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Ausgabe:

1931 Nr. 1

Spalte:

7-10

Autor/Hrsg.:

Klausner, Joseph

Titel/Untertitel:

Jesus von Nazareth 1931

Rezensent:

Dalman, Gustaf

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 1.

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Alles in allem ein Buch, das man mit reichem Gewinn
aus der Hand legt.

Tübingen. Paul Volz.

Klausner, Prof. Dr. Joseph: Jesus von Nazareth. Seine Zeit,
sein Leben und seine Lehre. Autor. Übersetzung aus dem Hebr. j
von Dr. W. Fischel. Berlin: Jüdischer Verlag 1930. (592 S.) gr. 8°.

geb. RM 16—.

Das seit 1922 in Jerusalem in 4 Auflagen hebräisch
herausgegebene und durch engl. Übersetzung
einem größeren Kreise zugänglich gewordene Werk,
welches jetzt deutsch erscheint, steht im Zusammenhang
mit der langjährigen Arbeit des Verfassers, welche dem
jüdischen Messianismus der älteren Zeit, aber auch der
allgemeinen Geschichte des nachexilischen Judentums
gilt, deren neueste Probe in dem soeben erschienenen
Hab-bajit has-senl bigedullätö vorliegt, das verschiedene
Einzelheiten aus der Zeit des zweiten Tempels betrachtet
. Kl. behandelt in Buch I (S. 13—168) zuerst die jü- j
dischen Quellen für das Leben Jesu, deren älteste I
Gruppe ihm die tatsächliche Existenz Jesu feststellen
hilft, aber auch durch ihre Bezeugung seiner Wunder,
seiner Stellung zur Rechtstradition und seines gewaltsamen
Todes Bedeutung hat, während ihre Angaben
über seine Herkunft nur mit der Jungfrauengeburt der
christlichen Quellen zusammenhängen. Alle späteren
jüdischen Zeugnisse werden als für die Erkenntnis des
geschichtlichen Jesus wertlos betrachtet, womit der Verf.
sich von den das jüdische Volk lange Zeit beherrschenden
Vorstellungen von Jesus abwendet. Konsequent
wäre es gewesen, wenn er zugegeben hätte, daß die da
übliche Form seines Namens Jesu, die er auch in den
Titel seines hebräischen Buches setzt, eine durch die
Vermeidung der Aussprache götzendienerischer Namen
veranlaßte Entstellung ist, da die volle Form Jesüa' |
durch Ossuarieninschriften für Jesu Zeit hinreichend 1
bezeugt ist. Das meist angefochtene Zeugnis des Je- I
sephus reinigt Kl. von den Sätzen, welche Jesus als |
übermenschlichen Messias und als auferstanden bezeichnen
, während er den Rest als echt betrachtet, auffallender
Weise auch die Bezeugung des Eindrucks seiner i
Lehre auf alle, welche „mit Freuden bereit sind, die |
Wahrheit zu empfangen". Zu wenig gewertet wird Pau- j
lus, der doch immer als der älteste Zeuge gelten muß,
weil er nach Kl. den geistigen Jesus über den physischen
erheben wollte. Das Johannesevangelium wird
wegen seiner theologischen Orientierung von den Quel- I
len ausgeschlossen, als welche die Synoptiker in der j
Reihenfolge Markus, Matthäus, Lukas (zwischen 80 und
100 n. Chr. entstanden) schließlich allein übrig bleiben,
da die außerkanonischen christlichen Berichte wenig i
Glaubhaftes mitteilen. Ihre wesentliche Übereinstimmung
mit dem jüdischen Leben und Denken des ersten
Jahrhunderts gilt als Beweis für ihre Zuverlässigkeit,
obgleich es an späteren Einschlägen und Umzeich-
nungen des ursprünglichen Bildes nicht fehlt. Nach
dieser Einleitung folgt S. 169—307 als zweites Buch
eine Schilderung der politischen, wirtschaftlichen und
religiösen Verhältnisse Palästinas zur Zeit Jesu. Die
von den Hasmonäern errungene Selbständigkeit der Juden
war verloren, die Frage brennend, auf welchem
Wege die Freiheit, wie sie einem Volke Gottes zusteht,
wieder gewonnen werden könne. Auch die wirtschaftliche
Lage war seit Herodes durch eine große Steuerlast
unerträglich geworden und verstärkte deshalb die
Sehnsucht nach einem idealen Reiche. Aus den „Frommen
" der vormakkabäischen Zeit waren damals die
Essäer, die Pharisäer und die Zeloten hervorgegangen.
Dem Essäismus, dessen auf dem sakralen Reinheitsgedanken
beruhendes Wesen Kl. nicht genügend hervorhebt
, habe das Christentum vieles entnommen, während
Jesus eigentlich auf dem Boden des Pharisäismus stand,
obwohl er seine die Form des nationalen Lebens bestimmende
Gesetzesbeobachtung ablehnte. Die aus den
Hellenisten hervorgegangenen Sadduzäer standen Jesu
fern, obgleich hätte erwähnt werden können, daß seine
Stellung zum Traditionsrecht und zum geschriebenen Gesetze
an ihre verwandte Haltung erinnert, nur daß er
dabei an die Tendenz des göttlichen Willens dachte,
sie an seine im Rechtswesen zu beachtende Form. Gegenüber
den Zeloten, die Gewalt gegen Gewalt setzen
wollten, findet Kl. bedeutsam die „Stillen im Lande",
denen ein universalistischer Messianismus einer rein
geistigen Erlösung eigen gewesen soll, aus deren Kreise
Jesus stammte, obwohl Kl. anderwärts mehrfach betont
, daß seine Vorstellung vom Gottesreich national
bestimmt war. Der Beweis für das Vorhandensein dieser
Gruppe fehlt, es ist nur aus dem Auftreten Jesu
erschlossen.

