Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1931 Nr. 8

Spalte:

181

Autor/Hrsg.:

Dannenbauer, Heinrich

Titel/Untertitel:

Luther als religiöser Volksschriftsteller 1931

Rezensent:

Vogelsang, Erich

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

181

Theologische Literaturzeitung 1931 Nr. 8.

182

wie der Verfasser richtig schreibt: Thesis Morini com-
rnütat quaestionem orthodoxiae.
Gießen. _Krüger.

Dannenbauer, Heinz: Luther als religiöser Volksschriftsteller
1517—1520. Ein Beitr. z. d. Frage nach d. Ursachen d.
Reformation. Tübingen: J. C. B. Mohr 1930. (42 S.) gr. 8°. =
Sammig. gemeinverst. Vorträge u. Schriften aus d. Geb. d. Theol. u.
Religionsgesch., 145. RM 1.80; in Subskr. 1.50.

D.s Schrift charakterisiert sich durch folgende
Grundthese: Nicht erst die Schrift an den Adel hat
Luther zum Helden seiner Nation gemacht, vielmehr
ist der Erfolg der reformatorischen Hauptschriften nur
dadurch zu erklären, daß Luther schon in den drei
Jahren 1517—1520 der gelesenste und einflußreichste
religiöse Schriftsteller war, den es damals in Deutschland
gab. Diese These wird erhärtet vor allem durch
einen ansprechenden Vergleich der spätmittelalterlichen
Erbauungsliteratur mit den erbaulichen Schriften Luthers
bis 1520, wobei die innere Überlegenheit Luthers konstatiert
wird. Dann wird durch statistische Angaben die
Verbreitung der Schriften Luthers bis August 1520 beleuchtet
.

Bei der Analyse der Motive und Gedanken der
frühen Lutherschriften vermeidet D. (als Profanhistoriker
bewußt?) jede straffere theologische Gedankenführung
; er empfindet, daß sein „nur ganz vorläufiger
Versuch . . . eigentlich eine Aufgabe für Theologen"
wäre. Seine Quellengrundlage für die Erbauungsliteratur
des späteren Mittelalters ist recht schmal. Vor
allem aber wundert man sich, daß die Grundthese der
Schrift scheinbar als eine irgendwie neue Erkenntnis dargestellt
wird, die doch schon länger in der ganzen Lutherforschung
nahezu eine Selbstverständlichkeit ist.
Königsberg i. Pr. E. Vogelsang.

Fels, Dr. Heinrich: Bernard Bolzano. Sein Leben u. sein Werk.
Leipzig: F. Meiner 1929. (X, 109 S.) 8°. RM 5-; geb. 7-.

Die heutige Lage der Philosophie gestattet nicht
mehr an dem Werke B o 1 z a n o s vorüberzugehen,
nicht bloß wegen des großen Einflusses, den dieser
hervorragende Forscher auf bekannte Schulen der Gegenwart
(wie vor allem auf die der Phänorneno-
logen) ausgeübt hat, sondern ebensosehr oder noch
mehr, weil dieses Werk d a s in hervorragendem Maße
besitzt, was unsere Zeit immer mehr zu verlieren
scheint: Einfachheit, Klarheit, Schärfe der Gedankenführung
und vor allem greifbare, vom jeweiligen
„Standpunkt" weitgehend unabhängige Ergebnisse.

Darum sind Monographien, die zum Studium Bolzanos
reizen, sicher sehr zu begrüßen. Von umfassenden
Darstellungen seiner Lehre besaßen wir bisher nur
die gründliche Arbeit Hugo Bergmanns: Das
philosophische Werk Bernhard Bolzanos.
Sie ist aber nicht sehr geeignet, Lust an der Beschäftigung
mit ihm zu erwecken. Dazu ist sie viel zu kritisch
und setzt zudem bei ihrer — nicht immer immanenten —
Kritik die Bekanntschaft mit den Schriften Brentanos
voraus, dem Bergmann zur Zeit der Abfassung des
Buches noch nahe stand. Das bedeutet für den mit diesem
Denker Vertrauten eine Fülle von Anregungen, für
den Anfänger aber Ermüdung.

Gerade das Gegenteil gilt von der hier vorliegenden
kleinen Schrift. Sie folgt in der Grundauffassung
der Bolzanoschen Lehre einem begeisterten modernen
Jünger des großen Prager Philosophen: dem Ungarn
Akos v. Pauler und bietet infolgedessen nur wenig
kritische Bemerkungen. Zugleich kommt das Leben und
die Persönlichkeit Bolzanos mehr zur Geltung; beiden
gilt der erste Abschnitt des Buches.

Mit anerkennenswerter Entschiedenheit und betonter
als Bergmann hebt Fels Bolzanos ausgesprochene
Gegnerschaft gegen Kant hervor —
es ist in der Tat nichts verkehrter, als ihn (wie es in
manchen Philosophiegeschichten geschehen ist) den
Kantianern oder Halbkantianern zuzurechnen.

