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Ausgabe:

1931 Nr. 11

Spalte:

256-258

Autor/Hrsg.:

Wicke, Karl

Titel/Untertitel:

Die hessische Renitenz 1931

Rezensent:

Cohrs, Ferdinand

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 11.

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bekannten Verhandlungen des Jahres 1683 von den i
Verhandlungen v. 1682 zu trennen sind. Weidemann
stellt nun klar, daß i. J. 1683 ein eigentlicher Unionskonvent
getagt hat, und daß die Verhandlungen v. '•-
1682 für diesen eine Vorbereitung gewesen sind. Dadurch
kommt in die vielfach „verworrene" (S. 152) :
Darstellung der Verhandlungen erfreuliche Klarheit.
Nicht nur bricht der Unionskonvent nicht plötzlich und
unvermittelt herein; es bieten sich auch für die grundlegenden
Niederschriften dieses Konvents Anknüpfungen,
die ihre Entstehung erklären oder wenigstens ahnen
lassen (vgl. S. 32). So sind gleich die Regulae Spinolas
, die dieser dem Celler Obersuperintendenten, nachdem
er lange mündlich mit ihm verhandelt hat, für eine
Nacht zur Durchsicht gibt (S. 40), wohl in irgend einer
Weise eine Frucht jener Vorverhandlungen; drückt
Weidemann sich auch sehr vorsichtig aus, so zeigt sein
Zweifel, ob die Regulae wirklich 1683 zum erstenmal
vorgelegt worden seien (S. 41, Anm.), doch derartige
Gedanken. Vor allem aber wird klar, wie Molanus
zur Abfassung eines Unionsvorschlages, seiner Methodus
reducendae unionis ecclesiasticae inter Romanenses et
Protestantes, und der Censura Regularum, der Kritik
des Vorschlages Spinolas, schnell bereit und geschickt
sein konnte. Diese beiden, wie Weidemann nachweist,
zweifellos von ihm verfaßten fundamentalen Aeuße-
rungen der damaligen Verhandlungen zeigen dann aber
zugleich den bestimmenden Anteil Molans an der geplanten
Friedensaktion; und es erklärt sich, daß es |
Spinola nachher auch immer gerade wieder um Mo- j
lans Mitwirkung zu tun war. Molans Absagebrief v. ;
Ende Mai 1693 (S. 78), den Spinola nicht lange vor
seinem Tode erhielt, und auf den er nicht mehr geantwortet
hat, bedeutet das Scheitern der Reunionsver-
handlungen in ihrer ersten Periode.

Hatte Molanus in dieser in uns unbegreiflichen
„Illusionen" (S. 57) wirklich auf eine Verständigung
mit der römischen Kirche gehofft, so ist er in der zweiten
, bei den nach Spinolas Tode von Leibniz neu ange- j
regten Verhandlungen, zurückhaltender und vorsichtiger.
Gilt er auch immer noch als der Führende (S. 112), so
war der eigentlich Treibende jetzt doch Leibniz. Nur
durch seinen Einfluß läßt Molanus sich dafür gewinnen, j
die schon früher gebrauchte Unterscheidung zwischen j
göttlichem und menschlichem Recht in der Herrscher-
Stellung des Papstes wieder hervorzuholen und dadurch j
eine Handhabe für die Unterordnung der Protestanten
unter ihn zu gewinnen. Wohl legt er noch einmal ein
Unionsprojekt vor, i. g. eine, wie Weidemann nachweist
, häufig wörtliche Wiederholung seiner Methodus
(S. 117). Aber man hat den Eindruck, daß er nicht
mehr an die Sache glaubt. Sein Testament und sein i
Gutachten bei der Vermählung der lutherischen Enkelin
des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig mit dem
katholischen König Karl III. von Spanien zeigen dann
auch, daß es für ihn Grenzen gab, über die er nicht
hinaus konnte.

Die Unionsverhandlungen mit Bossuet, denen j
Weidemann das 5. Kapitel des 4. Abschnitts widmet,
bezeichnen nur eine Episode. Sie gehen klanglos aus, 1
weil auf beiden Seiten man ihre Zwecklosigkeit einsah.

Die „innerprotestantischen Verhandlungen" (4.
Abschn., II. Teil), die Bemühungen Leibniz' um eine
Vereinigung der Lutheraner mit den Reformierten, sind
für uns dadurch wichtig, daß sie nach Weidemanns
bedeutungsvollem Funde zu einem der „interessantesten
Dokumente für die Zusammenarbeit Leibniz' und Molans
" die Veranlassung gewesen sind: zu der Antwort
der beiden auf „die kurze Vorstellung der Einigkeit und
des Unterschiedes im Glauben beider evangelischen
Kirchen" v. 1697. Molans und Leibniz' Schriftzüge
stehen hier neben und durch einander (s. den ersten
unter den unserem Hefte beigegebenen drei Faksimiledrucken
).

Nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung ist

Weidemanns Arbeit das Umfassendste und Vollkommenste
, was über die Unionsverhandlungen geschrieben ist.
Und doch lassen sie auf weitere Untersuchung hoffen.
Die in Sachsen veröffentlichte Ausgabe der Censura
und der Methodus ist noch nicht bekannt (S. 72); es
läßt sich deshalb noch nicht feststellen, ob Molans Behauptung
, in Sachsen seien die beiden Schriften in veränderter
Fassung ausgegangen, nur eine Ausflucht gewesen
ist, was immerhin für das Gesamturteil über Molanus
ins Gewicht fiele. Unbekannt ist auch Friedr.
Ulr. Calixts Censura Regularum (S. 59), deren Ver-
gleichung, um Molans Stellung ins rechte Licht zu
rücken, dringend erwünscht wäre. Ja auch die abschließende
Censura v. 18. Juni 1683 ist bisher nicht
wieder aufgefunden (S. 60). Hiltebrandt hat über seine
Funde im Vatikan noch eine ausführlichere Darstellung
versprochen (S. 152). Vielleicht, daß sie weiterer Forschung
noch aussichtsreiche Wege zeigt.

Mehrere wertvolle Dokumente, auch aus der
Kaiserlichen Hofbibliothek in Wien, auf die Menge (s.
oben) zuerst hingewiesen, hat Weidemann seinem Buche
hinzugefügt. Schade, daß es nicht noch mehr haben
sein können, und daß der Herr Verfasser überhaupt
hinsichtlich des Umfangs sich Beschränkungen hat auferlegen
müssen. Aeußerungen aus dem weiteren Kreise
der Beteiligten, wie die der Sophie von Hannover,
daß die Hauptpunkte bei den Verhandlungen mit Spinola
die Souveränität der Fürsten über ihre Kirchen
und die Nicht-Restitution des säkularisierten Kirchengutes
sei, „das übrige aber nur Kleinigkeiten" (S. 35),
beleuchten die ganze Lage mehr, als alle langatmigen
Ausführungen; und man hätte gerne noch andere derartige
gehört. Sie zeigen, daß die Zeit für solche Verhandlungen
reif war, und sind geeignet, Molanus von
manchem Vorwurf zu entlasten. Ja, solchen Anschauungen
gegenüber erscheint er als evangelischer Charakter
.

Mögen die „Studien" die kirchengeschichtliche Forschung
Niedersachsens bald wieder mit einem ähnlich
bedeutsamen Buche beschenken.

Druckfehler sind medicando (S. 8) und acque (S. 43). Die Schmal-
kaldischen Artikel (S. 6f.) sähe man lieber in Luthers Sprache zitiert;
sie klingt markiger, als das Lateinische der symbolischen Bücher (s.
Weim. Ausg. L, S. 17S).

Stederdorf b. Ülzen. Ferdinand Cohrs.

Wicke, Karl: Die hessische Renitenz, ihre Geschichte und
ihr Sinn. Kassel: Bärenreiter-Verlag 1930. (194 S., 3 Taf.) gr. 8°.

RM 7-; geb. 9—.

Im „Deutschen kirchlichen Adreßbuch" (1. Ausg.,
Jahrg. 1927, S. 1818) sind als „Renitente Kirche umgeänderter
Augsburgischer Konfession in Hessen" gezählt
fünf Geistliche in Altenstädt, Balhorn, Kassel,
Melsungen und Gertrudenstift bei Großenritte und 1336
Gemeindeglieder; Froböß in seinem Artikel: „Separierte
Lutheraner" (Real.-Encykl. XII, 1903, S. 15) zählt
noch 2400 Gemeindeglieder; unser Buch gibt für 1878
etwa 2900 Gemeindeglieder an (S. 105). Die Bewegung
ist also in stetem Rückgang begriffen und wird nach
einem Abstand von abermals 25 Jahren voraussichtlich
auf einen geringen Rest zurückgegangen sein. Froböß'
hoffnungsvolle Worte, mit denen er seinen Artikel
schließt, daß „gegenüber der zunehmenden Bekenntnis-
losigkeit der Massen die lutherischen Freikirchen der
Sammelpunkt der bekenntnistreuen Lutheraner werden
möchten", scheinen hinsichtlich der hessischen Renitenz
also nicht in Erfüllung gehen zu sollen. Und man
hätte dem Herrn Verfasser für sein Buch getrost die
offiziellen Akten über die Entstehung der hessischen
Renitenz aushändigen mögen (S. 176 unten). Die geschichtliche
Darstellung wäre dadurch noch erheblich
lehrreicher geworden.

Nur mit tiefer Wehmut liest man diese Ausführungen
und bedauert, daß eine Reihe gerade der tüchtigsten
Geistlichen der hessischen Kirche der Arbeit an
dieser entzogen worden sind oder sich ihr entzogen