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Ausgabe:

1931 Nr. 13

Spalte:

302-303

Autor/Hrsg.:

Graf, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Doktor Christoph Scheurl von Nürnberg 1931

Rezensent:

Alt, Karl

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301

Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 13.

302

um den Nachweis, daß die Philosophie-Religion des
Priester-Philosophen M. F. eine eigentümliche, aus
kirchlich-scholastischen, besonders augustinischen Tradi-
tionen einerseits, aus z. T. von daher, z. T. in streng
anthropozentrischer Einstellung andererseits verstandenem
(Neu-)Platonismus entwickelte „Religion des Men- ^
sehen" ästhetisch-voluntaristischen, ja voluptaristischen
Gepräges sei, der Absicht nach zugleich idealistische
Apologie des Christentums (wie M. F. es versteht,
& h.), des Unsterblichkeitsgedankens im besonderen
gegenüber den Peripatetikern.

Nachdem Kap. I (1—23) die Voraussetzungen skizziert
hat, die literarischen Versuche und Arbeiten des
M. F. und deren Bestimmtheit durch Zeitlage, Schulung
usw., das Verhältnis zum göttlichen Piaton vor j
allem bringt das Hauptkapitel (II, 24—150) eine i
nach dem Schema des Neuplatonismus und seiner My- ,
stik (Welt und Gott; Seele; intellektualistischer und vo-
luntaristisch-erotistischer Weg zu Gott) vorgehende Analyse
der ficinischen Religions-Philosophie, die so noch i
eindringlicher die meist unbewußten Abweichungen des i
Florentiners vom genuinen Neuplatonismus aufzuzeigen
vermag: an Stelle der Transzendenz Gottes und ihrer
kataphatischen Verdeutlichung erscheint unter Nachwirkung
der scholastischen, durch den Gedanken der causa
rerum bestimmten Gottesidee ein auf ähnlichem Weg i
von der Materie aus gewonnener immanentistischer !
Gottesgedanke mit panentheistischer, in der Erkenntnis-
lehre ontologistischer Konsequenz. Wenn der Verf. dabei
das Neue bei M. F. in der grundsätzlichen Befolgung
des ascensus = Schemas sieht (34, und Anm. 1) j
gegenüber dem neuplatonischen desoensus, so sei hier
einschränkend doch darauf hingewiesen, daß man auch
Plotin wird als einen Apologeten idealistisch-religiöser |
Philosophie von der Bekämpfung der akademischen i
Skepsis her verstehen müssen, und daß er daher jedenfalls
vor und hinter dem beherrschenden descensus- |
Schema das umgekehrt gerichtete zumindest als eine genetische
Voraussetzung seines „Systems" mitdenkt. Be-
SOBderS glücklich scheint mir die Stellung der Seele im j
Weltbild des M. F. gegenüber dem Neuplatonismus
herausgearbeitet zu sein — und hier erweist sich das
ausdrücklich genannte (77) Verfahren logischen Zu- i
endedenkens eines Systems als durchaus angebracht,
nicht bloß als heuristisches Prinzip. Wenn von der
ficinischen Auffassung der Seele als Kraftmitte des i
Menschen als des die Welt zusammenhaltenden Mikro- i
kosmos, als des deus in terris her der Gottesbegriff
dieser Philosophie als „metaphysisch reine Idee des
Menschen" (89) formuliert wird, dürfte das, was gemeinhin
als das Renaissancemäßige minder sorgsam
ausgesprochen zu werden pflegt, auf einen sehr klaren |
Nenner gebracht sein, der durch die folgenden Ausführungen
über Schöpferliebe Gottes, Zeugungslust, schaffenden
Willen als Genießen, Lust mithin als höchstes I
Gut, über ästhetischen Voluptarismus als Seligkeits- I
Haltung inhaltlich noch näher verdeutlicht wird.

Vielleicht hätte eine Vergleichung der gleichstufigen
Freundschaft mit Gott bei M. F. mit der gemeinmystischen
und der christlich-mystischen Idee des Gottesfreundes
(etwa seit Clemens und Origenes), vielleicht
hätte ein anderer Vergleich des augustinischen (Gott und
die Seele) und des ficinischen (die Seele als Gott)
psychologisierten Neuplatonismus im einzelnen noch
manches deutlicher und „typischer" heraustreten lassen
dafür, daß hier eine neue Religion als neue, vermeintlich
neuplatonische Philosophie um die „Renaissance-Göttlichkeit
" — auch der Verf. kommt um die Zuhilfenahme
von Lebensgefühlen nicht herum — des Menschen vorliegt
.

