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Ausgabe:

1930 Nr. 6

Spalte:

130-132

Autor/Hrsg.:

Kopp, Clemens

Titel/Untertitel:

Elias und Christentum auf dem Karmel 1930

Rezensent:

Hempel, Johannes

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129

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 6.

130

Wie Walser fußt auch Holborn häufig auf Kalkoffs I
tatsächlichen Feststellungen, muß ihn aber ebenso häu- !
fig berichtigen, sobald Kalkoff die Grenze der quellen- j
kritisch beweisbaren Fakta überschreitet und mit künstlichen
Indizien arbeitet. Seine Behandlung des Themas
zwang Holborn, nicht wie Kalkoff einzelne Episoden
aus Huttens Dasein herauszugreifen, die zur Unterstützung
eines bestimmten Charakterbildes geeignet waren
, sondern Huttens gesamte Lebenslaufbahn zusam- ,
menhängend zu verfolgen. Auf solche Art gewann er [
von vornherein eine Kalkoff widersprechende Auf- ]
fassung der Vorbedingungen von Huttens Wirken. Während
Kalkoff in Hutten den engherzigen, egoistischen
Ritter erblickte, welcher nur äußerlich und oberflächlich
seine ganz persönlichen Beweggründe mit humanisti-
sehen und reformatorischen Ideen drappierte und auch
seine Angriffe auf die Kurie und die römischen Kurti- I
sanen aus Brotneid unternahm, begann Holborn mit
Erörterungen über den Zwiespalt zwischen dem niedergehenden
, um sein Dasein ringenden Rittertum und den
auf einem frühen wechselvollen Wanderleben empfangenen
humanistischen, antischolastischen Anregungen Huttens
. Der ritterlichen Herkunft schreibt Holborn die auf
die Tat gerichtete Natur Huttens zu, anderseits die
engen, seinem Tatendrang gesetzten Grenzen. Im Mittelpunkte
von Holborns Schilderung steht immer wieder
Huttens Streben, nicht in einer vita contemplativa zu
verharren, und anderseits sein Kampf mit Fortuna.

Auf solche Art erscheint bei Holborn Hutten natürlich
tiefer veranlagt als bei Kalkoff. Das wirkt sich in
der Würdigung nahezu aller Lebensschicksale aus.
Schon dem „Vagantentum", welches Holborn von Huttens
Klosterflucht bis zu seiner ars poetica rechnet und
welches Kalkoff als Beweis von Huttens unstetem,
höheren geistigen Bedürfnissen abholdem Charakter
diente, bringt er Interesse entgegen, weil er in dieser
Periode manche später weiter ausgereifte Keime findet.
Er leugnet nicht das Abstoßende in Huttens Auseinandersetzungen
mit der Greifswalder Familie Lötze,
betont aber, wie schon Huttens „Lötze-Klagen" „die
Eloquenz als Mittel zweckbestimmten Handelns" benutzen
und dadurch die Eigenart seiner Schriftstellerei
einleiten. Auch wo er dann wie beim „Mahngedicht"
Kalkoffs Urteil billigt und das Werk mehr als technische
, künstlerische Spielerei wie als Ausdruck tiefer
innerer Gesinnung ansieht, mißt er solchen Arbeiten
eine °rößere Bedeutung bei, weil sie den Rahmen abgeben
^ den später Hutten mit reicherem Inhalt erfüllt.
So läßt Holbom Hutten nach Italien schon bestimmte
nationale Eindrücke mitnehmen und gewinnt dadurch
auch für Huttens italienische Erlebnisse einen ganz
anderen Maßstab. Er streitet ebensowenig wie für die
vorangegangene Wander- und Wiener Zeit äußere Begebenheiten
ab, die an verschiedenen Orten Huttens
weiteres Verweilen unmöglich machten; aber sie sind
ihm nicht wie für Kalkoff das Entscheidende. Vielmehr
fragt Holborn vor allem nach den Fortschritten, welche
Huttens Entwicklung in Italien erfahren hat. Die gleiche
Methode schlägt Holborn auch in der Schilderung von
Huttens späteren Lebensstadien ein. Es kommt ihm z. B.
nicht in den Sinn, nach Kalkoffschem Muster zu erörtern
, welche geistigen Anregungen Hutten am Mainzer
Hofe hätte empfangen können und welche er tatsächlich
nicht empfangen hat, sondern er beleuchtet hauptsächlich
den seelischen Gegensatz, in welchem sich sein Unabhängigkeitsdrang
zu den Schranken des kurfürstlichen
Hoflebens befand. Deshalb bildeten für Kalkoff die
Quellen zur damaligen Mainzer Geistes- und Kulturgeschichte
, vor allem Schriften dortiger Humanisten
oder Notizen über dieselben, für Holborn Huttens
„Aula" und Korrespondenz mit Pirkheimer die Hauptunterlagen
. Es bedarf keiner weiteren Ausführung, daß
bei derartigen methodischen Unterschieden auch Huttens
Verhältnis zu Luther. Erasmus und Sickingen bei Holborn
m ganz anderem Lichte erscheinen muß als bei Kalkoff.

