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Ausgabe:

1931 Nr. 9

Spalte:

195-196

Autor/Hrsg.:

Cumont, Franz Valery Marie

Titel/Untertitel:

Die orientalischen Religionen im römischen Heidentum 1931

Rezensent:

Bauer, Walter

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195

Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 9.

196

was an religiösen Vorstellungen und Glauben damals !
vorhanden war, spielt im Epos gar keine Rolle oder
wird völlig verschwiegen, und anderes tritt in einer
Art in Erscheinung, die aus der Phantasie des Dichters,
nicht aus lebendigem Glauben stammt. Dem Volke
näher als das homerische Epos steht Hesiod, ja er
stellt sich gelegentlich in Gegensatz zu Homer, und bei
ihm findet sich zuerst eine enge Verbindung von Religion
und Sittlichkeit.

Bei der Schilderung der Religiosität der Folgezeit,
des 7. und 6. Jahrhunderts, unterscheidet N. eine kul-
tische, mystische und rationale Frömmigkeit, eine Schei- !
dung, die gewiß nur, wie auch N. weiß, in Gründen der i
praktischen Darstellung ihre Rechtfertigung hat. Denn j
in der historischen Wirklichkeit kreuzten sich jene drei j
Arten der Religiosität, häufig sogar in denselben Persönlichkeiten
. In diesem Abschnitt werden auch die
Lyriker dieser Zeit besprochen. Pindar, Aischylos und
die älteren ionischen Philosophen bilden den Abschluß
des ersten Bändchens.

Selbstverständlich ist die griechische Religiosität :
auch vor Nestle in zahlreichen Monographien, die Einzelpersönlichkeiten
gewidmet sind, behandelt worden,
und jede griechische Religionsgeschichte berücksichtigt
sie, so auch die im Erscheinen begriffene von Otto
Kern, ja es hat Stimmen gegeben, die besonders nachdrücklich
die Erforschung der Religiosität der großen
Führer und der „Religion der Höhe" forderten und die
„Religion der Tiefe" vernachlässigten. Nestle verspricht
eine Gesamtdarstellung sowohl der individuellen Religiosität
der einzelnen Persönlichkeiten als auch der
Kollektivreligiosität des Volkes zu geben, und wir nehmen
den ersten Band von dem vortrefflichen Kenner
der antiken Geistesgeschichte dankbar an und hoffen
auf rasche Fortsetzung.
Würzburg;. Friedrich Pf ister.

Cumont, Franz: Die orientalischen Religionen im römischen
Heidentum. Vorlesungen, am College de France geh. Nach d. 4.
französischen Auflage unter Zugrundelegg. d. Übersetzg. Gehrichs,
bearb. v. A. Burckhardt-Brandenburg. 3. Aufl. Leipzig : B. G. Teubner
1931. (XVI, 334 S. m. 8 Doppeltaf.) 8°. geb. RM 14—.

Die erste deutsche Ausgabe des hervorragenden
Buches von Cumont über die Orientalischen Religionen j
im römischen Heidentum war, von G. Gehrich besorgt, j
im Jahre 1910 erschienen. P. Wendland hat sie in j
unserer Zeitschrift 1910, Sp. 552—554 besprochen. Jetzt i
ist die dritte deutsche Auflage im Anschluß an die vierte |
französische von 1928 herausgekommen. Der eigentliche
Körper der Vorträge ist der alte geblieben, und |
durfte es, da heute wie damals ein Hauptwert des
Buches darin besteht, das Wichtige, unbeschwert und j
unverwirrt durch die ungeheure Zahl von Einzelbe- i
obachtungen, die sich hier machen lassen, herauszustellen
. So sind nur gelegentliche Irrtümer verbessert
worden und hat der Stil da und dort Glättung erfahren.
Immerhin hat dieser Teil eine wertvolle Bereicherung
gewonnen durch den Anhang: „Die Bacchusmysterien
in Rom".

Das Hauptgewicht hat die Neubearbeitung auf die
„Anmerkungen" gelegt, die wesentlich neu geschrieben
wurden und erheblich an Umfang zugenommen haben.
Für sie erwies sich daher eine neue Übersetzung als erforderlich
. Eine Bereicherung sind auch die acht Doppeltafeln
mit lehrreichem Bildermaterial. Für die Noten
wird besonders der Mitforscher dankbar sein, der eine
Fülle von Quellenstoff und Literaturverweisen vor sich
ausgebreitet sieht. Daß bei dem steten Fluß der Forschung
niemals Vollständigkeit zu erzielen ist, braucht
nicht besonders hervorgehoben zu werden. Keiner kann
es vermeiden, heute etwa die Bibliographie über die persische
Religion abzuschließen, während morgen Herrn.
Lommel, Die Religion Zarathustras 1930 erscheint.

