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Ausgabe:

1930 Nr. 8

Spalte:

171-172

Autor/Hrsg.:

Erman, Adolf

Titel/Untertitel:

Mein Werden und mein Wirken 1930

Rezensent:

Wiedemann, Alfred

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171

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 8.

172

der bei Goethe und in der Romantik zur Reife gekommen
, und mit ihr wird sich der Protestantismus ebenso
auseinander setzen müssen wie mit der Antike. Aus
dieser Anschauungswelt stammt auch der Begriff der
„geprägten Form, die lebend sich entwickelt", unter dem
der Verf. die Sinneinheit der abendländischen Kultur
begreifen will, und zwar so, daß die Antike als die in
dieser Entwicklung konstante Grundform aufzufassen
sei. Aber sei die Identität der „geprägten Form, die
lebend sich entwickelt" mit der aristotelischen Ente-
lechie dahingestellt, so ist doch jedenfalls ihre Anwendung
auf die Geschichte nicht nur unthukydideisch, sondern
überhaupt unantik.

Marbnr.i/. a. L._______R. Bult mann.

Erman, Adolf: Mein Werden und mein Wirken. Erinnerungen
eines alten Berliner Gelehrten. Leipzig: Quelle & Meyer 1929. (VIII,
295 S.) gr. 8°. geb. RM 12—.

Wie der Verfasser im Vorwort hervorhebt, schrieb
er das vorliegende Buch für seine Kinder und Enkel;
auf Zureden von Freunden entschloß er sich, es der
Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dem ursprünglichen
Zwecke entsprechend ist das Werk nicht als Darstellung
der Umwelt gedacht, in der das Leben Erman's
verlief, sein Zweck ist ausschließlich eine Schilderung
dieses Lebenslaufs. Die Persönlichkeiten, mit denen der
Verf. in Berührung kam, und die Wirkungskreise, in
denen er tätig war, werden im Allgemeinen nur in so
weit berücksichtigt, als sie ihn und seine Interessen unmittelbar
berührten.

Den Angaben des Verf.s zufolge stammt seine Familie
, die ursprünglich Ermatinger hieß, aus Schaffhausen
; ein Mitglied gelangte 1587 von hier nach Mülhausen
im Elsaß, sein Enkel zog nach Genf, wo sein
Name in Erman abgekürzt wurde. Er heiratete eine
Französin und begab sich 1721 nach Verlust seines Vermögens
nach Berlin. Sein Enkel wurde Geistlicher,
dessen Sohn, der die einer jüdischen Familie entstammende
Caroline Itzig, und sein Enkel, der eine Tochter
des Astronomen Bessel heiratete, waren Naturforscher.
Die eingehend geschilderte Kindheit des Sohnes des
letzteren, des 1854 geborenen Verfassers verfloß in
verhältnismäßig engen bürgerlichen Verhältnissen. Er
war nach seiner Angabe in der Elementarschule und in
dem Französischen Gymnasium zu Berlin, das eine
völlig verrottete Anstalt gewesen sei, ein schlechter
Schüler, der sich mehr für Altertümer und Hieroglyphen
als für die Schularbeiten interessierte. Von Universitäten
besuchte er zunächst Leipzig, wo er der Burschenschaft
Germania beitrat und bei Ebers hörte, den
er als liebenswürdige Persönlichkeit und guten Lehrer
schildert, auf dem die spätere deutsche Ägyptologie beruhte
, der jedoch „in der Wissenschaft kaum etwas
leistete". Von hier ging er nach Berlin, wurde noch als
Student Hilfsarbeiter an der Bibliothek der Museen und
dann Assistent am Münzkabinet, in dem er orientalische
Münzen und Renaissance-Medaillen bearbeitete. Neben
den amtlichen Aufgaben beschäftigte er sich weiter mit
ägyptologischen Fragen und suchte sich, wie eine Reihe
dem Werke vollständig oder im' Auszuge eingefügter
Erzählungen und Gedichte zeigt, auch dichterisch zu
betätigen. Nach dem Tode von Lepsius (1884) wurde
er dessen Nachfolger an der Universität und am Museum
, welch letztere Stellung er bis 1914 inne hatte.

Auf diesen der Familie und Entwickelung des Verf.s
gewidmeten Teil (S. 1—183) folgt eine Schilderung
seiner wissenschaftlichen Arbeit. Er bespricht zunächst
seine Tätigkeit am Museum, Umstellungen in der Sammlung
, Beschriftung interessanterer Denkmäler, Abfassung
eines ausführlichen Katalogs und einer Einführung in
die Papyrussammlung, Veröffentlichung besonders wichtiger
Texte, Erwerbungen durch Ankauf oder Ausgrabungen
, Erweiterung der vorderasiatischen Sammlung
, deren Leitung 1899 an Friedrich Delitzsch überging
. Dann folgen die sprachlichen Arbeiten, die in
der ägyptischen Grammatik gipfelten, kulturhistorische

Studien und die Bücher Ägypten und ägyptisches Leben
und Ägyptische Religion. Endlich sein Wirken an dem
von ihm in das Leben gerufenen, großen, im Erscheinen
begriffenen Wörterbuch der ägyptischen Sprache, an
dem er von den ersten Vorstudien bis zu der letzten
Durcharbeitung die Hauptarbeit leistete.

