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Ausgabe:

1930 Nr. 7

Spalte:

165-166

Autor/Hrsg.:

Haering, Theodor L.

Titel/Untertitel:

Hegel. Sein Wollen und sein Werk. I. Bd 1930

Rezensent:

Larenz, Karl

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Seite 1

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166

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 7.

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Absicht der Schrift in ihren letzten Motiven sehr gut
ist; ihr Fehler ist nur. daß sie vorschnell eine Anklage
auf falschen Machtwillen erhebt, wo tatsächlich nichts
Anderes vorliegt, als praktische Notwendigkeiten; und
daß sie auch für die konkreten Forderungen die tatsächlichen
Möglichkeiten und Notwendigkeiten übersieht.
P. selbst findet, daß in der neuen Bewegung zur Kirche
unter den jüngeren Theologen noch viel Romantik
stecke. Auch in seinen Ausführungen steckt ein mächtiges
Quantum Romantik! Aber wir wollen uns darum
nicht dem ernsten Mahnruf verschließen: immer wieder
müssen wir prüfen, ob unsere Kirchenpolitik zum Wesen
der Kirche stimmt oder nicht.

Breslau. M. Schi an.

H a e r i n g, Prof. Dr. Theodor L.: Hegel. Sein Wollen u. sein Werk.
Eine chronolog. Entwicklungsgesetz d. Gedanken u. d. Sprache Hegels.
L Bd. Mit e. Faks. Leipzig: B. G. Teubner 1929. (XXIV, 785 S.)
4«. RM 32-.

Der vorliegende erste Band behandelt Hegels
Jugendentwicklung bis zum ersten Jenenser System. Der
Verf. hat sich die Aufgabe gestellt, Hegels Werk aus
seinem Wollen zu begreifen; jedoch bringt es das dialektische
Verhältnis zwischen Wollen und Werk mit sich,
daß die Untersuchung von dem Werk ausgehen muß, um
darin das Wollen zu erfassen, das diesem Werke zugrunde
liegt. Haering sucht nicht so sehr Hegels Gedankenentwicklung
aus angeblichen fremden Einflüssen
zu erklären, als sie aus ihrem eigenen Werden heraus zu
verfolgen und damit in das Wollen einzudringen, das
uns diese Entwicklung verständlich macht. Mit Recht
interpretiert er schon Hegels früheste Aufzeichnungen
von den Gedanken des späteren Systems aus, denn
hierdurch werden die Antriebe, die Hegels Wollen bestimmt
haben, schon in seinen ersten Anfängen deutlich.
Unter den Ergebnissen, zu denen der Verf. auf diesem
Wege gelangt, möchte ich als die bedeutungsvollsten die
folgenden hervorheben: Haering erbringt den Nachweis,
daß Hegels gesamte Entwicklung eine kontinuierliche,
nicht durch fremde Einflüsse an irgend einer Stelle
unterbrochen ist. Das gilt insbesondere auch für das
Verhältnis Hegels zu Sendling. Freilich ist dieses Resultat
in gewisser Weise schon die Voraussetzung des
Haeringschen Buches, denn nur unter dieser Voraussetzung
ist die Interpretation des Früheren aus dem Späteren
gerechtfertigt. Die Voraussetzung wird aber dadurch
erwiesen, daß es auf Grund ihrer dem Verf. gelingt
Hemels Jugenddokumente in widerspruchsfreier
Weise zu verstehen und darin eine zusammenhängende
Entwicklung der Gedanken und der Ausdrucksweise
aufzuzeigen. Auch wird diese Annahme durch die weitere
Entwicklung Hegels bestätigt. Der Naturrechtsaufsatz
von 1S02 läßt z. B. dieselbe Auffassung der
Sittlichkeit und die gleiche kritische Einstellung gegenüber
der Ethik Kants und Fichtes erkennen, die sowohl
in der Phänomenologie des Geistes als auch in den
späteren Schriften wiederkehrt. Haering zeigt, wie Hegels
Gedanke der konkreten Sittlichkeit als des Inbegriffs
lebendigen Gemeinschaftslebens in den Jugendschriften
vorgebildet ist und dort aus der religiösen Problemstellung
herauswächst. Wenn er freilich meint, daß
es vorwiegend praktisch-pädagogische Absichten gewesen
seien, die Hegel zunächst bestimmt hätten, so
dürfte das zu weit gehen, da es sich für Hegel doch
überall um die theoretische Erfassung des geistigen und
des religiösen Lebens handelt und daher in den Jugendschriften
auch häufig rein theoretische Betrachtungen
in die Erörterung praktischer und religiöser Fragen einfließen
. Doch ist dem Verf. darin zuzustimmen, daß es
nicht Probleme der Logik und der Wissenschaftslehre
oder überhaupt der theoretischen Philosophie, sondern
solche des geistigen und des religiösen Lebens waren,
von denen Hegel ausging und lange Zeit bestimmt
blieb. So zeigt uns Haering, wie Hegel die dialektische
Struktur des Geistes zuerst an dem Wesen lebendiger

