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Ausgabe:

1930 Nr. 5

Spalte:

111-112

Autor/Hrsg.:

Liebert, Arthur

Titel/Untertitel:

Geist und Welt der Dialektik. Bd. I: Grundlegung der Dialektik 1930

Rezensent:

Zeltner, Hermann

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111

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 5.

112

die Missionsarbeit des Apostels sind wohlgelungen, voll j
guter Einzelbeobachtungen und beleuchtender Parallelen i
aus der neueren Heidenmission. Auch die Wiedergabe 1
des Inhalts der paulinischen Briefe (die Pastoralbriefe
scheidet L. aus) ist meistens trefflich. Weniger befriedigt
hat mich die Darstellung der Theologie des Paulus,
sie dringt doch zu wenig in die Tiefe. Auch gegen
manche Einzelheiten hätte ich Einwände zu erheben. Aber
im Ganzen darf gesagt werden, daß Liechtenhan die
von ihm gestellte Aufgabe glücklich gelöst hat, und
daß sein Buch wirklich eine Lücke in der deutschen
Paulusliteratur ausfüllt.
Oslo. Olaf Moe.

Liebert, Arthur: Geist und Welt der Dialektik. Bd. I: Grundlegung
d. Dialektik. Berlin: Pan-Verlag K. Metzner 1929. (XX,
470 S.) gr. 8°. RM 22—; geb. 24-. I

„Grundlegung" ist dieses Buch nur insofern zu j
nennen, als es ein Programm entwickelt, dessen Ausfiih- j
rung aber nur skizziert ist bezw. in den folgenden Bänden
gegeben werden soll. L. unternimmt den Versuch, als
das zentrale Anliegen der Philosophie die Metaphysik, ;
als deren Lebensprinzip aber die Dialektik herauszu- j
stellen. Er hat sich dabei ausführlich mit den meta- j
physikfeindlichen und mit den der Dialektik abholden j
Richtungen der Philosophie, wie er sie sieht: also mit
dem Pragmatismus, der Lebensphilosophie und dem
älteren Neukantianismus auseinanderzusetzen. Der schär-
feren Herausarbeitung seiner These dient auch die Abgrenzung
gegenüber den älteren Unternehmungen gleicher
Absicht, unter denen Hegels System eine bevorzugte
Stellung einnimmt.

Er setzt Hegels harmonistischer Dialektik sein
Postulat einer tragischen Dialektik entgegen, in der der
Gegensatz wirklich Gegensatz, das Problem wirklich
Problem bleibt, ohne vorschnell in eine vermeintliche
Lösung übergeführt zu werden. Das bedingt auch eine j
Selbstunterscheidung von der Religion, die auf anderer
Ebene als die Philosophie dem Menschen Erlösung
bietet, aber der Dialektik da nicht entraten kann, wo sie
rationaler Natur ist. In dem allen hat sich eine mit j
großem Pathos — man ist versucht, auf Nietzsches i
1. Unzeitgemäße Betrachtung verweisend vor solchem
Pathos etwas zu warnen — verkündete Haltung des
tragischen Heroismus zu bewähren, dessen Ethos der
tragende Grund sowohl des gegenwärtigen Zeitgeistes
als der neuen, ihm gemäßen Metaphysik sein soll.

Dies ist in wesentlicher Vereinfachung der Inhalt
des Buches. Eine gewisse Komplikation bringen die
vielen Themaformulierungen, die z. T. ohne ersichtlichen
Zusammenhang mit dem Gedankengang zu sein scheinen
, Formulierungen, meist nach dem Schema der kritischen
Frage Kants: „Wie ist Metaphysik überhaupt
möglich?" Es befriedigt nicht, diese Themen — ich
nenne: die Möglichkeit philosophischer Probleme, die
Möglichkeit des Märchens, eine Erkenntnistheorie der
Religionswissenschaft, eine transzendentale Psychologie,
eine Kritik der historischen Vernunft, ja nebenbei eine
vollkommen neue Ethik! — alle diese Themen genannt
zu bekommen, ohne daß auch nur eines davon in Angriff
genommen wäre. Die beständige Berufung auf
Kants Kritizismus, die These, daß alle philosophischen
Kontroversen auf den dialektischen Gegensatz von Dogmatismus
und Kritizismus zu reduzieren seien, fördern |
leider auch nur einen neuen Programmpunkt zutage, j
ohne die vielen dringlichen Probleme ihrer Lösung ent- ]
gegenzuführen. So sehr die Berufung auf Kant berechtigt
zu sein scheint — Kants Antinomik ist in der Tat
die Urform einer „unversöhnten" Dialektik — sie scheint
andererseits das Blickfeld bedauerlich verengt zu haben:
die Fragestellung bekommt damit zugleich einen formal
prinzipiellen Charakter, der ihr ihre Fruchtbarkeit zu ;
rauben droht. Das gilt namentlich von den Auseinander-
Setzungen mit der vergangenen und gegenwärtigen Philosophie
. Es hilft eben heute nicht mehr, das Recht

