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Ausgabe:

1931 Nr. 11

Spalte:

261-262

Autor/Hrsg.:

Steinberg, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Das Problem der sozialen Erziehung in der klassischen Pädagogik 1931

Rezensent:

Kesseler, Kurt

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Seite 1

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261 Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 11. 262

muß" (20). Nicht bei allen Menschen wirkt gerade I neben den genannten Klassikern Herder und Wilhelm

Ästhetik, künstlerischer Eindruck, wie bei ihm ins Tiefste : von Humboldt. Doch hat den Verfasser wohl sein

(108). Es liegt bei Veit eine eigenartige und gewiß systematisches Grundmotiv zu der Auswahl bestimmt,

auch fruchtbare Verbindung von Christentum und Idea- , und deshalb möge man sie gelten lassen, denn der syste-

lismus vor, aber es wird die zweite Seite im Ausdruck j matische Grundgedanke wird durch die Behandelten

überbetont. Das äußert sich z. B. auch in so weit- : gut veranschaulicht.

gehenden Wendungen wie denen: wahre Frömmigkeit ! Der Verfasser hält es mit Schleiermachers Gleichmüsse
durchaus etwas Spielerisches im Sinne Schillers j schwebe zwischen universeller und individueller Er-
und etwas Tanzendes im Sinne Nietzsches an sich ; ziehung, zwischen staatsbürgerlicher und persönlicher

haben (21, 69). Damit drückt er den stärksten Gegensatz
zu dem Starren, Nüchternen, Papierenen des Protestantismus
aus (151, 188)

Bildung. Mit Schleiermacher erkennt er auch den von
Pestalozzi und Herbart nicht gesehenen oder zu wenig
gesehenen hohen sozialpädagogischen Wert der Schule.

Gegen den Protestantismus, dem er doch selber J Helvetius kam trotz seines kollektivistischen Bildungs-
angehört, bringt er mit Vorliebe „schlimme Ketzereien" [ ideals an das eigentliche Problem einer den Menschen
vor (158). An ehrlicher Selbstkritik leiden wir gegen- | wirklich innerlich erfassenden sozialen Erziehung gar-
wärtig keinen Mangel, wogegen ja nichts einzuwenden j nicht heran, Locke dagegen ist darin viel weiter vorgehst
. Aber was Veit hier bietet, verdient Zurückweisung, i schritten; seine besondere Bedeutung wird in der sozialweil
Licht und Schatten zwischen Katholizismus und
Protestantismus ungerecht verteilt werden. So Tiefes
er nämlich für die religiöse Seelenkunde beibringt, so
Fragwürdiges bietet sein Geschichtsanblick. Er mustert
nebenbei unter seinem „künstlerischen Gesichtspunkt"
die Geschichte des Christentums durch in der Meinung
, dieser sei „viel wirklichkeitsgemäßer und gerechter
als der moralische", der herkömmlicherweise
bei uns Protestanten zu Hause ist (154). Manches ist

pädagogischen Auswertung der vorsozialen, triebhaften,
auf Geltung gerichteten Seelenkräfte gesehen, während'
von Pestalozzi und Fichte mehr die eigentlich sittlichen,
mehr oder weniger von Gemeinschaftsgeist erfüllten
Grundhaltungen hervorgehoben und gepflegt werden.
Rousseau wird von St. einseitig als „extrem individualistisch
" gewertet, seine Pädagogik verkenne völlig die
„wesenmäßig soziale" Natur des Kindes. Man wird
hier vielleicht unter pädagogikgeschichtlichem wie unter

ja leider wahr, was er bemängelt. So etwa, daß wir es j kindespsychologischem Gesichtspunkt ein Fragezeichen

„weder zu einem religiös-protestantischen Kirchenbaustil
noch zu einer dem Priestertum aller Gläubigen entsprechenden
gottesdienstlichen Feier" gebracht haben
und daß das Wort: Pastorenkirche auf eine schlimme
„Verholzung" hinweise (159). Auch dürfte er von eigenen
Erfahrungen reden, wo er von unserer „schrecklichen
Angst vor allen neuen, ungewohnten, religiösen

machen. Die soziale Tendenz bei Pestalozzi und Fichte
werden richtig herausgehoben, bei Pestalozzi vielleicht
zu wenig, immerhin ist es gut, daß auch einmal wieder
auf den individuellen Erziehungsgedanken bei Pestalozzi
so nachdrücklich aufmerksam gemacht wird. Richtig gesehen
ist auch, daß Herbarts Gedanke des erziehenden
Unterrichts wohl gewisse soziale Motive enthält, daß

L e b e n s äußerungen", besonders „vor allem Künstle- er aber die sozialerzieherische Möglichkeit der Schule
rischen und vor allem Schwebenden in der Religion" keineswegs ausschöpft, weil er Lehrer und Schüler nur
spricht (159 f.). Aber das berechtigt ihn doch noch i durch die Sache, nicht unmittelbar persönlich verbindet,
nicht, vom Protestantismus als Ganzem so zu urteilen, j Düsseldorf. Kurt Kesseler.

