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Ausgabe:

1930 Nr. 6

Spalte:

126-127

Autor/Hrsg.:

Erman, Adolf

Titel/Untertitel:

Ägyptische Grammatik. 4., völlig umgest. Aufl 1930

Rezensent:

Wiedemann, Alfred

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 6.

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Terminus Denkform. Er versteht darunter „das in sich
zusammenhängende Ganze der Gesetzmäßigkeiten des
Denkens, die sich aus der Analyse von schriftlich ausgedrückten
Gedanken eines Individuums ergeben und sich I
als derselbe Komplex bei andern ebenfalls auffinden
lassen" (9). Diese etwas komplizierte Begriffsbestimmung
, mit ihrer doch wohl nur aus technischen Gründen t
geforderten Beschränkung auf die schriftlichen Gedan- j
ken und mit der unklaren Stellung des individuellen
Formgebungsrechtes, läßt immerhin ein weites Arbeitsfeld
für die „phänomenologischen" Bemühungen offen.
Die „Denkformen sollen nicht konstruiert, sondern aus j
gedachten Gedanken empirisch durch Induktion ge- 1
wonnen werden" (49). Man hat schon oft der Typologie
den Vorwurf gemacht, daß sie über dem entdeckten
Tvpus das Individuum zu vergessen geneigt sei. Trotz-
dem wird man einer ernsthaften Typologie regulative
Bedeutung nicht absprechen und ihr dankbar sein für
die neuen Gesichtspunkte, die sie der reflektierenden Urteilskraft
zur Verfügung stellt. So wird man auch Leise-
gang für einzelne Bemerkungen Dank wissen, die hier
und da durch das ganze Werk verstreut Bekanntes in
neuem und schärferem Licht zeigen. Aber wenn wirklich
das Resultat der neuen Typologie sich aufs Ganze gesehen
mit der Entgegensetzung des rationalistischen
gegen den dialektisch-mystischen Typus erschöpft, dann
müßte man freilich sich eingestehen, daß hier viel Lärm
um Nichts gemacht wäre. Das ist nun nicht der Fall;
denn die Problematik zielt weiter. Aber auch die bisherige
Problemgeschichte der Philosophie hat wahrlich
nicht mit dem Zollstock der „normalen Logik" gearbeitet
und die Prädikate richtig oder falsch abgegeben;
sondern sie ist mit einer Hingabe den Bekundungen be-
soliderer „Denkformen" gefolgt, gegen die die starre
Auseinanderreißung der Denker in Dialektiker und Rationalisten
sich als eine harte und dogmatische Konstruktion
ausnimmt.

Nicht weniger dogmatisch mutet die Einseitigkeit
und Selbstverständlichkeit an, mit der Leisegang die Abhängigkeit
der Denkform von dem Anschauungsmaterial
feststellt. „Alles Denken ... ist eine Bearbeitung einer ,
vorgestellten Wirklichkeit. Wer in einer andern Wirk- !
lichkeit lebt, muß daher andre Begriffe bilden, anders
Urteilen und schließen" (8). Dazu paßt, daß „das
menschliche Denken im wesentlichen aus der Anschau- ;
ung entspringt" (10). Kann man denn seit Kant diskussionslos
an der Frage vorbeigehen, wo denn eine
von der Denkform noch nicht betroffene Anschauung
vorliegt? Die Materialien, die Leisegang am liebsten
verwendet, sind die Pflanze und die Maschine. Entsprechend
teilt er die „Inhalte" in solcher erster und
Aveiter Ordnung, solche, die von Menschen nicht geschaffen
und solche, die von Menschen geschaffen sind.
Durch die ersten ist das dialektische, du^ch die zweiten
das rationalistische Denken gebunden. Wie will man in
einer Zeit, in der die Naturwissenschaft drauf und dran
ist, etwa von Seiten der Physik her die Grenzen zwischen
lebender und toter Natur und der ihnen ent- j
sprechenden Wissenschaftsmethoden zu sprengen, auf
einem Boden bestehen, der so ungesichert für tragfähig
ausgegeben wird? Der Weg, jeweils die gemäße Denkform
zu entdecken, kann nur gefunden werden „durch
ständige Orientierung an den einer Denkform zugrundeliegenden
Anschauungen". Nur durch ein „absichtliches
Sich-dumm-stellen" soll man einer fremden Denkform
auf die Spur kommen können. Wenn man also
den Satz: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das
Leben", der mit „unserer" Logik nicht vereinbar ist,
verstehen will — denn wir sagen nicht „Herr Müller ist
der Weg", sondern „Herr Müller geht einen Weg" —,
dann soll man nach einem „konkreten Anschauungskomplex
" fahnden; in diesem Fall also natürlich nach |
der Pflanze; und nun sich klarmachen, daß wenn Gott I
der Same, der Sohn der ganze Organismus und die j
Bluten und Blätter die Geschöpfe sind, dann für diese I

Geschöpfe der Sohn in der Tat der Weg ist (52 ff.).
Sollte allen Ernstes die Wirklichkeitsgrundlage jener
Worte und die in ihnen lebendige Logik besser von der
Pflanze als von dem Menschen sich ablesen lassen?

