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Ausgabe:

1931 Nr. 11

Spalte:

254-256

Autor/Hrsg.:

Weidemann, Heinz

Titel/Untertitel:

Gerard Wolter Molanus; 2. Bd. 1931

Rezensent:

Cohrs, Ferdinand

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 11.

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Aufnahme finden müssen. Fügen wir noch hinzu, daß
man immer wieder auf kleine Ungenauigkeiten und tatsächliche
Unrichtigkeiten stößt, — besonders stark ist
mir das aufgefallen in dem Abschnitt über Johann
Sleidan —, so haben wir den Grund für alle diese an
sich leicht vermeidbaren Mängel wohl in der Tatsache
zu suchen, daß der Verf. unzweifelhaft über eine ausgebreitete
Kenntnis des Reformationszeitalters im allgemeinen
verfügt, daß ihm aber, der nicht eigentlich
Reformationshistoriker ist, die intime Kenntnis der Einzelheiten
fehlt, und doch muß von einem solchen Werk,
das in erster Linie für Studenten und Schulmänner,
denen eine sachliche Nachprüfung der Einzeltatsachen
nicht leicht möglich ist, geschrieben ist, auch Treue und
Gewissenhaftigkeit im Kleinen gefordert werden.

Doch genug dieser Bemängelungen, welche bei
einer neuen Auflage berücksichtigt werden mögen, die
aber unseren großen Dank und unsere lebhafte Anerkennung
für die schöne Gesamtleistung des Verf.'s in
keiner Weise schmälern sollen.

Diese Leistung besteht vor allem darin, daß hier
zunächst die wesentlichen Veröffentlichungen über das
Reformationszeitalter nicht nur aufgezählt und auf ihren
Quellenwert hin charakterisiert, sondern auch in den
Rahmen der Gesamtgeschichte des Zeitalters, der politischen
, kulturellen wie literarischen, eingereiht, daß die
Problemstellungen, die sie angeregt haben, klar hervorgehoben
und beleuchtet werden. Den großen Fortschritt,
den Sehn.'s Werk in dieser Beziehung bedeutet, empfindet
man besonders stark bei einem Vergleich mit Gustav
Wolfs auch verdienstlicher, zweibändiger „Quellenkunde
der deutschen Reformation" (1915 u. 1916): diese
bringt, lediglich quantitativ betrachtet, unzweifelhaft
mehr, und sie wird für denjenigen, welchem es auf eine
möglichst vollständige Bibliographie auch über die einsamen
Pfade engster Spezialforschung ankommt, mehr
bieten; aber qualitativ möchte ich dem Werk von Schnabel
wegen seiner Konzentrierung auf das Wichtigste,
wegen seiner scharfen Herausarbeitung der wesentlichen
Probleme unbedingt den Vorzug geben, besonders weil
es den Studenten wirklich in die großen Fragen jener
Epoche einführt, ihn diesen Fragen näherbringt.

Auf Einzelheiten kann ich hier nicht eingehen;
für die Leser dieser Zeitschrift möchte ich aber auf
die sehr verdienstliche Zusammenstellung und Charakterisierung
der „Kirchenordnungen, Schul- und -Bekenntnisschriften
" (S. 175—187) hinweisen. Der letzte
Abschnitt über die Darstellungen von Guicciardini bis
Joachimssen (1930) möchte ich meinem persönlichen
Empfinden nach am höchsten bewerten; gewiß, manch
einer wird vielleicht eine schärfere Stellungnahme des
Verf.'s zu Denifles und besonders zu Grisars Arbeiten
wünschen, aber, als Ganzes betrachtet, ist es hier doch
die Gestalt unseres großen Reformators, die in der ihr
zu Teil werdenden unparteiischen Würdigung alles überragt
oder richtiger, es wird zu zeigen versucht, wie sich
die ablaufende Reihe von Gelehrtengenerationen, von
Melanchthons erstem biographischen Versuch, über Ma-
thesius'Lutherpredigten im 16. Jahrhundert, über Ranke,
Döllinger, Janssen, Denifle, Grisar hinweg zu Burck-
hardt, Dilthey und Karl Holl im 19. und 20. Jahrhundert
bemüht hat, in den Kern von Luthers Wesen und
in die Wirkung seines Lebens einzudringen; wir erhalten
die Geschichte des Lutherbildes im Wandel der Jahrhunderte
, welche die Probleme der Lutherforschung besonders
seit Döllingers Reformationsgeschichte sehr fein
herausarbeitet, ja man möchte fast meinen, daß die
anderen, zumal die politischen Gestalten der Epoche,
Karl V., Ferdinand, Philipp von Hessen, Johann Friedrich
von Sachsen, dessen dreibändige Biographie von
Georg Mentz gar nicht erwähnt ist, vor dem Reformator
über Gebühr stark zurücktreten müssen. Merkwürdig
ist, einen wie breiten Raum der Verf. den einst viel
gelesenen Arbeiten von E. Troeltsch über Luther widmet
, obwohl er ausdrücklich betont, daß diese Arbeiten