Das 4. bis 7. Buch (S. 309—500) gilt dem Leben
Jesu. Die Geburt in Bethlehem wird abgelehnt. Nazareth
war Jesu Heimat, Joseph sein Vater. Als messia-
nischer Phantast, von denen es in Nazareth gewimmelt
haben soll, ließ er sich von dem Enthusiasten Johannes
taufen, den er als Vorläufer des Messias anerkannte, und
kam dabei zu der Überzeugung, daß er, der Visionär,
der sich Gott so nahe fühlte, der Messias sei. Seine
„Versuchung" soll daher Ablehnung des Zelotentums,
der Gesetzesgelehrsamkeit und des irdischen Reichtums
bedeuten, wie es seiner träumerischen und geistigen Natur
entsprach. Seine Tätigkeit mit dem Mittelpunkt Ka-
pernaum, das Kl. zur Ginnesarebene in Beziehung stellt
und auf das Westufer des Sees legt, war dann die eines
Wanderrabbi, der sich durch seine Gleichnisse auszeichnete
, was die Synoptiker durch Mißverständnis des
Wortes möse in ein autoritatives Reden verwandelt
haben sollen (z. B. Matth. 7, 29), obwohl Kl. zugeben
muß, daß es Jesus eigen war, autoritativ aufzutreten
und nicht andere Autoritäten zu zitieren, wie es die
Schriftgelehrten tun. Da Nazareth ihn abwies, mußte
er anderwärts seine Anhänger suchen, zu denen vor
allem der „gedankenlose und oberflächliche Schwärmer"
Petrus gehörte. Durch „viel zu schroffe" und zu der
christlichen Vorstellung von seiner Sanftmut nicht stimmende
Stellungnahme zum Begriffe der „Unreinheit"
vollzog sich der Bruch mit den Pharisäern. Der Vorwurf
(Mk. 7, 11 f.), daß die Pharisäer ein einmal ausgesprochenes
Gelübde höher stellen als die Kindespflicht
, werde wohl irrtümlich sein, weil die Mischna
das Gegenteil sage. Doch ergibt genauere Beachtung
hier wie bei allen rabbinischen Parallelen zu Worten
Jesu, daß es damit anders steht. Ned. II 2 hatte der
Gelobende nicht gewußt, daß seine Eltern unter den
vom Gelübde betroffenen war, dann ist die Frage, ob
es für sie gilt, und Ned. IX 1 wird die Möglichkeit erwogen
, ein die Eltern treffendes Gelübde zurückzunehmen
, also vorausgesetzt, daß es giltig bleibt, bis dies
geschah. Kl. selbst meint, daß die Erlaubnis der Zurücknahme
vielleicht eine spätere Erleichterung sei. Verbittert
durch seinen Mißerfolg floh Jesus aus Galiläa
in heidnisches Gebiet, wo er den seine Messianität anerkennenden
Jüngern von seinem Leiden redet, ohne an
Tod zu denken. Nachdem die Samaritaner ihm den Weg
nach Jerusalem versperrten (was doch Lk. 9,52 nicht
gesagt ist), kam er über Jericho dorthin, mit der Absicht
, sich dort als Messias zu proklamieren und in dem
Glauben, daß das Volk ihn anerkennen und mit ihm
durch schwere Tage gehen werde, bis er dann in Herrlichkeit
erscheine, eine Vorstellung, die bei dem Träumer
und Phantasten Jesus ebenso möglich sei wie bei
den Autoren der Bücher Daniel, Henoch und IV. Esra.
Einzug und Tempelreinigung sollen auf dieser Absicht
beruhen. Wie menschlich sich Kl. Jesus denkt, zeigt,
daß nach Kl. die Vollmacht, auf die er sich stützte
(Matth. 21, 23 ff.), die Macht seiner Anhänger war, während
doch sein Gleichnis (Matth. 21,33 ff.) zweifellos
macht, daß er an Gott dachte. Aus Furcht vor der