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Ausgabe:

1931 Nr. 9

Spalte:

197-198

Titel/Untertitel:

Proceedings of the American Academy for Jewish Research 1928-1930 1931

Rezensent:

Jeremias, Joachim

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Seite 1

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197

Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 9.

198

vorliegenden Buches dient der Charakteristik dieser Gedankenwelt
, aus der der Physiologus erwachsen ist. Ori-
genes hat ihn noch nicht gekannt, aber das allegorische
Interpretationssystem des Physiologus setzt die Schule
des Origenes voraus, wie bereits Fr. X. Kraus erkannt
hatte. Der Begründer dieser magisch-mystischen Naturkunde
ist nach W. der Pythagoreer Bolos von Mendes
in Ägypten (um 200 v. Chr.), dessen Werke, vielfach
Pseudonym unter dem Namen des alten Demokrit
gehend, eine Mischung von Paradoxographie, Naturkunde
und Medizin boten, wobei insbesondere die okkulten
Kräfte der Tiere, Pflanzen und Steine behandelt
waren. Er hat vielfach aus antiken Autoren geschöpft,
ist aber auch stark von orientalischer Literatur beeinflußt
. Auf seinen Schultern steht der Neupythagoreer
Anaxilaos von Larissa zur Zeit des Augustus, den die
Legende zum Schüler des Simon Magus machte, —
(den Anaxilaos hat Wellmann ausführlich in den Abh.
der Berl. Ak. 1928 behandelt) — und auch die leoal
Jiß'r.m der Essener, in denen W. einen ins Jüdische
umgewandelten Ableger des neupythagoreischen Ordens
sieht, sind stark von Bolos beeinflußt, ganz besonders
aber ein Werk aus dem 1. Jahrh. n. Chr., das unter
dem Namen des Salomon ging; diese Schrift hat das
Werk des Anaxilaos direkt benützt und ist seinerseits
wieder Quelle der Schrift des Syrers Tatian rcec-l Upwv,
der Koiraniden und durch Vermittlung des Didymos von
Alexandria Hauptquelle des Physiologus.

Durch eingehende Behandlung einzelner Stücke
des Phvsiologus und Vergleich mit dem sonst noch
erhaltenen Parallelmaterial wird dies Quellenverhältnis
als wahrscheinlich erwiesen. Diese Einzeluntersuchungen
nehmen den größten Teil des Buches ein und sie werfen
weiteres Licht (abgesehen von den bereits genannten
Autoren) auch auf die sonstige naturkundliche Literatur
Syriens, wie die Cynegetica des Oppian, die Tiergeschichte
des Timotheos von Gaza, die beide von Tatian
abhängig sind, aber auch auf die Hieroglyphika des
Horapollon, der sich in manchem mit dem Physiologus
berührt, was sich durch beiderseitige Benützung des
Bolos erklärt. Wegen dieser Einzeluntersuchungen ist
die ausgezeichnete Schrift W.'s auch für unsere Kenntnis
des Aberglaubens und der volkstümlichen Überlieferung
des ausgehenden Altertums von hohem Wert, und die
Schilderung des gesamten Gedankenkreises dieser okkulten
Wissenschaft zeigt mit größter Deutlichkeit, wie
die Wissenschaft mehr und mehr mit der Religion verquickt
unter die Herrschaft religiöser Organisationen
kam, bis schließlich die Wissenschaft lediglich Sache
der Kleriker war. Diese Entwicklung begann in der
hellenistischen Zeit unter dem Einfluß des Orients, wo
ja von jeher die Vertreter der Wissenschaft zugleich
Priester waren, und sie setzte sich durch das Mittelalter
hindurch fort. An diesem Verfall der Wissenschaft und
an ihrer Klerikalisierung ist nicht das Christentum
schuld; denn beides war schon fast vollendete Tatsache
, als das Christentum das Erbe der Antike übernahm
. Das, was an wissenschaftlichen Erkenntnissen
aus der Antike ins abendländische Mittelalter überging,
ist hier kaum durch eigene Forschung, durch Experiment
und empirische Beobachtung vermehrt worden.
Nur der überlieferte Bestand, ein dünnes Exzerpt aus
antiker Wissenschaft verbunden mit orientalischem
Okkultismus, wurde gehütet und zum Mittelpunkt aller
Forschung, zur Bibel, in Beziehung gesetzt, wie es
an einem Beispiel die Geschichte des Physiologus zeigt.
Würzburg. Friedrich Pf ister.

Proceedings of the American Academy for Jewish Research
1928—1930. Philadelphia : The Jewish Publication Society of America
1930. (III, 80 S.) gr. 8°.