Er würde wahrscheinlich in dem nach seiner Meinung
lebendigeren und beweglicheren Katholizismus nicht
lange Gelegenheit haben, solche ketzerische Ansichten

SOEBEN ERSCHIEN

über die eigene Kirche 'zu äußern. Der Fall Wittig | ADOLF VON H ARN ACK

sollte vor allzuschön gefärbter Sicht bewahren. Zumal

in einer Zeit, wo unsere katholischen Mitbrüder solche
Worte über die evangelische Kirche gern zu ihrem
Vorteil verwenden. Ist es etwa nicht Romantik, im
religiösen Mittelalter ein „Paradiso" zu sehen und daß
„die christliche Kirche bis tief ins Mittelalter hinein —
einem grünenden und blühenden Park glich"? (152f.).

Veit läßt leider selbst in dieser Hinsicht einigermaßen
vermissen, was er in dem schönen Abschnitt:
Im Park des Christus an Wesenszügen erschaut: Gerechtigkeit
und Gütigkeit. An der Wirklichkeit der beiden
Kirchen gemessen, bedarf das, was er vorbringt,

starker Korrekturen. ^ Verzeichnis seiner Schriften

Verzeichnis seiner Schriften 1927—1930.
Von Lie. theol. Friedrich Smend,

Bibliotheksrat a. d. Preuß. Staats-Bibliothek in Berlin.
Mit Verzeichnis der Adolf von Harnack gewidmeten
Schriften v. Bibliotheksrat Dr. Axel V. Harnack, Berlin.

32 S. 8°. RM 3.—.

Dieses Heft beschließt die nachfolgende aus einer
Festgabe der Preuß. Staats-Bibliothek zum 75. Geburtstage
des Gelehrten erwachsene Arbeit:

ADOLF VON HARNACK

Steinberg, Prof. Dr. Wilhelm: Das Problem der sozialen
Erziehung in der klassischen Pädagogik. München: E. Reinhardt
1931. (146 S.) 8°. RM 3-80; geb. 5.50
Das Verhältnis von sozialer und individueller Erziehung
ist eins der großen grundlegenden Probleme
aller Erziehung. Man kann an der Bevorzugung der
einen vor der andern ganze Zeitalter unterscheiden, und
man kann aus den in der Geschichte vorliegenden Lösungsversuchen
für die Gegenwartspädagogik lernen.
Denn auch unsere Zeit ist von der Frage nach dem
Verhältnis von individualer und sozialer Erziehungsaufgabe
beherrscht. In diese Zusammenhänge stellt der
Verfasser die klassische Pädagogik und zieht von ihr
Richtlinien zur Gegenwart.

Man vermißt freilich eine genaue Bestimmung des i mJT TÄKulturwelt genießt.
Begriffes der klassischen Pädagogik. Daß Rousseau,
Pestalozzi, Fichte, Herbart und Schleiermacher dazu gehören
, ist unbestreitbar, fraglicher schon, ob man Locke

noch dazu zählen darf, ganz problematisch ist die | * * VERLAG DER J. C. HINRICHS'SCHEN
Zugehörigkeit von Helvetius. Anderseits vermißt man BUCHHANDLUNG IN LEIPZIG C1

Unter Benutzung der Harnack - Bibliographie von
Max Christlieb bearbeitet von Friedrich Smend.

n,

VI, 181 S. 8°. 1927. Preis geh. RM 12.75.

Diese nunmehr abgeschlossene Bibliographie gibt von
dem Lebenswerk Adolf v. Harnacks ein umfassendes
Bild. Der Vielseitigkeit im Schaffen dieses Mannes
entspricht die Mannigfaltigkeit der Fundorte seiner
im Druck erschienenen Arbeiten; so wird ein bibliographisches
Hilfsmittel zur Erschließung gerade dieser
Lebensarbeit besonders willkommen sein. Da auf die
Verzeichnung der Ubersetzungen besonderes Gewicht
gelegt wurde, gewinnt der Leser zugleich einen Ein.
druck davon, welches Ansehen deutsche Wissenschaft
in einem ihrer ganz großen Vertreter in der gesamten