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Ausgabe:

1931 Nr. 12

Spalte:

284-286

Autor/Hrsg.:

Schreiner, Helmuth

Titel/Untertitel:

Paedagogik aus Glauben 1931

Rezensent:

Kesseler, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 12.

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bloß Vermittelndes, sondern ein „gleichursprünglich"
im Dasein aufbrechendes Sich in seiner entwerfend-
geworfenen Verfassung Entblößtfinden, das in dem
„Warum?" als transzendentale Fraglichkeit seiner inne
wird. Im einigen Geschehen des Stiftens des Weltentwurfs
und des Grundfassens im Seienden, des Überschwingens
in die Welt der Möglichkeiten und der Einschränkung
dieses Überschwungs auf den bestimmt-jeweiligen
Besitz, in dieser Mitte der Transzendenz bricht j
die Frage nach dem Warum auf.

Auf die durch Plato wie Aristoteles nahegelegte
Frage nach einer vierten Weise des Gründens geht H. j
nicht näher ein. Er deutet nur an, daß die letzte Aitia,
wie übrigens jedenfalls bei Piaton auch, nicht ein hin- !
zukommendes Neues, sondern die Einheit und Gleich- ]
ursprünglichkeit der drei Weisen des Gründens besagt, j
Aber er schneidet hier die weitere Erörterung ausdrücklich
ab und faßt statt dessen das Ergebnis noch einmal
dahin zusammen, daß die Freiheit der Ursprung des
Satzes vom Grunde ist; die Freiheit als „der Grund
des Grundes", als der „Ab-grund des Daseins", mit
deren „Urbewegung" die gesamte Problematik des
Gründens gesetzt und überwunden ist.

Die Theologie findet sich mit diesem Entwurf einer
Transzendentalphilosophie gegenüber, die auf der einen |
Seite weder am Objekt noch am Subjekt sich eine |
trügerische Stütze sucht, die aber auf der andern Seite
auch die Anlehnung an eine theologische Dogmatik verschmäht
. Gerade die Endlichkeit des Daseins ist hier
der unüberbietbare Einsatz transzendentaler Besinnung.
Ist damit nicht die Theologie — nicht bloß in Frage i
gestellt, sondern — erledigt? Ist sie, wenn dieser trans- j
zendentale Entwurf, wie es den Anschein hat, das Ge- j
schehen des Daseins wirklich vor sich selber bringt, j
nicht gerichtet als der trügerische Versuch, die Warum- |
frage mit einem Ansatz zu lösen, der mit ihrer Lösung j
auch das Dasein ausschaltet, das seiner inne geworden
ist als Freiheit zum Warum?

Wird hier nicht die Dialektik, deren die Theologie
zur Kennzeichnung des Jenseitigen gegenüber des Diesseitigen
kaum entraten kann, zurückgenommen in die
Ursprünglichkeit des Warumfragens der endlichen
Kreatur? Wird sie also nicht, sofern sie dem Wagnis
des Existierens gegenübertritt, und durch sich selbst auf |
einen überlegenen und heilbringenden Ort verweisen
will, gerichtet als die ohnmächtige Halbheit einer nicht
mit sich zu Ende gekommenen Erkenntnis?

Die Theologie ist hier wirklich angegriffen,
auch wenn innerhalb der Erörterung kaum von ihr die ;
Rede ist. Sie ist so entscheidend angegriffen, wie vielleicht
kaum je. Denn dieser Angriff ist nicht von einer
theoretischen Position her erfolgt, sondern durch das
transzendentale Verständnis des Daseins selbst einge- i
leitet.

Es kann nicht die Absicht sein, mit zwei Worten
den Ernst dieses Angriffs abzuschwächen. Nur eine
Frage sei zum Schluß noch aufgeworfen, die unter
voller Würdigung des methodischen Vorgehens an die
grundlegende Interpretation des Weltbegriffs anknüpft.
H. legt zwar großen Wert darauf, daß das „In-der-
Welt-Sein" wiederum „gleichursprünglich" als „Sein bei
. . . Vorhandenem, Mitsein mit . . . dem Dasein Anderer
, und Sein zu . . . ihm selbst" begriffen wird. Hat j
nicht aber in der Durchführung die Aufzählung des Mit- j
seins bloß methodisch technischen Charakter? Spielt es !
gegenüber dem „Sein zu" eine selbständige Rolle? Ist j
die Spannweite von Entwurf und Entzug, von Stiften [
und Bodennehmen weit genug, um das Geschehen der
Transzendenz voraussetzungsweise zu gründen? Bleibt
nicht das Mitsein allzusehr in der Neu- >
tralität der Welt gefesselt, als daß es in i
seinem ursprünglichen Anspruch hervortreten
könnte? Ruft nicht das Wort von draußen
unvermittelt den Einsatz des Daseins in die Welt, und
zwar zur Verantwortung vor dieses Wort, das dem Da- j
sein von außen kommt? Steht das Selbst nicht schon