Der vorliegende Bericht der 1920 gegründeten Akademie
enthält neben geschäftlichen Mitteilungen vier
wissenschaftliche Aufsätze. S. Baron: M. Jost, the Histo-
rian (S. 7—32) nimmt die 100jährige Wiederkehr des

i Erscheinungsjahres (1828) der ersten von einem Juden
verfaßten Geschichte zum Anlaß einer kritischen Würdigung
dieses Werkes. Israel Davidson: The study of
rnediaeval tiebrew poetry in the I9th Century (S. 33—
48) gibt eine interessante kritische Charakterisierung
der Werke von Rapoport (1790—1867), Zunz (1794—
1886), Luzzatto (1800—1865), Franz Delitzsch (1813—

i 1890) u. a. über die mittelalterliche hebräische Poesie.

i Louis Finkelstein: The origin of the synagogue (S.
49—59) sucht die Anfänge der Synagoge in vorexi-

i lischen prophetischen Gebetsversammlungen an Sabbathund
Neumondtagen; leider wird der richtige Gedanke

j mit anfechtbaren Hypothesen unterbaut. Isaac Tfusik:
Joseph Albo, the last of the rnediaeval Jewish philo-

j sophers (S. 61—72) schildert die Auseinandersetzung

i Albo's mit dem Christentum in seinem Werke 'Ikkarim;

| interessante Streiflichter fallen auf die spanische Zeit-

I geschiente (christlich - jüdische Debatte zu Tortosa
1413—14 u. a.).
Greifswald. Joachim J erem ias.

Silberstein, Landesrabb. Dr. Siegfried: Eine in Kupfer gestochene
Estherrolle aus der Universitätsbibliothek zu
Rostock. Originalgroiie Wiedergabe in Lichtdruck hrsg. und ein-
gel. Rostock: C. Hinstorff in Komm. 1930. (13 S. Text 1 Rolle)
gr. 8°. Ausg.: A. Buchmappe geb. RM 20—.

,, B. Rolle, Text sep. geb. „ 25 — .
Wenn Georg Beer den berühmten Kodex Kaufmann
j zu Budapest auf photomechanische Weise veröffent-
I lichte, so entsprach der Kostenhöhe die Bedeutung für
mischnische Textkollationen, sodaß die Arbeit eine hoch
zu dankende ist. Das Original des vorliegenden Drucks
stammt erst aus dem 18. Jahrh. (— für Nichtfachleute:
unsere Bibelhandschr. des A.T. datieren aus dem 13.
und 14., ja aus dem 11. und 10. Jahrh.—), sodaß eine
textlich-wissenschaftliche Bedeutung ihm nicht zukommt.
Wenn Bruno Italiener die Darmstädter Pesach-Haggada
i veröffentlichte, wird ihm die jüdische Familie dies
Prachtwerk danken. Das Purimfest ist aber nicht in dem
Maße Hausfest wie Pesach. So bleibt als prinzipielle
Rechtfertigung für das Herausbringen einer jungen
Estherrolle in unserer an Druckschwierigkeiten so ungeheuer
leidenden Zeit lediglich das kunsthistorische Moment
.

Der Herausgeber bietet zunächst eine kurze Einführung
(S. 5—9). Der Kupferstich befand sich ehe-
i dem im Besitze des Orientalisten Tychen (j- 1815).
j Der Herausgeber mißt ihm deshalb besondere Bedeu-
! tung bei, weil nicht nur die Illustrationen, sondern auch
der Text gestochen sind. In der Synagoge sind illu-
strierte Rollen nicht in Verwendung; daher mag die
; vorliegende für Privatgebrauch angefertigt sein. Die
| Bildinschriften werden in hebräischer Umschrift und
deutscher Übersetzung, nummeriert, angegeben (S. 10
bis 13). Dann folgt, zusammenlegbar, in der Originalgröße
119 X etwa 17,3, mit etwas weißem Rand rings-
: um, die Rolle.

Die Wiedergabe der sehr gut erhaltenen Rolle ist
I ausgezeichnet. Die Buchstaben des Bibeltextes in Qua-
dratschrift sind schön ausgeführt und leicht leserlich, die
der Bildinschriften allerdings oft winzig und Gerona,
durchweg weit weniger sorgfältig gestochen. Der biblische
Text des Estherbuches wird in 12 Kolumnen,
die oben rundbogenförmig eingefaßt sind, gegeben. Die
! Abschnitte werden durch Zwischenräume verdeutlicht,
i Die Kolumnen sind etwa gleich breit bis auf eine, die
j lOte. Diese bringt die großgeschriebenen Namen der
| 10 Hamanssöhne, zugleich die einzige innertextliche
Illustration: einen riesigen Galgen mit 10 Querbalken
übereinander, an jedem ein Gehenkter. Auch für das
j Auge wird so der Erzählungshöhepunkt der Rache mar-
i kiert. Alle übrigen 34 Illustrationen sind in verschieden
j großen Vierecken unter und über dem Texte angebracht.
■ Gleichbleibende säulenartige Ornamentik trennt die Ko-
I lumnen. Auch christlicherseits verwandte man ja im
1 17. und 18. Jahrh. Kupferstiche zu Bibelillustrationen;