problem des Jakobusbriefes (JB). Alle wesentlichen
Fragen werden behandelt und eine Antwort wird
erst nach sorgfältigster Prüfung aller Lösungsmöglichkeiten
geboten. Diese Vorsicht im Urteil und die gründliche
Beweisführung einer jeden These machen das
Buch einem Jeden wertvoll, auch für den Fall, daß einer
zu einem anderen Resultat als der Verf. gelangt.

Der erste Teil des Buches berichtet über die
Schicksale des Briefes in der Kirche zunächst
in der Zeit seit 180 (S. 8—59). Das Ergebnis
lautet: „So wenig wie wir hatte man damals eine sichere
,Urtradition' über die Entstehung des Briefes. Das
zeigt die Unsicherheit im Urteil über den Apostel Jakobus
und das Schweigen aller Zeugen über den Brief
in der Zeit vor Origenes" (S. 58). Ist dieses Resultat
allgemein anerkannt, so wird es anders beim Abschnitt
über die Schicksale des Briefes in der Zeit vor 180
(S. 59—108). Hier stellt M. die Behauptung auf-
der JB stand am Ende des 1. Jahrhunderts in Rom in
hohem Ansehen. Das folgert er aus der Bekanntschaft
des Pastor Hermae, I. Cl. und I. Petr. mit dem JB
Daß Paränese damals Allgemeingut war, gibt M. zu
Die große Zahl der gleichen Ausdrücke, die gleichen
Formulierungen u. a. m. führen ihn jedoch zum genannten
Resultat. — Vollständige Sicherheit läßt sich
m. E. in diesem Punkt nicht erzielen.

Berührungen mit den Evangelien lehnt M mit
Recht ab, wie er ebenso mit Recht feststellt, daß die
Überschrift des Judasbr. den JB voraussetzt. Aber das
verhilft nicht zu einer näheren Datierung des JB

Anschließend ergibt sich dem Verf. aus eingehen-
sten Untersuchungen, daß zwischen Paulus und dem
JB keinerlei Berührung besteht. Da es sich hier um
einen wesentlichen Unterschied zur heutigen Forschung
handelt, soll darauf näher eingegangen werden.

Ausgangspunkt der Untersuchung ist Jac. 2,14-26. Die Frage
Stellung wird gleich richtig formuliert: ist es denkbar, daß schon vor
Pls. Glaube und Werke so getrennt waren, wie der JB es voraussetzt'
Ist nach jüdischer Anschauung der Glaube nicht selbst eine Art Werk'