Aus seinem Testamente wird eine Stelle zitiert in
der von der „heillosen Verwirrung" die Rede ist, „die
Kant, ohne es selbst zu ahnen, durch seine Philosophie
in Deutschland veranlaßt hat" und mit Recht hebt
Fels hervor, daß Bolzano durch seine Abneigung gegen
„alles Unklare und Unverständliche, wie es sich in
Kants Gedanken so oft zeigt", zum Kämpfer gegen seine
Zeit geworden ist, was dann bekanntlich zur Folge
hatte, daß man ihn totschwieg, bis er endlich durch
den steigenden Einfluß der (ebenfalls Kantfeindlichen)
Brentanoschule, freilich mit einer Verspätung von mehr
als einem halben Jahrhundert, von neuem zu Ansehen
gelangte. Dennoch läßt sich zeigen (und der Verfasser
zeigt es), daß Peter Wusts Satz: „Bolzano genuit
Brentano, Brentano genuit Husserl" verfehlt
ist. Brentano ist kein vorwiegend am mathematischen
Denken orientierter A p r ior i s t wie Bolzano
und beide sind keine „Phänomenologen" wie
Husserl. Durch seinen mathematischen Apriorismus
kam Bolzano, der nur für die angewandte Wissenschaftslehre
(Wissenschaftslehre heißt bei ihm die Logik
) der Psychologie Zugeständnisse machte, zu seinem
Antipsychologismus. Der prägnante Ausdruck dieses
Antipsychologismus ist die Lehre von den „Sätzen an
sich", die, wenn sie wahr sind, „Wahrheiten an sich" genannt
werden: Nach Bolzano besagt der Satzinhalt
„Gott ist nicht allmächtig", obwohl falsch doch gewiß
nichts Psychologisches und steht dem Denk-
und Vorstellungsakten, die ihn erfassen, als etwas von
ihnen toto coelo Verschiedenes gegenüber, ist also
ebenso „an sich" wie, wenn er wahr wäre. Wahrheiten
und Sätze an sich haben kein Dasein wie die realen
Tatsachen in der Außenwelt und im Bewußtsein, sondern
sind zeitlos wie die Ideen Piatons. Wird eine
Wahrheit an sich in einem Urteilsakte erfaßt, so verwandelt
sie sich in eine „erkannte Wahrheit" oder „Erkenntnis
", der, wie jeder gedachten — auch jeder bloß vorgestellten
— Wahrheit Dasein zukommt. Die einzelnen
„Bestandteile" der Sätze an sich (also in unserem Beispiel
die Wortbedeutungen von „Gott", „ist" usw.)
heißen „Vorstellungen an sich": sie bilden den umstrittensten
Teil der Bolzanoschen Philosophie. —

Bolzano, berühmt geworden als Logiker und Mathematiker
, fühlte sich selbst in erster Linie als Religionsphilosoph
und ist, auch als ihn Neider und

j Fanatiker von seiner religionswissenschaftlichen Pro-

I fessur verdrängt hatten, ein gläubiger Katholik geblieben
, der freilich sehr freie Auffassungen vertrat. Es ist
dankenswert, daß der Verfasser (nach einem ausführlichen
ersten, die Logik, und einem zweiten, die Mathematik
, behandelnden Kapitel) auch die Religionsphilo-

i sophie Bolzanos erörtert, wobei er auch seine (übrigens
wenn auch schüchtern den Determinismus ver-

j tretende) „Athanasia" heranzieht und dem höchst originellen
Gottesbeweise unseres Denkers seine Lehre vom
„Gotteserlebnis" an die Seite setzt. Religion (als Inbegriff
der Meinungen, die „einen Einfluß auf Tugend und
Glückseligkeit haben") ist nach Bolzano unabtrenn-

| bar mit der Ethik verknüpft: sie (die von ihm norma-

I tiv, aber eudämonistisch gefaßt wird) nebst der Staatslehre
(die einen demokratischen Sozialismus
vertritt) behandelt er in einem vierten Kapitel, dem noch

! zwei andere über die Psychologie und Ästhetik folgen.

| Ein Verzeichnis der Schriften Bolzanos und ein Namenregister
bilden den Abschluß der Arbeit.

Fels hat sich jahrlang mit Bolzano beschäftigt

I (auch mit seinen vielen und z. T. sehr wichtigen unge-

! druckten Schriften) und ihm schon mehrere Aufsätze gewidmet
. Umsomehr überrascht der Mangel an Sorgfalt

i an einigen Stellen der hier besprochenen Schrift.

Das gilt zunächst von den Zitaten: Eine S. 56 angeführte
Stelle („Das Urteil . . . bis . . . treten") findet
sich nicht, wie Fels behauptet, in der Wissenschaftslehre
, sondern in der Athanasia 2 (S. 39); der Verfasser

I hat hier anscheinend ein Mischzitat Bergmans (das