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Ausgabe:

1931 Nr. 9

Spalte:

213-215

Titel/Untertitel:

Evangelische Diaspora und Gustav-Adolf-Verein 1931

Rezensent:

Usener, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 9.

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den Rheinlanden 37 Jahre lang als Volksmissionar und
Exerzitienmeister. Seine Tätigkeit mag wohl als Typus
der so erfolgreichen franziskanischen Missionsarbeit angesehen
werden. Seine Predigten massiv, eindringlich
und doch bis auf den Ausdruck und Vortrag einstudiert,
vielfach mit populären Merkversen ausgestattet (S. 121.
124 f.). Auch in der Tätigkeit des Exerzitienmeisters
kommt das massive, mechanisierte katholische Christentum
zu starkem Ausdruck. Leider ist das Buch, besonders
in der Schilderung der Jugendjahre überaus breit
geschrieben (z. B. füllt das wörtlich abgedruckte Maturitätszeugnis
zwei Druckseiten!) und mit überflüssigem
Lob, wie man es freilich in dieser Art Literatur gewöhnt
ist, überladen.
Stuttgart. Ed. Lempp.

Geifiler, Bruno: Evangelische Diaspora und Gustav Adolf-
Verein. Zum 70 Jahr - Geburtstag d. Vorsitzenden d. G. A. V.
Leipzig: Centraivorst, d. Ev. Ver. d. Gust. Adolf Stiftung 1930.
(455 S.) gr. 8°. = Franz Rendtorff-Festschrift. geb. RM 10—.

Mannigfache Ehrungen sind im Vorjahr dem hochverdienten
Vorsitzenden des Gustav Adolf-Vereins D.
Franz Rendtorff-Leipzig anläßlich seines 70ten Geburtstags
dargebracht worden. Die wertvollste und ihm
liebste ist gewiß die Stiftung des Studienhauses Franz
Rendtorff-Haus in dem seit seiner Gründung
mit dem G. A. V. eng verbundenen Leipzig. Es soll
Theologiestudierenden aus der Auslanddiaspora dienen.
Im vergangenen Jahr hat der G.A.V. schon 180 Studenten
der Theologie aus den Verfolgungsgebieten des
Ostens das Studium der Theologie ermöglicht; diese
Auslandsstudenten sollen, soweit sie in Leipzig studieren
, in diesem Haus die rechte Heimat und Betreuung j
finden. Zum 70. Geburtstag aber ist Franz Rendtorff,
der, wie es in einem der Beiträge der Festschrift
heißt, „der Diasporawissenschaft die Bahn gebrochen
hat", außerdem in dem Sammelwerk „Evangelische
Diaspora und G. A. V.". Herausgegeben von D. Bruno
Geißler, Generalsekretär des Zentralvorstands des G.
A. V., ein schönes EiyaQioxr;Qiov dargeboten worden,
an dem die aus Wissenschaft und Amt berufensten
Männer auf dem Gebiete der Diasporapflege und des
Auslanddeutschtums mitgearbeitet haben. Geschichtliche
, grundsätzliche und praktisch-theologische Aufsätze
, 31 an der Zahl, wechseln miteinander ab und
bieten einen ausführlichen Beitrag zur Kirchenkunde
der Gegenwart.