Macht auf solche Weise Holborn einen viel weniger
voreingenommenen Eindruck als der verstorbene temperamentvolle
Breslauer Historiker, so ist er letzterem
gegenüber manchmal im Nachteil, wenn er gleich diesem
auf Kombinationen aus spärlichen Andeutungen oder
Anzeichen angewiesen ist. Wenn Kalkoff bei solchen
Gelegenheiten nicht aus vorgefaßter Meinung die Zügel
schießen läßt, zeigt sich eben doch, daß er in die ganze
Zeit und die großen Zusammenhänge sich ganz anders
eingelebt hat und dadurch manche Schlußroigerungen
nicht zieht, zu welchen ein Ideenhistoriker kommt, der
das Werden und Wirken seines Helden wesentlich aus
dessen Schriften verfolgt. Z. B. schildert Kalkoff die
Bamberger Zusammenkunft Huttens mit Crotus Ru-
beanus wesentlich zurückhaltender als Holborn; freilich
spielt dabei eine Rolle, daß er mit dieser Selbstbeschränkung
zugleich und hauptsächlich gegen die unbelegbaren
Thesen Kampschultes fechten will.
Freiburg i. Br. Gustav Wolf.

Kopp, Studienr. Dr. theol. Clemens: Elias und Christentum auf

dem Karmel. (Mit 19 Abb. auf Taf.) Paderborn : F. Schöningh
1929. (184 S.) gr. 8°. = Collectanea Hierosolymitana, HL Bd.

RM 14 — ; geb. 16—.

Mit besonderer Freude zeige ich das vorliegende
Buch hier an; seine Durcharbeitung erinnerte mich
immer wieder an die Zeit, in der Herr Kopp und ich
im Österreichischen Pilgerhaus in Jerusalem so manche
Stunde die Fragen der palästinischen „Traditionen"
durchgesprochen haben. Ein streng historisch-kritisch
geschulter und wissenschaftlich unoedingt sauber arbeitender
Forscher wie Herr K. wird bei diesen Fragen
immer wieder in die Lage kommen, sich von der Un-
haltbarkeit von Überlieferungen zu überzeugen, die ihm,
dem gläubigen Katholiken, als von seiner Kirche wenigstens
geduldet entgegentreten. Das gilt in besonderem
Maße von den Legenden, die die Grundlage des Karmeliterordens
bilden. Ihren charakteristischen Niederschlag
haben sie in der von der Kirche gestatteten Präfation
der Messe Beatae Mariae Virginis de Monte Carmelo
gefunden: Qui per nubem levem de mari ascendentem
(1. Reg. 18, 44) immaculatam Virginem Mariam beato
Eliae Prophetae mirabiliter praesignasti eique cultum a
filiis prophetarum praestare voluisti, und, wenn auch n it
einem vorsichtig einschränkenden ut fertur, sind sie auch
in das Breviarium Romanum aufgenommen (2. Nokturn
für den 16. Juli). Elias der Gründer einer Profetengenossenschaft
, die auf dem Karmel iuxta fontem Eliae
ein mönchisches Leben mit den Gelübden der Armut,
Keuschheit und des Gehorsams geführt, alle Stürme
der Zeit überdauert, quorum successores (nach der Form
der Tradition auf dem Generalkapitel von Barcelona
1329) post Incarnationem Domini Nostri Jesu Christi
ibidem Oratorium in honorem beatissimae Mariae Virginis
d. M. C. construxerunt; deineeps per apostolica
privilegia sunt vocati Fratres B. M. V. Diese Kirche
ist der Tradition nach die erste und älteste Marienkirche
überhaupt gewesen. Ja, nach einem heute anscheinend
von dem Orden nicht mehr vertretenen Zweige der
Überlieferung ist diese Kirche bereits von Elia selbst
gebaut worden: Ein 1370 von Philipp Riboti veröffentlichtes
, angeblich auf Johannes XLIV (= Johannes II
von Jerusalem 386—417) zurückgehendes Buch De
institutione primorum monachorum bringt zu den Worten
„verum etiam domum oratiani consecratam, appella-
tam Semnion (Elias) aedifieavit" die Glosse: Semnion
aut sacra aedes in monte Carmelo erecta est ab ipso Elia
Virgini pariturae. Daß in beiden Formen diese „Traditionen
", deren Geschichte Herr Kopp von der Kreuzfahrerzeit
an Schritt für Schritt verfolgt (Darlegungen,
zu denen ich mich des Urteils enthalten muß, da sie
meinem Arbeitsgebiet zu fern liegen), gänzlich unhaltbar
sind, daß gegen sie „die Vernunft und die Geschichte
aufsteht" und die Exegese von 1. Reg. 18,42—44 dazu,
betont er mit erfreulichem Nachdruck. Seine geschieht-