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Ausgabe:

1930 Nr. 6

Spalte:

132

Autor/Hrsg.:

Becker, C. (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Jahrbuch 1929 des katholischen Vereins für missionsärztliche Fürsorge und des Missionsärztlichen Instituts. 6. Jahrg 1930

Rezensent:

Schlunk, Martin

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 6.

132

liehen Darlegungen über die „Profetenschüler", über die
politischen und die Kultusverhältnisse am Karmel sind
so zwingend, daß sie auch auf den Traditionsgläubigen
ihren Eindruck wohl nicht ganz verfehlen werden.

Aber damit ist das wissenschaftliche Problem, daß
die „Überlieferung" stellt, nicht erledigt. Es erhebt sofort
die Frage: wie kommt die Tradition dazu, die älteste
Kirche iuxta fontem Eliae, d. h. im Talgrund des wadi
'ain es-siäh zu suchen, also weder an der Stelle, an der
heute die Karmeliterbasilika auf dem (nordwestlichen)
Karmelkap den Anspruch erhebt: aedem haue a prophe-
tarum filiis primam in orbe deiparae dieatam (esse)
noch auch dort, wohin eine unvoreingenommene Exegese
von 1. Reg. 18 den Schauplatz verweisen muß, den
der Text beschreiben will und wo die Judenschaft des
17. Jahrhunderts auch die heiligen Steine noch gesehen j
haben will: am Südostvorsprung des Karmel, dort wo
sich der Kison eng an das Gebirge schmiegt, auf el-
muhraka! Heute sind diese Steine freilich sämtlich verschwunden
, und es fragt sich, ob nicht etwa das 17.
Jahrhundert einem ähnlichen Irrtum zum Opfer gefallen
ist wie die Professoren von Notre Dame de France in
Jerusalem mit der von ihnen beschriebenen, aber nur in
ihrer Phantasie existierenden Kyklopenmauer, nämlich
der Verwechslung gewachsener Felsgebilde mit menschlichen
Artefakten. Auf el-muhraka sind nun die Karmeliter
und mit ihnen das Christentum erst seit 1868 ansässig
, während ein (in frühislamischer Zeit zerstörtes)
Elisakloster am (Nordwest-)Kap bereits 570 durch „Antonin
von Piacenza" bezeugt ist und die Untersuchung
der dortigen archäologischen Funde durch E. Weigand
eine Basilika bis gegen 450 hinaufzuverfolgen erlauben j
würde. Leider ist über die Ausgrabungen, die die Karmeliter
selbst 1913 westlich vom Leuchtturm auf dem
Kap veranstaltet haben und bei der Mauerreste einer
streng (nach Nazareth) orientierten Basilika des 4. Jahrhunderts
gefunden sein sollen, kein genauer Bericht er-
schienen, und man wird es Herrn Kopp schwerlich ver- ;
Übeln können, wenn er sich angesichts des Interesses, j
die Basilika von der Kaiserin Helena herzuleiten, den
bloßen Versicherungen der Mönche gegenüber skeptisch
zeigt und seinerseits etwa bei dem Jahr 500 stehen
bleiben möchte. Ein als Annex zu diesen griechischen
Kirchen oder als Ersatz für sie nach ihrer Zerstörung j
erbautes, von Griechen und Moslems offenbar gemein- j
sam benutztes „Heiligtum" ist es hingegen, dessen
Stätte samt der des (griechisch-schismatischen) Margareten
-Klosters der Kreuzfahrerzeit auf die lateinischen
Karmeliter übergegangen ist, die Stätte der heutigen,
1767 erbauten Kirche und des heutigen Klosters. Die
Antwort auf die Frage, wie Elias in das wadi ;
'ain es-siäh gekommen ist, läßt sich infolgedessen |
bei dieser Sachlage nur aus der vergleichenden Re- ;
ligionsgeschichte geben. Auf dem Karmel wird vom
17.—19. Juli jährlich ein Fest gefeiert, an dem alle
umwohnenden Religionen sich gemeinsam beteiligen.
Christen und Juden feiern den Elias, die Moslems den
el-chadr, der auch an anderen palästinischen Orten, so
(als „Heilgott") an dem (heute in griechisch-christlichen
Händen befindlichen) Heiligtum des nach ihm i
benannten Ortes südwestlich beddsschäla, einen syn-
kretistischen Kult genießt. Für Herrn Kopp gestaltet |
sich die Kultgeschichte der doppelgeschoßigen Höhle
im wadi folgendermaßen: Ursprünglich war sie — wie j
nach dem Zeugnis des Hieronymus bekanntlich auch die i
heutige „Geburtsgrotte" unter dem Altar der Geburts- i
kirche in Bethlehem — eine heilige Stätte des Adonis.
In frühchristlicher Zeit trat an dessen Stelle der Elias,
der also, während er sonst im Orient vielfach den !
Sonnengott abgelöst hat, „hier ausnahmsweise an die j
Stelle eines Fruchtbarkeitsgottes rückte", wiewohl er in
der jüdischen Legende nicht Schutzpatron der Lebens-
spendung gewesen war. Am Karmel war Elias eben
„der geborene Nachfolger für jede heidnische Gottheit, ;
gleichgiltig, was sie repräsentierte". In islamischer Zeit '