in Frage, ehe die Daseinsfrage Sein oder Nicht-Sein ihm
die Freiheit seiner Endlichkeit und damit das „Hörenkönnen
in die Ferne" zeitigt? Hat aber dann die Philosophie
als die Selbstrechtfertigung des Daseins noch
einen freien Raum auszumessen? Oder ist sie von Anbeginn
angefochtene, durch das ursprüngliche Mitreden
angefochtene Selbstrede? Und dann also je und immer
eher in der Verteidigung als im Angriff? So daß alles,
was H. auseinanderlegt, in seinen Grenzen zu recht bestünde
, nur eben als ein immer schon in der Vergangenheit
sich vollziehendes Geschehen gekennzeichnet wäre
durch ein schlechthin verbindliches und gegenwärtiges
Angesprochen- und Zur-Verantwortung-gezogen-sein?
Ob freilich diese Mit- und Anrede gegen die Selbstrede
des transzendierenden Daseins bestehen kann, wenn
nicht in eins mit ihr der Anspruch da ist, von dem die
Theologie handelt, dürfte mit Grund bezweifelt werden.
Ob aber dann die Transzendentalphilosophie die vierte
Ursache, wenn auch nur vorläufig, auf sich beruhen
lassen könnte und die Transzendenz nicht vielmehr so
fassen müßte, daß eine Diskussion mit der Theologie
nicht bloß offen bleibt, sondern mit Notwendigkeit
einsetzt?

Bremen._ H. Knitterm ey er.

Schreiner, Lic. Dr. Helmuth: Pädagogik aus Glauben.

Schwerin i. M.: F. Bahn 1930. (229 S.) S°. RM 7—; geb. 9-*
Der Verfasser zeigt an Beispielen aus der modernen
Wohlfahrtspflege, daß mit der Humanisierung und
Säkularisierung des erzieherischen Handelns eine Ver-
äußerlichung und Entseelung desselben Platz gegriffen
hat, deren Überwindung nur durch den Wiedergewinn
einer religiösen Begründung der Erziehung möglich,
ist. Die moderne humanistische Pädagogik in idealistischer
und realistischer Ausprägung haben versagt, weil
jene die reale Wirklichkeit, diese die ideale Welt aus
dem Auge verloren haben: „Beim Idealismus die Ausfallserscheinung
in der Erfassung der Außenwelt, beim
Realismus die Ausfallserscheinung in der Erfassung
der Wertwelt". Das habe zum Subjektivismus und Materialismus
geführt. Trotzdem mildert der Verfasser
die heute üblichen Übertreibungen in der Kritik am Humanismus
, wie sie sich besonders bei Gogarten, Bohne
und Magdalene von Tiling finden. Nach Schreiner kann
die Stellung zum Humanismus nur dialektisch sein, sie
muß ein Nein und ein Ja einschließen, das Nein „gegen
den Geist des nur in sich ruhenden und durch sich bebewegten
Menschentums" und das Ja „zur Eigengestalt
des natürlichen Lebens, zur Leiblichkeit".

In einer dem Delekatschen Standpunkt verwandten
Weise sieht der Verfasser nicht in irgendeiner pädagogischen
Theorie, sondern in der Unmittelbarkeit des
Gemeinschaftslebens die eigentlich erziehende Macht:
„Jede bewußte Gestaltung des Erziehungsvorganges
muß die Wirklichkeit der konkreten Gemeinschaftsformen
voraussetzen". Der heutige Verfall des Gemeinschaftslebens
bedingt auch den Verfall der Erziehung.
Der Anspruch des Unbedingten wird weggedeutet, aus
dem „Sollen" wird bloße Zweckmäßigkeit gemacht. Das
soziale und kulturelle Leben ist dadurch dämonisiert
worden, und mit den Gemeinschaftsordnungen schwindet
auch der Ansatzpunkt des pädagogischen Handelns. Die
Pädagogik der Gegenwart steht deshalb in der „doppelten
Ratlosigkeit", daß sie zwischen schrankenlosem
Optimismus und tiefem Pessimismus hin und her
schwankt und daß wir als subjektivistische, sündige
Menschen die Gemeinschaft von uns aus nicht neu begründen
und gestalten können.

Darüber kann nur eine Pädagogik aus Glauben
hinweghelfen, die das Schwanken zwischen Optimismus
und Pessimismus überwindet, indem sie uns in eine
neue Gemeinschaft stellt und den Willen zu neuer Gemeinschaft
gibt. Das auch in der Pädagogik erfolgende
Gericht Gottes über die Kultur ist ein neuer Anspruch
Gottes an uns, der uns in seine Gemeinschaft
ruft und dadurch befreien und gestalten will. Allein auf
dieser Grundlage ist wirkliche Pädagogik möglich, die