Es wird niemandem einfallen, Cumont sachlich be- I
lehren zu wollen oder in eine Auseinandersetzung mit [

ihm einzutreten. Dieses Buch wäre dafür der denkbar
unpassendste Anlaß. Hier ist wirklich nur der Ausdruck
des Dankes für das, was wir erhalten haben, am
Platze. Jeder, der sich mit den Gegenständen beschäftigt
, von denen das Werk handelt, wird seinen
Ausgangspunkt von ihm nehmen und immer wieder zu
ihm zurückkehren müssen.

Einige kleine Unebenheiten könnten in Zukunft geglättet
werden. Aus Kultuszeremonien der ersten deutschen
Ausgabe (S. 14) sind in der dritten (S. 10) Kulturzeremonien
geworden. S. 172 „kürzlich" hat Bousset
— nämlich 1905 — traf für die erste Ausgabe zu, ist
aber 1931 kaum mehr am Platze. 273 ist der aufreizende
Origines eingedrungen. Die semitischen Vokabeln
3 276 haben immer noch (wie teilweise schon
1 298) unter der Verwechslung von o und D, D und 2,
n und n, 1 und f zu leiden.

Göttingen. w. Bauer.

Well mann, Max: Der Physiologos. Eine religionsgcschichtlich-
naturwissenschaffliehe Untersuchung. Leipzig: Dieterich 1930. (III,
116 S.) gr. 8°. = Philologus, Suppl.-Bd. XXII, H. 1.

RM 8.50; geb. 10.50.
Das weitaus meiste, was an naturkundlichen Kenntnissen
im abendländischen Mittelalter lebendig war,
stammt aus der Antike, freilich aus Quellen, die, soweit
sie überhaupt wissenschaftlicher Art waren, nicht
mehr auf originaler Forschung beruhten, sondern Sammelbecken
waren, die aus mannigfachen, zum Teil trüben
und weithergeleiteten Zuflüssen sich speisten. Von
dieser Art war etwa die Enzyklopädie des Plinius, der,
wenn er auch Reisen gemacht und manches mit Interesse
gesehen hat, doch im wesentlichen in Schreibtischarbeit
und Exzerptorentätigkeit sein Werk aufbaute,
oder, da des Plinius Werk noch zu umfangreich war,
die Collectanea des Solutus. In solchen und ähnlichen
Werken lebte immerhin noch eine Spur antiken wissenschaftlichen
Geistes. Von anderer Art waren die naturkundlichen
Wunderberichte, wie sie zahlreich etwa in
den mannigfachen Rezensionen der Alexander-Literatur
oder im Liber monstrorum und ähnlichen Werken enthalten
waren und wie sie, immer wieder abgeschrieben,
in die Werke des Honorius Augustodunensis, Gervasius
von Tilbury, Rudolf von Ems, Jacobus de Vitriaco,
Thomas von Cantimpre, Konrad von Megenberg, in die
Historienbibeln und andere Werke übergingen (vgl.
Berl. phil. Wochenschr. 1912, 1129ff.; 1914, 925ff.).
Macht sich in dieser Gattung der Literatur bereits orientalischer
Einfluß bemerkbar, so ist dies noch mehr der
Fall bei der dritten Gruppe, die hier zu nennen ist, den
Werken, die der religiös-mystisch-magischen Wissenschaft
gewidmet sind, insbesondere der Astrologie und
der Alchemie. Das charakteristische Merkmal dieser
Gruppe ist die Orientalisierung und Klerikalisierung der
Wissenschaft, die Verschmelzung von Wissenschaft und
Religion, die bereits im 4. Jahrh. v. Chr. einsetzte.
Auch die weitverzweigte hermetische Literatur, ferner
orientalische Kleriker wie der Babylonier Berossos und
der Ägypter Manetho, welche die Griechen mit der Geschichtsschreibung
des Orients bekannt machten, gehören
in diesen Zusammenhang, vor allem aber die
mystische Naturkunde der Physiologus, die in zahlreichen
Rezensionen und Übersetzungen im Orient und
Occident verbreitet wurde.

Wellmann, dem die Erforschung dieser romantischmystischen
Naturkunde schon manchen schönen Beitrag
verdankt, sucht die Gedankenwelt, die Entstehung und
die Quellen des Physiologus, dieses merkwürdigen und
im Mittelalter so wirksamen Literaturprodukts, aufzuhellen
. Nach ihm ist diese Schrift zwischen 255 und
380 n. Chr. (näher dieser letzteren Zahl, etwa um
370) entstanden und zwar nicht in Alexandria, wie man
bisher wohl meistens annahm, sondern er sucht mit
guten Gründen Syrien bzw. den orientalischen Kulturkreis
als Entstehungsort zu erweisen, und ein Teil des