oder die Pflicht zur Metaphysik herauszustellen, ebensowenig
wie eine nur formale Bekämpfung des Skeptizismus
(in der sich L. unzähligemale gefällt): ohne
zugleich die Kraft konkreter metaphysischer Gestaltung
zu betätigen. Es ist unergiebig, sich gegen Nietzsche
zu wenden, weil er in einigen Äeußerungen die Metaphysik
verdächtigt hat: während eine Philosophie des
tragischen Heroismus doch in Nietzsche ihren ersten
und gewaltigsten Verkünder zu ehren hätte. Sollte es
nicht weiterführen, sich mit Nietzsche, Kierkegaard,
Max Weber, mit der vielgeschmähten „Lebensphilosophie
" konkret zu befassen, statt die Auseinandersetzung
damit nur im methologisch-formalen Fragenkomplex
zu führen, die weltanschaulichen Voraussetzungen
und Konsequenzen einer Metaphysik der Dialektik
aber nur in unscharfer und wissenschaftlich unverbindlicher
Weise zu entwickeln? Es ist erfreulich, daß
beides programmatisch wenigstens da ist: die Stoßkraft
einer kräftigen Lebensanschauung und die Ernsthaftigkeit
wissenschaftlicher Beweisführung; aber beides ist
noch zu wenig zu gegenseitiger Durchdringung gekommen
, als daß man dem Wagnis, das der Verfasser in einer
Philosophie der Dialektik selbst sieht, ohne Besorgnis
entgegensehen könnte. Kann man in einer systematisch-
philosophischen Untersuchung Wissenschaft und Metaphysik
als „verschiedene Stufen in der Selbstentfaltung
des vernünftigen Geistes" bezeichnen, ohne sich über
die ratio einer solchen Aussage zu erklären? Kann man
den Freiheitsbegriff, weil man an der Aufgabe einer
konkreten Aufweisung verzweifelt, einfach in den heute
in solchen Verlegenheiten ja so oft bevorzugten Himmel
des Mythologischen versetzen?

Eine Stellungnahme zu Lieberts Programm scheint
wegen der Skizzenhaftigkeit seiner Ausführungen nicht
recht möglich. Es müßte eben erst durch eine wirklich
konkret ausgeführte Philosophie sich zeigen lassen, ob
eine Metaphysik der „unversöhnlichen Dialektik" „möglich
" ist. Man kann diese Möglichkeitsfrage nicht apriori
beantworten. Ist das Problem als ewiges Problem ohne
Lösung noch Problem, ein Gegensatz ohne Aufhebung
noch Gegensatz — man könnte genau so gut umgekehrt
wie L. fragen, ohne Aussicht, im Formalen auf einen
grünen Zweig zu kommen.

Vielleicht ist das Problem einer Metaphysik der
Dialektik, das unzweifelhaft dem lebendigen Pulsschlag
der heutigen Zeit besonders nahe ist, gerade um dieser
Nähe willen noch nicht reif zu wissenschaftlicher Behandlung
. Die innere Bewegtheit ist das beste Motiv,
mit dem der Mangel an wirklich durchgeführten Problemen
sich rechtfertigen ließe, der an dem Buch L.'s
zu beanstanden ist. Daß L. einstweilen dieses Programm
entwickelt hat, bleibt gleichwohl dankenswert, umso
mehr aber muß der Wunsch ausgesprochen werden, daß
er uns auch die vielfach versprochene Ausführung dazu
schenken wird.
Nürnberg. Hermann Zel tner.

Hartstock, Reinhold: Der Aufbau des Weltbildes nach streng
idealistischer Methode mit einem Anhang über Erkenntnis und
Glaube. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1928. (XII, 328 S.)
gr. 8°. RM 15— ; geb. 17-.

Die Arbeit ist dem Andenken Julius Kaftans gewidmet
und geht nach dem Vorwort des Verfassers
auch auf eine Anregung Kaftans zurück. Jedenfalls hat
das fertige Werk Kaftan nicht vorgelegen. Die Verantwortung
dafür bleibt an dem Verfasser hängen. Die
Methode ist Selbstbesinnung, aber lediglich „die Selbstbesinnung
des Ich". „Mein gegenwärtiger Gedankenbesitz
", das ist das Leitprinzip der „idealistischen Methode
". „Ich habe mein Weltbild: diese Tatsache setzen
wir zu Beginn unserer Darlegungen voraus, und wir haben
nichts anderes im Sinne, als diese Tatsache nach
allen ihren Richtungen zu beleuchten und zu ergründen".
Es fragt sich nur, ob der Verf. berechtigt ist, für ein
solches Explizieren seines privaten Gedankenbesitzes das