ist dann Elias hier wie auch sonst mit el-chadr, der
„sagenhaften Gestalt des Wächters am Lebenswasser",
verschmolzen worden, ebenso wie anderwärts St. Georg
ihm, „dem großen Aufsauger", „erlag" und zu einer
seiner Inkarnationen ward, bis dann in der Kreuzfahrerzeit
griechische Eremiten wieder wie einst in die Höhle
Einzug hielten. Wenn auch der Akatholik in diesen religionsgeschichtlichen
Fragen, vor allem in dem Verhältnis
von el-chadr und St. Georg, zu Einzelheiten
seine Vorbehalte machen wird — ist nicht vielleicht der
christliche Heilige der christianisierte el-chadr? — so ist
doch auf das Ganze gesehen der Aufbau des Entwicklungsganges
so innerlich wahrscheinlich, daß mir das
Problem, wie Elias in das wadi es-siäh gekommen ist,
geklärt erscheint. Zu hoffen ist, daß durch Grabungen
auf dem Nordwestkap am Leuchtturm auch die andere
Frage noch aufgehellt wird, ob die Fundamente jener angeblich
aus der Zeit Konstantins stammenden Basilika auf
dem gewachsenen Felsen stehen oder ob hier vielleicht
ältere Baureste sich finden lassen, die auch diese Stätte
als einen vorchristlichen heiligen Platz, einen mäköm,
erweisen ließe. Die Geschichte der Höhlen im wadi es-
siäh wie in Bethlehem läßt ebenso wie die Geschichte
des Jerusalemer heiligen Felsens die Frage auftauchen,
ob nicht auch hier wie sonst so oft das „Gesetz von der
Konstanz des heiligen Ortes" sich bewährt. Eine eingehende
Darlegung der sonstigen Spuren des Christen-
tumes am Karmel, vor allem der Mönchslauren im wadi
el ahmar, deren Verwandtschaft mit den Lauren der
judäischen Eremiten hervorgehoben wird, und des Johannes
-Klosters in et-tire, sowie eine Schilderung der
Rückkehr der Karmeliter zum Karmel im 17. Jahrhundert
schließt das Buch, das in seinem Willen zur Wahrheit
, seinem Streben nach Gerechtigkeit (beachte z. B. das
Urteil über die Karmeliter S. 168) und seinem eindringenden
Scharfsinn zu den erfreulichsten Erscheinungen der
jüngsten Palästinaliteratur zählt, dazu in seinen 19 Abbildungen
und Plänen gutes archäologisches, geografi-
sches und kartografisches Material (vgl. die Karte von
1235, Abb. 17) erschließt. Auch wer nicht der Überzeugung
ist, „daß als mystisches Bild das Regenwölkchen
nach langer Dürre sich prächtig als Typ der
Mutter Gottes auswerten läßt, die ähnlich die dürstende
Menschheit mit ihrem Sohn, dem Bringer der geistigen
Fruchtbarkeit „erquickte", sondern sich fragt, ob nicht
die seltsame Verbindung des el-chadr-Elias mit der
„Paritura" in der Legendenbildung des 13. Jahrhunderts
gleichfalls „religionsgeschichtlich" zu erklären ist, d. h.
ob nicht auch hierin (wie — trotz S. 121 — in St. Margarete
) die zum 'ädön gehörige ba'ala ebenso ihr Nachleben
hat, wie dieser im Elias-el-chadr, wird die Arbeit
des Herrn Kopp mit reichem Nutzen lesen.
Göttingen. Johannes H e m p e 1.

Jahrbuch 1929 des katholischen Vereins für missionsärztliche
Fürsorge und des Missionsärztlichen Instituts. [Katholische
missionsärztliche Fürsorge.] 6. Jahrg. Hrsg. von C. Becker.
M.-Gladbach : Katholischer Missions-Verl. 1929. (II, 159 S. m. Abb.)
gr. 8°. RM 2.50.

Der neue Band des Jahrbuchs ist mit seinem reichen
Inhalt wohl mehr dazu bestimmt, Fernerstehende
für die ärztliche Arbeit innerhalb der katholischen
Mission zu gewinnen, als wissenschaftlich über sie zu
berichten. Die erzählenden und erbaulichen Artikel überwiegen
stark. Eigentlich hat nur der Aufsatz von P.
Mühlens über tropische Darmkrankheiten, ihre Vorbeugung
und Behandlung, wissenschaftliche Bedeutung.
Als Werbeschrift ist das Jahrbuch mit seinen vielen
guten Abbildungen und seiner warmen persönlichen
Note recht sympathisch und ein gutes Dokument für
den Eifer, den die katholische Mission jetzt auf die ärztliche
Fürsorge zu legen beginnt.
Tübingen. M. Schlunk.