Denn das ist nun das Letzte, was hier zu erinnern
bleibt. Wenn schon der Kampf gegen die Selbstherrlichkeit
der „normalen Logik" eröffnet werden sollte, dann
hätte man von der Basis der menschlichen Wirklichkeit
nicht absehen dürfen. Wenn aber in ihr die Entscheidung
liegt, und hier doch gewiß nicht erlaubt sein kann,
das Kind vom Vater, den Menschen vom Mitmenschen
tote genere zu trennen, dann hätte man auch nicht so
leichthin von der einen Logik Abschied nehmen
können, wie Leisegang es tut. „Je egoistischer und beschränkter
ein Menschengeist ist, um so weniger Ehrfurcht
wird er vor den geistigen Schöpfungen anderer
haben" (440). Aber daraus kann man nicht folgern,
daß der Glaube an eine Logik, eine Ethik und eine
Ästhetik Egoismus sei. Wenn man die Voraussetzung
des einen Denkens und der einen (menschlichen)
Wirklichkeit preisgibt, dann hört die Auseinandersetzung
zwischen den Menschen auf; und damit gerade die Möglichkeit
des wirklichen Eingehens der Menschen aufeinander
, des Sichverantwortenmüssens und des Zurverant-
wortungziehens. Gewiß hat es bei rationalistischen und
bei dialektischen Philosophen der schroffen Selbstversteifung
genug gegeben. Aber sie kann nicht durch die
Proklamation einer entscheidungslosen Mehrheit von
Logiken gebrochen werden, sondern nur durch die Zu-
rückführung auf den Boden der menschlichen Auseinandersetzung
. Von diesem Boden verantwortlicher Rede
und Gegenrede, von diesem Ringen um die eine Erkenntnis
, die not ist, und von der doch auch das jüdischjuridische
Denken einiges zu sagen wußte, sich gelöst
und auf einen erhobenen Standort gestellt zu haben,
mag man einigen stolzen philosophischen Geistern vorwerfen
. Aber aus dieser Abstraktion wird das entscheidungslose
Nebeneinander mehrerer Denkformen nicht
freimachen. Weniger wäre in dem vorliegenden Fall
mehr gewesen. Wenn Leisegangs Arbeit nicht mit dem
Anspruch aufgetreten wäre, die Einheit der menschlichen
Erkenntnis umzustoßen, dann hätte man in ihren besonderen
Ergebnissen ihr zuversichtlicher folgen I önnen.
Aber auch jetzt sei nicht vergessen, daß im einzelnen der
hermeneutische Ertrag nicht gering ist und aus einer
hingebenden Aribeit an den philosophischen Texten herausgewachsen
ist.

Breiten. Hinrich Knittermeyer.

Erman, Adolf: Äyyptische Grammatik. Mit Schnfttafel, Paradigmen
u. Übungsstücken z. Selbststudium u. z. Gebiauch in Vorlesungen
. 4., völlig umgest. Aufl. (xvi, 309 u. 10* S.). Schrifttafel
. (ii, 39 S.) RM 2.50. Ergänzungsband zum Erlernen
d. Schrift, Paradigmen u. Übungsstücke. (ii, 57 u. 8* S.) RM. 4.50;
geb. 6-. Berlin: Reuther & Reichard 1928. 4°. = Porta Lingu-
arum Orientalium, xv. rm 15 . gev,, ig—.

Seit Beginn seiner wissenschaftlichen Tätigkeit war
das Hauptinteresse Erman's auf die Erforschung und
systematische Darstellung sprachlicher ägyptischer Erscheinungen
gerichtet. Zunächst erschienen neben einer
Reihe von Einzeluntersuchungen die Neuägvptische
Grammatik (1880) für die literarischen Texte des beginnenden
Neuen Reiches, und Die Sprache des Papyrus
Westcar (1889) für das volkstümliche Mittel ägyptisch
dieser Märchensammlung. Diesen Vorarbeiten folgte
die erste Auflage der Ägyptischen Grammatik (1S94),
die nach verhältnismäßig kurzer Zeit in neubearbeiteter
2. (1902), 3. (1911) und jetzt in völlig umgestalteter
4. Auflage ausgegeben wurde. Das Werk war zunächst
als eine Einführung in das Ägyptische für Anfänger
gedacht, die späteren Auflagen ha' en bei der fortschreitenden
Kenntnis des grammatischen Baus der Sprache
in wachsendem Maße wissenschaftliche Vollständigkeit
erstrebt. Um dabei dem Anfänger auch weiterhin das
Verständnis der Hauptregeln zu erleichtern, verfaßte
Erman einen schnell vergriffenen und leider nicht wieder