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Ausgabe:

1930 Nr. 5

Spalte:

117-118

Autor/Hrsg.:

Eisenhuth, Heinz Erich

Titel/Untertitel:

Die Entwicklung des Problems der Glaubensgewißheit bei Karl Heim 1930

Rezensent:

Thimme, Wilhelm

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Seite 1

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117

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 5.

118

(wenngleich deren absolute Abgrenzung in der Gegen-
wart auch lebhaft flüssig wird). Die Wahrheit wird j
doch in der Mitte liegen, daß sowohl die ganzheitliche,
wie die individualistische Methode der Betrachtung bei
den soziologischen Phänomenen am Platze sind, ja
daß sie erst in ihrer gegenseitigen Ergänzung uns in
die Komplexheit der Phänomene recht hineinführen.
Die Induktion wird immer mehr individualistisch be-
gönnen, das Ergebnis zuletzt immer mehr ganzheitlich
sein.

Greifswald. W. Koepp.

Elsenhuth, Lic. Heinz Erich : Die Entwicklung des Problems
der Glaubensgewißheit bei Karl Heim. Göttincen: Vanden- !
hoeck & Ruprecht 1Q28. (VI, 78 S.) gr. 8°. = Studien zur systemat.
Theologie, hrsg. v. Arthur Titius und Georg Vvobbermin, H. 1.

UM 4.80. :

Diese scharfsinnige und eindringende Studie ist
nach Thema und Anlage nah verwandt mit der von mir !
seinerzeit hier besprochenen Schrift Ruttenbecks, die |
apologetisch-theologische Methode Karl Heims. Wäh- i
rend aber R. die Entwicklung des Denkens Heims unter
einem Gesichtspunkt beleuchtet, der es erschwert, ihre
innere Notwendigkeit und Folgerichtigkeit ans Licht zu
stellen — ist doch Heim in erster Linie weder an Ausbildung
einer neuen Methode noch an Apologetik, sondern
an Wahrheit und Gewißheit des christlichen Glau- |
bens selbst interessiert — ist es E. eben darum zu tun.
Jedes Mal, wenn er die Struktur einer Entwicklungs-
epoche Heims nachgezeichnet hat, hebt er neben dem,
WU erreicht ist, hervor, in welchen Punkten die ge- I
wonnene Position, um den letzten Intentionen gerecht
zu werden, ergänzungs- bzw. verbesserungsbedürftig zu
sein scheint. In ganz großen Zügen und mit eigenen
Worten sei die Entwicklung Heims, wie sie sich nach E.
darstellt, nachgezeichnet.

Die eigentümliche, bereits auf Religion und Christentum
hinzielende Philosophie der ersten Epoche, die
man durch die Stichworte Monismus, Bewußtseinsimmanenz
, Relation, Entscheidung charakterisieren kann, vernachlässigt
abgesehen davon, daß sie noch nicht den
Heimschen Wesenszug des Grübelns und Philosophierens
aus tiefer Not offenbart, vor allem ein Moment, das
doch schon bereits in den Gedankenzusammenhang eingebaut
ist, nämlich die Posivität des Wirklichen, den
Umstand, daß grundlegende Entscheidungen ohne Zutun
des Menschen bereits gefallen sind, wodurch sich
das Hineinragen einer höheren Sphäre in die Wirklichkeit
ankündet. So gewinnt das vorwärtsstrebende Denken
der zweiten Epoche (bis zur 1. und 2. Auflage der
„Glaubensgewißheit") ein mehr dualistisches Gepräge.
Die vom Subjekt-Objekt-Schema beherrschte, raumzeitliche
Welt der „Erfahrungsformen" erweist sich als
hoffnungslos widerspruchsvoll, und in den jetzt scharf
betonten unbegreiflichen, „schicksalhaften" (2. Aufl. der
QjL.) Setzungen des Ich, Hier und Jetzt, sowie der
Christustatsache erschließt sich andeutend, bzw. offenbarend
die Gotteswirklichkeit. Daß der Übergang von
ul^t ZMeiten zur dritten Auflage eine scharfe Wendung
bedeutet, die vornehmlich auf das Konto des Systema- ,
tikers zu setzen ist, wird, scheint mir, nicht genügend
herausgearbeitet. Immerhin ergibt sich auch nach E.'s
Darstellung, wenn man die angeführten Einzelzüge zusammenschaut
, deutlich das Bild eines zweiten monistischen
Entwurfs, in welchem die bisherige höhere Sphäre
gewissermaßen die Rolle der Tiefendimension übernommen
hat. Es handelt sich hier um einen transzendent |
talen Idealismus freilich ganz eigenartigen Charakters,
da das ungegebene, erkenntnistheoretische Ich einerseits
mit Gott-Christus identifiziert, andrerseits vom empiri-
sehen Ich her intuitiv erfaßt wird. Begreiflich, daß
Heim hierbei nicht stehen bleiben konnte (gute Bemerkungen
über die inneren Nötigungen H.'s, hierüber hinaus
fortzuschreiten bei E. S. 58 f., besonders auch S. 60:
„Zum zweiten Mal wird derselbe entscheidende Vorgang
bei Heim sichtbar: durch Konsequenz zur Universalität,