Gemeinschaftsverhältnisse, vor allem an der religiösen
Gemeinschaft des Menschen mit Gott klar wurde. Was
Hegel gerade grundlegend von Fichte und Sendling
unterscheidet, ist, daß sein Ausgangspunkt nicht das
erkenntnistheoretische Verhältnis des Subjekts zum Objekt
, sondern das sittliche Verhältnis des Ich und Du in
der Gemeinschaft bildet. Erst von hier aus versteht Hegel
auch das Verhältnis des Subjekts zum Objekt, indem
er das letztere als vermittelndes Moment in das geistige
Verhältnis des Subjekts zum Subjekte einbezieht. Auch
dieses Ergebnis der Jugendentwicklung wird durch Hegels
spätere Werke bestätigt, vor allem durch den Aufbau
der Phänomenologie, die ihren Grundgedanken, daß
die verschiedenen Stufen des Verhältnisses des Bewußtseins
zum Gegenstand und zur Welt der Natur und des
Geistes seinen Weg zum absoluten Wissen bezeichnen,
gerade an dem Verhältnis des Subjekts zu andern
Subjekten, als dem eigentlich geistigen Verhältnis, durchführt
. Weiterhin zeigt der Verf., wie Hegel zu keiner
Zeit Pantheist im gewöhnlichen Sinne dieses Ausdrucks
gewesen ist. Auch darin können wir ihm nur zustimmen.
Dagegen können wir ihm nicht in der Auffassung folgen
, daß auch in Hegels späteren Werken, vor allem in
der Phänomenologie, die psvehologische oder gar „phänomenologische
" (im heutigen Sinne) Analvse vor der
Durchführung des logisch-svstematischen " Gedankens
den Vorrang gehabt habe. Es "scheint uns, daß der Verf.
hier zwei Seiten in Hegels Denken isoliert, die für Hegel
untrennbar zusammenhängen und gerade in der Phänomenologie
völlig miteinander verschmolzen sind: die
Einordnung einer bestimmten Bewußtseinsstufe und des
ihr entsprechenden Gegenstandes in den systematischen
Zusammenhang seiner Philosophie ist für Hegel die
allein sachgemäße und wahre Analyse und Beschreibung
des Phänomens. Wenn Haering nieint, daß Hegels
Logik in seinem System eine nicht eindeutige Stellung
einnehme, so scheint uns das der Ausdruck dafür zu
sein, daß er eben diese Zusammengehörigkeit verkennt.
Indessen wird erst der zweite Band des Werkes zeigen
können, wie weit es dem Verf. gelungen ist, allen
Seiten des Hegeischen Denkens gleichmäßig gerecht
zu werden; für die Jugendentwicklung dürfte ihm das
im allgemeinen gelungen sein. Als besonders wertvoll
ist hervorzuheben, daß er neben der Gedankenentwicklung
auch die Sprache Hegels in ihrem Werden verfolgt
und uns damit viele Hegeische Ausdrücke erst in ihrem
eigentümlichen Sinne verständlich macht. So verdient
das Werk Haerings schon jetzt, unter den Werken, die
durch eine sorgsame Interpretation Hegels Philosophie
in ihren bestimmenden Grundgedanken verdeutlichen
und ihre Entwicklung verständlich machen wollen, mit
an erster Stelle genannt zu werden.
Göttinnen. Kari Larenz.

Hume, David: Untersuchung über die Prinzipien der Moral.

Ubers., m. Einleitg. u. Reg. vers. v. Carl Win ekler. Leipzig- F
Meiner 1929. (XXXI, 188 S.) 8°. = Philosophische Bibliothek,
Bd- 19Q- RM 6 — ; geb. 7.50.

Messer, Prof. August: Kommentar zu Kants ethischen und
religionsphilosophischen Hauptschriften. Grundlegg. zur
Metaphysik der Sitten, Kritik d. prakt. Vernunft, Religion innerhalb d.
Grenzen d. bloßen Vernunft. Ebd. 1929. (VII, 196 S.) 8°. = Wissen
u. Forschen. Schriften z. Einführg. in d. Philos., Bd. 22.

RM 4-; geb. 6—.

Ratke, Heinrich: Systematisches Handlexikon zu Kants Kritik
der reinen Vernunft. Ebd. 1929. (VI, 329 S.) 8°. = Philosophische
Bibliothek, Bd. 37b. RM 8-; geb. 9.50.
Das erste der genannten Bücher ist eine vorbildliche Neuausgabe
in ausgezeichneter, zugleich wortgetreuer und stilistisch glänzender Übersetzung
. Die philosophische Tradition hat, unter dem Einfluß Kants,
die Moralphilosophie Humes gegenüber seiner Erkenntnislehre in den
Hintergrund treten lassen. Man muß bezweifeln, ob das zu Recht geschehen
ist. Diese „Untersuchung" ist so anregend, in Beobachtung
| und Beurteilung der ethischen Phänomene so differenziert, daß man ihr
1 — gerade in dieser neuen Ausgabe — noch eine Zukunft wünscht,
i Auch wenn sowohl Kant wie die Phänomenologie die Wesensverschieden-
I heit von „gut" im ethischen Sinn und „nützlich" einsichtig gemacht