Den Reigen eröffnet „der" Geschichtsschreiber der G.A.V. D. Franz
Blanckmeister-Dresden mit einer feinen geschichtlichen Studie
„Sachsenhilfe für bedrängte G 1 aubensgenossen in alter
Zeit" B. geht aus von dem Trostschreiben an die 1555 aus Böhmen
vertriebenen, etwa 200 evangelischen Prediger, die in Sachsen ordiniert
waren, Melanchthon hat es in der Dresdener Superintendentur unterzeichnet
, es liest sich wie ein Schreiben des G.A.V. an die Diaspora,
wenn es da heißt: „Wo euch das Böhmerland ausspeien würde, so
wollen wir, so Gott will, beisammen sein und wie vorhin als Brüder
miteinander leben." Weiterhin wird von Sachsenhilfe berichtet bis hin
zur Tätigkeit des Leipziger Superintendenten D. Großmann, des Begründers
des G. A. Vereins. Eine sehr gründliche geschichtliche Untersuchung
bietet Oskar Br u h n s - Lei pz i g: Die evangelische
Diaspora im heiligen Römischen Reich deutscher
Nation nach dem westfäl. Frieden. Weitere Beiträge geschichtlicher
Art, immer in Beziehung auf die Diaspora, sind die von Fritz
Hauß-Stockach, Die Konstanzer Zuchtordnung von
1531, Konrad H of f m an n - U1 m , Die Aufnahme der Salz- I
burger Glaubensflüchtlinge in Deutschland, D. Heinrich
Niemöller-Elberfeld, über Immanuel Friedr. Emil
Sander, der Gründer und erste Vorsitzende des Rhein.
Hauptvereins der G.A.Stiftung.

Eine Reihe weiterer Aufsätze bringen Beiträge zur Kirchenkunde
der Gegenwart. Viktor Grüner, Oberpastor an St. Jakobi und Prorektor
am Herderinstitut in Riga, schreibt hochinteressant in Baltischer
Protestantismus von der gegenwärtigen Lage und den aus der
Trennung der deutschen und lettisch-esthnischen Gemeinden, dem vermehrten
Einfluß Roms und der Sekten, der Schwierigkeit der Theologenausbildung
sich ergebenden Problemen und von einer gewissen Hilflosigkeit
der Gemeinden den neuen Verhältnissen gegenüber. Ins Baltenland führt
auch der von Begeisterung für die „baltische Sendung" erfüllte, die
Dinge vielleicht etwas idealisierende Aufsatz von D. Peter Poelchan,

Bischof von Riga, Die St. Petrikirche in Riga, ein Wahrzeichen
baltischer Geschichte und ein Symbol baltischer
Sendung, weiter nach Osten D. Artur Malmgren,
Bischof von Leningrad, Die wissenschaftliche Schulung von
Glaubenszeugen im Leningrader Predigerseminar, wirk-
lichkeits-welt- und wissenschaftoffen. Das Predigerseminar Ersatz für die
fehlende theologische Fakultät; die sorgenvolle Frage läßt sich kaum
unterdrücken: Wird es in den Religionsverfolgungen der Sowjets am
Leben bleiben?

Ein sehr betrübliches Bild, vielleicht von Einseitigkeit nicht ganz
frei, bekommt man vom lutherischen Christentum in Nord-Amerika und
Australien durch Carl Schneider-Riga: Das Evangelium der
deutschen Reformation im angelsächsischen Gewand

Nach Österreich, Siebenbürgen, Oberschlesien, Deutsch-Böhmen
führen die Beiträge von D. Erich Stöckl-Wien, D. Dr. Friedrich
Teutsch-Hermanstadt, D. Hermann Voß-Kattowitz,
D. Erich Wehrenpfennig-Gablonz, D. Theodor Zöckler -
St anislau. Zöckler spricht von der volkserzieherischen Bedeutung
der evangelischen Kirche in der Diaspora und
Stöckl behandelt die viel besprochene Frage: Sprechen konfessionelle
Gründe gegen den politischen Wiederanschluß
Österreichs an das deutsche Reich? Th. H ec k e 1 - B e r 1 i n,
Oberkonsistorialrat und Referent für die Auslandsgemeinden, Die deutschen
evangelischen Gemeinden in den Welt-Haupt-
und Handelsstädten bespricht die soziologischen, theologischen und
die durch die Nähe eines andersartigen Volkstums mit seiner wechselnden
Staatspolitik bestimmten kulturellen Verhältnisse dieser Auslandsgemeinden
. In die enge Verbindung von Auslandsdeutschtum und evangelischer
Kirchengemeinde im Ausland läßt uns hineinsehen Karl
Kindermann-Athen, Auslanddeutsche Gesetzgebung,
Ein Beitrag zu ihrer Ergänzung. Wieviel wertvolle deutsche
Kraft ist durch eine völlig ungenügende Gesetzgebung gegenüber dem
Auslanddeutschtum verloren gegangen; auch das manches bessernde Gesetz
von 1913 war unzulänglich und ist durch die neue staatliche Entwicklung
(Wegfall der Wehrpflicht) fast illusorisch. Das Problem drängt
zur gesetzgeberischen Regelung, trotz der dagegen vorgebrachten Bedenken
Forderung der Meldepflicht beim deutschen Konsulat, aber auch
bessere Betreuung durch Konsulat und Gesandtschaft. Aus der
Sprachenfrage der Diaspora heißt der Beitrag des Herausgebers
D. Geiß ler und handelt tiefschürfend und aus gründlicher Kenntnis
der sehr verschiedenartigen rechtlicher und tatsächlicher Verhältnisse in
den einzelnen Staaten mit deutscher Minderheit von der Sekundärsprache
und ihrer Bedeutung im religiöskirchlichen
Leben.