Wie stark M. F. der Scholastik, vorab Thomas
verpflichtet ist — abgesehen von der sonstigen überaus
reichen Belesenheit des Mannes — legt das Schlußkapitel
in einer Sonderuntersuchung über den fragmenta- |
Tischen Römerbriefkommentar des M. F. dar; auch ein

Hinweis darauf, daß dem Renaissancephilosophen ein
Verständnis des Christentums bei aller betonten und begründeten
„Christlichkeit" völlig abgeht. Die stellenweise
wörtliche Benützung des thomistischen Kommentars
zeigt die theologische Unbehilflichkeit, aber die Abweichung
läßt zugleich auch das Besondere des M. F.
erkennen: die philologisch-historische und die neuplatonisch
-psychologische Eingestelltheit. Widersprüche zu
seinen philosophischen Thesen scheinen den Exegeten
nicht zu stören, auch wenn sie innerhalb des Kommentars
abzulesen sind. Das sola fide hat für ihn den Sinn
neuplatonischer Kontemplation und katholischer intellektualistischer
Aktivität.

Die knappe Andeutung des Inhalts, auf die sich die
Anzeige zu beschränken hat, dürfte für sich schon erklären
, daß in dem vorliegenden Buch ein fördernder
Beitrag zu den neuerdings auftauchenden Bemühungen
um ein wirkliches Verständnis der Renaissancephilosophie
und ihrer Denker vorliegt; die eingangs erwähnte
Sorgfalt und Klarheit zeichnet ihn aus, und daß minder
Wichtiges ebenso gründlich besprochen wird wie die
entscheidenden Punkte, daß gelegentlich Selbstverständlichkeiten
als einer breiteren Ausführung wert erscheinen
, bezeichnet die kleinen Schönheitsfehler so ziemlich
jedes monographischen Erstlings.

Bonn. E. Wolf.

Graf, Wilhelm: Doktor Christoph Scheurl von Nürnberg.

Leipzig: B. G. Teubncr 1030. (IV, 159 S. m. 1 Bildn.) gr. 8°. =
Beiträge z. Kulturgesch. d. Mittelalters u. d. Renaissance, hrsg v.
W. Goetz, Bd. 43. rm 8—!

Christoph Scheurl (1481—1542) hat in seinem von
Freiherrn von Soden und J. K. F. Knaake herausgegebenen
„Briefbuch" wichtigste Dokumente für die Einführung
der Reformation in Nürnberg hinterlassen. Als
„Marschall" der dortigen „Staupitzgesellschaft" lebte er
in innigstem Gedankenaustausch mit den humanistisch
ja reformatorisch gesinnten Nürnberger Patriziern und
Gelehrten wie Hieronymus Holzschuher, Caspar Nützel,
Sigmund und Christoph Fürer, Anton und Endres
Tucher, Georg Beheim, Jakob Welser, Hieronymus Ebner
u. a. Besonders befreundet war er mit Albrecht
Dürer und zeitweise mit Willibald Pirckheimer sowie
dem berühmten Ratsschreiber Lazarus Spengler. Er war
es auch, der die vielbesuchten und -beachteten Predigten
im Druck herausgab, die Staupitz in der Adventszeit
des Jahres 1516 über die göttliche Vorsehung in der
Nürnberger Augustinerkirche hielt. Ferner hat Scheurl
in seiner Eigenschaft als Ratskonsulent das entscheidungsvolle
Religionsgespräch vom 3.—14. März 1525
geleitet, das der Reformation in Nürnberg noch vollends
zum Siege verhalf. Freilich ist er, veranlaßt durch seine
an Erasmus orientierte irenische Art, schließlich ganz
von Luther abgerückt und huldigte zuletzt, ähnlich wie
sein großer Landsmann Pirckheimer, einem Kompromißkatholizismus
, nachdem er vergebens den von vorneherein
aussichtslosen Versuch gemacht hatte, zwischen
den Wittenbergern und den von ihm nicht weniger verehrten
Sebastian von Rotenhau, Eck, Cochläus, Erhard
Truchseß, Kilian Leib, Otto Beckmann zu vermitteln.
Die Sucht, beiden Teilen gefällig zu sein und jedem zu
dienen, brachte ihn dabei nicht nur in Konflikte gegenüber
beiden, sondern ließ ihn zuweilen eine zweideutige,
von manchen geradezu als bewußten Vertrauensmißbrauch
beurteilte Rolle spielen. Graf versucht nun in
seiner Monographie, Scheurls Verhalten psychologisch
zu erklären und weiß sich damit im Gegensatz zu von
Soden und Felix Streit, die beide allzusehr in ihren Helden
„verliebt" seien. Er gibt zunächst eine genaue Darstellung
der Herkunft, Eltern und frühen Jugendzeit
sowie der Studienjahre Scheurls in Heidelberg und Bologna
, schildert sodann seine Professorentätigkeit in
Wittenberg, die Gustav Bauch bereits eingehend behandelt
hat. Den wichtigsten Abschnitt bilden die beiden
Kapitel über Scheurls Tätigkeit als Ratskonsulent in
Nürnberg und seine Stellung zur lutherischen Refor-