Die 12, sehr gut ausgeführten Bildtafeln geben das
Porträt des Verfassers, mehrere Bilder von Familienmitgliedern
, dann solche des Numismatikers Friedländer
, der Ägyptologen Lepsius und Brugsch, des Archäologen
Richard Schöne. Bedauern wird man, daß kein
Verzeichnis der Schriften Erman's dem Werke beigefügt
worden ist.

Bonn. _ A. Wiedemann.

Meyer, Eduard: Gottesstaat, Militärherrschaft und Ständewesen
in Ägypten. Zur Gesch. d. 21. u. 22. Dyn. Sonderabdr.
a. d. Sitzungsber. d. Preuss. Akad. d. Wissensch., Phil.-Hist. Kl. 1928,
28. Berlin: W. de Gruyter & Co. in Komm. 1928. (40 S.) 4°.

RM 2.50.

In einer anregenden und ergebnisreichen Studie bespricht
Meyer eingehend die innere politische Entwickelung
Ägyptens vom Ausgange der 20. Dynastie bis zum
Eindringen der äthiopischen Könige. Nach den erfolgreichen
Verteidigungskriegen Ramses' III. gingen unter
seinen Nachfolgern die asiatischen Besitzungen völlig
verloren, das Kriegswesen verfiel, die Pflege der Religion
und die Stärkung der Macht des Priestertums spielten
die Hauptrolle. Die Folge dieser Zustände war, daß
der Oberpriester des Amon zu Theben, anscheinend ohne
größere Schwierigkeiten, den letzten Ramessiden bei
Seite schob und selbst das Königtum übernahm. Neben
ihm erhob sich in Tanis eine weltliche Dynastie, die mit
den in Theben verbleibenden Priesterherrschern in
freundliche und verwandtschaftliche Beziehungen trat.
Diese Verbindung zwischen dem thebanischen Gottesstaate
und dem weltlichen Pharaonentume blieb bestehen,
als der Söldnerführer Scheschonk die Militärherrschaft
der 22. Dynastie begründete. Er und seine Nachfolger
vergaben das Oberpriesteramt als eine Art Sekundogeni-
tur. Die verwickelten verwandtschaftlichen Verhältnisse,
die sich dabei entwickelten, und die in Betracht kommenden
Persönlichkeiten werden vom Verf. im Einzelnen
verfolgt, soweit dies das noch stark lückenhafte Denkmälermaterial
gestattet.

Über die damalige Auffassung der Macht und Bedeutung
des Gottes Amon, der durch Orakel seinen
Willen kund zu geben pflegte, unterrichtet vor allem ein
in mehreren Abschriften erhaltener Papyrustext, der in
häufig stark phrasenhafter Weise ein fast monotheistisch
anmutendes Glaubensbekenntnis ergibt. Er wird von
Meyer unter Heranziehung anderer Urkunden neu übersetzt
, erläutert und in seinen Ideen mit denen anderer
Theokratien verglichen. Weitere Ausführungen sind den
sog. Kasten in Ägypten gewidmet. Diese könnten nicht
den indischen Kasten gleich gestellt werden, da bei
' ihnen der magische Charakter und die schroffe Ab~
| Sperrung gegeneinander in Verkehr, Speise und Ehe
I fehle. Vielmehr handele es sich bei ihnen um erbliche
! Berufsstände, wie sie sich unter der 22. Dynastie ausgestalteten
. Die Erblichkeit stehe hier nicht am Anfange,
! sondern am Ende der sozialen Entwickelung und ent-
I spräche der Erstarrung und Verknöcherung des Ägypter-
! tumes auf religiösem und kulturellen Gebiete. Dann
| geht der Verf. auf das Idealbild des ägyptischen König-
I tumes ein, welches Hekatäus von Abdera bei Diodor
j entwirft. In diesem sieht er nicht eine von den Griechen
> gestaltete Utopie, sondern ein Idealbild der Zustände
und Ordnungen, wie sie tatsächlich in der Blütezeit
i Ägyptens bestanden hätten. Endlich wird kurz auf den
Verfall des Amontkultes nach dem Schwinden der thebanischen
Vormacht und auf die spätere Ausgestaltung der
ägyptischen Religion, auf das Vorherrschen des Sarapis,
der Isis, des Tierkultes und andererseits die Ethisierung
der Religion in der Weisheitsliteratur hingewiesen.
Bonn. Ä. Wiedemann.