durchweg nicht auf eigener Forschung beruhen, sondern
nur aus zweiter Hand stammen, daß sie stilistisch nicht
einwandfrei und schlecht disponiert sind, und daß im
Grunde genommen Karl Holl, der „nicht nur der Gesamtauffassung
von Troeltsch in jeder Hinsicht widerspricht
, sondern auch seinen einzelnen Thesen, mit denen
er so großen Beifall geerntet hatte" (S. 351), in der
so wichtigen von Döllinger und dann von Denifle und
Grisar energisch angepackten Frage von Luthers Verhältnis
zum Mittelalter, über Troeltsch hinwegschreitend,
wieder an Diltheys Aufstellungen anknüpft, sodaß
Troeltsch' Lebenswerk auf diesem Gebiet lediglich als
eine aus „kirchenpolitischen Augenblicksinteressen" hervorgegangene
Episode der wissenschaftlichen Erörterung
über Luther erscheint.

Ich breche ab. Moritz Ritter hat einmal über
Fr. X. von Wegeies „Geschichte der deutschen Historiographie
" (1885) geurteilt, es sei ein Buch, das man
mehr zitieren als lesen werde. Wir möchten demgegenüber
dem Verf. wünschen, daß sein Werk nicht nur
viel zitiert, sondern noch mehr gelesen werde, denn —
ungeachtet aller Einzelausstellungen — ist es im
höchsten Grade geeignet, nicht nur in die Quellen,
I sondern auch in die großen Probleme der Forschung
] und der Geschichtsschreibung über die Reformationszeit
denjenigen, welcher es mit der nötigen Kritik zu benutzen
versteht, aufs trefflichste einzuführen.
Göttingen. Adolf Hasenclever.

Weidemann, Lic. Dr. Heinz: Gerard Wolter Molanus, Abt
zu Loccum. Eine Biographie. 2. Bd. Mit einem Bildnis und drei
Faksimiledrücken. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1929. (VII,
148 S.) gr. 8°. = Studien z. Kirchengeschichte Niedersachsens 5. RM 7 —.
Der erste Band dieser Biographie des Gerard Wolter
Molanus ist im Jahre 1925 als 3. Heft der „Studien
zur Kirchengeschichte Niedersachsens" erschienen (besprochen
: Theol. Lit.-Zeitung 1926, S. 280 f.). Er behandelte
den „großen Abt" als Konsistorialdirektor in
seinem innerhannoverschen Wirken. Der vorliegende
2. Band zeigt ihn in seiner kirchengeschichtlichen Bedeutung
, teils in seinem Wirken als Abt von Loccum
(3. Abschnitt), vor allem aber als Teilnehmer an den
kirchlichen Reunionsverhandlungen in der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts (4. Abschnitt).

Aber auch des Molanus Wirken als Abt reicht
über die Grenzen der weifischen Herzogtümer hinaus.
Denn Loccum ist das älteste evangelische Predigerseminar
, und des Molanus „Leges Hospitii" sind für
ein evangelisches Predigerseminar das älteste Programm
. Weidemann bespricht eingehend sie und ihre
Schicksale. Stofflich bringt dieser 3. Abschnitt nichts
wesentlich Neues. Weidemann konnte auf die sorgfältigen
Vorarbeiten von Fr. Schultzen (Gesch. d. Klosters
in „Zum Jubiläum des Kl. Loccum", Hann. 1913)
und Friedr. Uhfhorn (Luth. Mönche in Loccum: Zeitschr.
f. Kirchengesch. X, 3. Heft) sich stützen und auf die
Verarbeitung des von diesen Gebotenen i. g. sich beschränken
.

Bedeutsame Klärungen aber bringt unser Band in
der Darstellung der Reunionsverhandlungen, zunächst
mit der römischen Kirche (4. Abt., I. Teil). Sie sind
gerade in den letzten Jahren mehrfach bearbeitet worden
. F. H. Kiefl hat 1903 (in 2. Aufl. 1925) den
Anteil Leibniz' an der „religiösen Wiedervereinigung
Deutschlands" festzustellen gesucht; G. Menge hat 1915
in den „Franziskanischen Studien" Beiträge zur Biographie
des Irenikers Spinola dargeboten; Ph. Hilte-
brandt hat 1922 in den „Quellen und Forschungen aus
italienischen Archiven" seine Forschungen über die
Reunionsverhandlungen aus den vatikanischen Akten
veröffentlicht. Dabei hat er zuerst nachgewiesen, daß
schon i. J. 1682 Verhandlungen in der Reunionsfrage
mit Spinola stattgefunden haben, und daß schon an
diesen neben dem Celler Obersuperintendenten Barck-
haus in erster Linie Molanus beteiligt gewesen ist.
Hiltebrandt hat aber nicht erkannt, daß die schon früher