durch diese zur Gegensätzlichkeit" usw.) und in seiner
letzten Wandlung, die den Begriff des Transperspektivischen
einführt, unfraglich nun nicht von systematischen,
sondern starken religiösen Impulsen getrieben, eine neue
Form des Dualismus aufzubauen beginnt. Es ist m. E.
E. darin beizupflichten, daß er bei all diesen Wandlungen
, die doch in einem Punkte, nämlich dem von Heim
stets behaupteten Aufeinanderangewiesensein von Philosophie
und Theologie, unbeirrbare Konstanz zeigen, die
mitspielenden äußeren, von Heim selbst stets dankbar
hervorgehobenen Einflüsse in ihrer Bedeutung nicht
sonderlich hoch einschätzt. Es waren in der Tat wohl
mehr Veranlassungen als Ursachen des Fortschreitens,
das gilt auch von der von E. nicht erwähnten Beeinflussung
Heims durch Barth. In jedem Fall wirkten sich
starke innere Motive aus, die der verständnisvolle Leser
der Heimischen Schriften miterlebt.

E.'s Einzelausführungen, die eindringend und selbständig
sind (eine von R. aufgedeckte und von Heim bestätigte
Entwicklungstendenz, die Beschränkung des ursprünglichen
Logizisinus durch zunehmenden Wirklichkeitssinn
, scheint ihm kaum erwähnenswert), sind leider
oft recht schwer verständlich. Nur einem gründlichen
Kenner der einschlägigen Schriften Heinis wird das
Buch wertvolle Dienste leisten können, ohne daß äußerste
Anspannung der Aufmerksamkeit und mehrfach wiederholtes
Überiesen nötig wären. Ich muß gestehen,
daß eine solche Darstellung mir ein Unrecht gegen den
behandelten Autor zu sein scheint, nicht zum wenigsten
grade gegen Heim, der sich stets angelegentlich bemüht
, auch die schwierigsten Gedankengänge dem Leser
möglichst leicht faßlich zu machen.
Iburg. W. Tliimm e.

Beyer, Prof. Dr. Hermann Wolfgang: Die Ethik der KriegS-
schuldfrage. Vortrag, geh. bei d. Kundgebung d. Greifswalder
Studentenschaft am 28. VI. 1927. Greifswald: Ratsbuchh. L. Bamberg
1927. (18 S.) gr. 8°. RM 1—.
Aus kundiger, quellentreuer Darstellung der Kriegsschuldfrage
als geschichtlichen Problems erwächst dem
Verf. das geschichtsphilosophisch-ethische Problem: Ist
das Suchen nach der Kriegsschuld selbst überhaupt etwas
Sittliches? Seine Antwort ist: Nein. Denn 1. liegt
es „im Wesen der Menschheitskultur, daß das Recht,
auf einem anvertrauten Stück der Erde ein Volksleben
nach ureigenster Art, nach eigenen Zielen und unter
eigener Verantwortung zu gestalten, von einem gesammelten
Volkswillen erkämpft werden muß". Volkswille
steht mit tiefster innerer Notwendigkeit gegen Volks-
willen. „Kein internationaler Gerichtshof kann entscheiden
und vollends kein politisches Gremium aus einem
Teil der Beteiligten, welchen Volkes Wille Recht und
welcher Unrecht war" (S. 15f.). 2. Ein Volk, das im
Bewußtsein höchster Verantwortlichkeit die ultima ratio
des Krieges wählt, stellt sich selbst unter das Gericht
der Geschichte, die über Aufstieg und Verfall der Völker
nach ihrer inneren Lebendigkeit entscheidet, der Geschichte
, über der der lebendige Gott waltet, der Völker
beruft und Völker zerschmeißt. Die Behandlung der
Kriegsschuldfrage in Art. 231 des Versailler Diktats ist
unethisch, weil sie objektiv tief unter dem Punkt bleibt,
an dem die wahre Verantwortung liegt, und auch subjektiv
nicht von dem reinen und lauteren Verlangen nach
der Wahrheit getragen ist (S. 16f.). Die eindringliche
Schlußwarnung vor dem schleichenden Gift der Un-
wahrhaftigkeit überhaupt berührt den Punkt, von dem
nicht geschwiegen werden kann, wenn die Fragen nach
Krieg und Kriegsschuld ihre christliche Antwort finden
sollen: nondum considerasti, quanti ponderis sit pecca-
tum. Ethos und Pathos der ernsten, würdigen Rede,
die sich vereinen in der Forderung heiligen Wahrheitswillens
, werden aktuell und wirksam bleiben für die
Schärfung des Gewissens bei Deutschen und Nichtdeut-
schen, denen Volkstum ein anvertrautes sittliches Gut ist.

Göttincen. __j. ßehm.