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Ausgabe:

1930

Spalte:

145-151

Autor/Hrsg.:

Brandt, Frithjof

Titel/Untertitel:

Den unge Søren Kierkegaard. En Raekke nye Bidrag 1930

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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Theologische Literaturzeitung

Begründet von Emil Schurer und Adolf von Harnack
Herausgegeben von Professor D. EmatlUel Hirsch unter Mitwirkung von

Prof. D. Dr. G. Hölscher, Prof. D. Hans Lietzmann, Prof. D. Arthur Titius, Prof. D. Dr. G. Wobbermin

Mit Bibliographischem Beiblatt in Vierteljahrsheften, unter Mithilfe von Prof. Lic. K. D. Schmidt, Kiel,
bearb. v. Lic. H. Kittel u. Lic. Dr. Reich, beide in Göttingen.
Jährlich 26 Nrn. — Bezugspreis: halbjährlich RM 22.50. — Verlag: J. C. Hinrichs'sche Buchhandlung, Leipzig.

- - lahrtr Kr 7 Manuskripte und gelehrte Mitteilungen sind ausschließlich an Professor D. Hirsch in Oöttingen, 70 Mär7 IQlft

00. Jdlllg. ITT. /. Hainholzweg 62, zu senden, Rezensionsexemplare ausschließlich an den Verlag. y' izuv

Spalte

Brandt: Den unge Soren Kierkegaard

(Hirsch)...................145

Geiger: Urschrift und Übersetzungen der

Bibel (Köhler)...............151

Steuernagel: Hebräische Grammatik I

(Baumgartner)................Ii 51

Socin: Arabische Grammatik (Ders.). . . .J
Sellin: Einleitung in das Alte Testament

(Herrmann).................152

Gloege: Reich Gottes und Kirche (Weber). 153

Spalte

Ziesemer: Studien zur mittelalterlichen

Bibelübersetzung (Kohlschmidt)......155

Uttendörfer: ZinzendorfsWeltbetrachtung

(Renkewitz).................156

Gerhardt: Johann Hinrich Wichern

(Schreiner)..................158

Hirsch: Staat und Kirche im 19. und

20. Jahrhundert (Schian).........159

Geismar: Kristendommen og vor Tids

Kultur (Hirsch)...............159

Spalte

Kirken: Tidsskrift for kirkelig Orientering

(Hirsch)...................162

Piper: Vom Machtwillen der Kirche (Schian). 164

H a e r i n g: Hegel (Larenz).........165

Hume: Untersuchung über die Prinzipien'

der Moral (Zeltner).............

Messer: Kommentar zu Kants ethischen und
religionsphilosophischen Hauptschriften

(Ders.)....................

Ratke: Systematisches Handlexikon zu Kants
Kritik der reinen Vernunft (Ders.) .....

U66

Brandt, Frithjof: Den unge Soren Kierkegaard. En Raekke
nye Bidrag. Kopenhagen: Levin og Munksgaards Forlag 1929.
(XII, 459 S.) gr. 8°.

Im Juli 1S39 erschien bei Reitzel in Kopenhagen
von Henrik Hertz ein Roman von 444 S.: Stem-
ninger og Tilstande, Scener og Skildringer af et
Ophold i Kjobenhavn. Dieser sonst elende Roman hat
eine gewisse Bedeutung in der dänischen Literatur dadurch
, daß als Mittelpunkt eines Freundeskreises eine
außerordentlich bedeutende Gestalt in ihm vorkommt,
„Translatoren" (der Übersetzer), die nicht bloß sehr
realistisch und charakteristisch geschildert ist, sondern
auch im Gespräche mit den Freunden die allerentzückend-
sten und geistreichsten Sachen, freilich stets mit einer
guten Portion Bosheit dazu, zu sagen weiß, Sachen,
deren Gestaltung man dem Verf. des Romans nach
andern Partien gar nicht zutrauen würde. Um dieser
Gestalt willen mußte man Hertz als Dichter schon ein
wenig gelten lassen und zugleich ihn anerkennen als
den ersten bedeutenden konservativen Gegner der damaligen
demokratischen Zeitströmung; denn die Reden
des „Übersetzers" gehen zu einem Teile auf die Politik.
Br. führt nun in diesem Buche den urkundlichen, z. T.
auf Hertz' noch vorhandne handschriftliche Tagebücher
gestützten Nachweis, daß der „Übersetzer" Kierkegaard
ist, und daß sämtliche Äußerungen des „Übersetzers" im
Wesentlichen treue Wiedergaben von Notizen und Nachschriften
Kierkegaardischer Bemerkungen durch Hertz
sind. Hertz hat sozusagen mit Notizbuch und Bleistift
in der Hand mit Kierkegaard verkehrt. Als Retouche
ergibt sich kaum mehr, als daß Hertz die bissigsten der
satirischen Einfälle des „Übersetzers" weggelassen hat.