D. Dr. Ernst Sch u bert-Berlin schreibt über Die katholische
Kirche und das Auslanddeutschtum und weiß von
sehr eifriger Arbeit der kath. Kirche auf diesem Gebiet zu berichten,
vielleicht hätte hier darauf hingewiesen werden können, daß volksmäßig
bestimmte Diasporaarbeit in der internationalen römischen Kirche besonderen
Schwierigkeiten begegnet.

In das besondere Gebiet der G. A. Arbeit führt dann Ernst
Wagner-Bensheim, Das Vordringen der evangel. Diaspora
in katholische und der katholischen Diaspora in
evangelische Diasporagebiete.

Die G. A. Vereinsarbeit im engeren Sinn behandeln eine ganze Reihe
von Aufsätzen, denen D. Paul Feine-Halle die biblische Grundlage
gibt: Diasporaarbeit im Licht des neuen Testaments.

Reicher geschichtlicher Ertrag für die Geschichte des G. A. Vereins
liegt vor bei D. Paul Kalweit-Danzig, Der evangelischkirchliche
Geist im Werk des G.A.V. Hier wird mehr geboten
als die Überschrift vermuten läßt, neben reichem geschichtlichem
Material eine bei aller Knappheit sehr inhaltreiche Darstellung der Grundsätze
des G. A. V. und ihrer Entfaltung in der Praxis. Manches wertvolle
und die ältere Darstellung von Criegerns ergänzend namentlich
über die Spannungen und Schwierigkeiten bei seiner Gründung und
seinen Gründern bietet Ernst R i etsch e 1 - Osch atz , Wie der
G.A.V. die evangelische Diaspora als sein Arbeitsgebiet
gefunden und festgehalten hat. Auch D. Paul Genn-
rich-Königsberg, Diaspora pflege und Innere Mission
mag in diesem Zusammenhang genannt werden, er geht den Beziehungen
der I. M. zur Diaspora (J. H. Wicherns dahinzielende Bestrebungen) nach.
Die nüchternen Betrachtungen über den G. A. V. von D.
Johannes K ü b e 1 - F ra n k f u rt - Mai n führen in das Gebiet der
Zahlen mit bedeutsamen Winken für die Rechnungsgebarung der Vereine,
sehr ernst der Hinweis, wie die Großstadt in ihrem Anteil für die
O. A. V. Sache stark zurückbleibt, wie die G. A. V.-Arbeit in viel größerem
Maßstab getrieben werden muß. D. Dr. Eugen Lessing Florenz
behandelt das G.A.Werk und den Aufbau der ev. Volkskirche
daheim und in der Fremde.

Die Diasporaarbeit in der Vorbildung der evangelischen
Pfarrer bespricht in der ihm eigenen sachlichen Weise D.
Martin Schian-Breslau, er unterscheidet die Pfarrer mit Universitätsbildung
, die meist nur für einige Zeit in das Ausland gehen und
die auf dem Auslandsseminar für ihren Lebensberuf vorgebildeten Pre-