Das so für die Kenntnis des jungen Kierkegaard
gewonnene Material ist von nicht geringer Bedeutung.
Einmal, es trifft Jahre, über die wir sonst recht wenig
von Kierkegaard wissen. Aus äußern Gründen
kommen nur die Jahre von 1836 an als Quelle für
Hertz' Kierkegaardkenntnis in Betracht; es läßt sich
zeigen, daß der von Hertz gewählte Rahmen der Erzählung
gerade die Verhältnisse von Sommer 1836 bis
Frühjahr 1837 widerspiegelt. Damit sind wir aber der
Zeit der ethischen Krise in Kierkegaards Leben sehr
nahe. Frühjahr 1836 hat Kierkegaard sich bekanntlich
eines Abends erschießen wollen. Sodann, es läßt
sich zeigen (und hier hat Br. mit kriminalistischem Spürsinn
eine ungeheure Arbeit vollbracht), daß Hertz nicht
nur im „Übersetzer" Kierkegaard abgemalt hat, sondern
145

daß auch der ganze nähere Umgangskreis des Übersetzers
geschichtlich treu gezeichnet ist. Sämtliche Figuren
bis auf eine unbedeutende lassen sich identifizieren
. Die Wirtschaft, in der sie verkehrt haben, läßt
sich feststellen. Kurzum, in allem was den Übersetzer
und seinen Freundeskreis anlangt, hat der Roman den
Charakter des allerprimitivsten Schlüsselromans, und so
gut wie alle diesen Kreis betreffenden Szenen haben
einen geschichtlichen Wert, der in der Wiedergabe der
Reden dem Protokollarischen außerordentlich nahe
kommt. Man versteht nun erst richtig, warum Kierkegaard
in seinen Tagebüchern (II A 508) Hertz' Roman
spöttisch eine „Handarbeit" nennt.

Die so Kierkegaard und seinen Kreis betreffenden Stücke des Romans
umfassen bei Hertz S. 59—79; 153—171; 177-181; 202—207;
209—257; 298-320; 329—335; 346-355; 366—374; 401-404;
439 — 443. — In Parenthese sei bemerkt, dal! nach Br. auch der Rest des
Romans autobiographischen Inhalts ist, also an Erfindungskraft nicht allzuviel
höher steht. Doch ist Br. dem natürlich nicht im einzelnen nachgegangen
.

Schon diese Nachweise hätten eine eigne Arbeit
gelohnt. Br. ist aber nun in mehr als einer Hinsicht
über sie hinausgegangen. Einmal, er hat die in
Frage kommenden Persönlichkeiten genau nach ihrem
Verhältnis zu Kierkegaard aufgenommen. Dabei ergeben
sich eine Fülle nicht unwichtiger neuer Daten.
Vor allem aber, daß sich für den Gerichtsrat (Assessor)
in Entweder-Oder und für einige Gestalten des Gastmahls
die Modelle nachweisen lassen. Sie gehören
sämtlich dem genannten Freundeskreise an. Wir sehen
also in die geschichtlichen Hintergründe von Kierke-
gaard's Schriftstellerei nun besser hinein. Sodann,
er hat zu den genannten Persönlichkeiten auch noch
Poul Martin Moller, Kierkegaards geliebten Lehrer und
Freund, hinzugenommen und auch hier die persönlichen
Beziehungen und ihren literarischen Niederschlag bis ins
Kleinste analysiert. Auch hier gelangt er zu einer Reihe
lehrreicher Beobachtungen. So wächst ihm alles in
allem von seinem Ausgangspunkt her ein neues plastisches
Bild des jungen Kierkegaard heran. Seit P. A.
Heiberg's scharfsinnigen Untersuchungen zum jungen
Kierkegaard haben wir kein Buch gehabt, das an biographischem
Material soviel Neues und Überraschendes
zu Tage gefördert hätte. Freilich beginnt bei diesen
beiden Erweiterungen nun auch das Bedenkliche. Ganz
ohne Zweifel hat Br. sich an einzelnen Stellen von
seinen Beobachtungen aus zu allzu kühnen Schlüssen

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