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Ausgabe:

1930 Nr. 4

Spalte:

81-83

Autor/Hrsg.:

Brunner, Peter

Titel/Untertitel:

Probleme der Teleologie bei Maimonides, Thomas von Aquin und Spinoza 1930

Rezensent:

Betzendörfer, Walter

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Sl

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 4.

82

Gern liest man stets die überaus reichhaltige Bi-
bliographie (einschl. Angabe der Besprechungen der
betr. Bücher) und die eingehenden Rezensionen. Selbst
Brunners „Mittler" findet in dieser kirchenhistorischen
Zeitschrift eine Anzeige; der Vorwurf, den der Rezensent
(van Hove) bei aller Anerkennung der „puissance
et l'harmonie de la synthese" ihm macht, hat allgemeinen
Charakter und sei darum weitergegeben:1 „on ne j
cite güere d'auteurs anglais ou francais".
Heidelberg. ?■ Köhler.

1) In Anmerkung sei der wohl schwerlich befremdende Satz notiert:
„on croirait avoir affaire ä un theologien catholique".

Brunner, Privatdozent Lic. theol. Peter, Th. D.: Problerne der
Teleologie bei Maimonides, Thomas von Aquin und Spinoza
. Heidelberg: Carl Winter 19,28. (XII, 139 S.) gr. 8°. = Beiträge
zur Philosophie, 13. RM 8—•
Die Arbeit behandelt das Problem der Teleologie
in der Weise, daß sich auf der geschichtlichen
Betrachtung die kritische aufbaut.

Der Verf. zeigt, wie das Problem infolge des Zusammentreffens
des in der Bibel begründeten Gottesglaubens
mit der griechischen Philosophie brennend
wurde.

I. Der jüd. Philosoph M a i m o n i d e s, der sich mit
dieser Frage besonders eingehend befaßte, übernahm als
Aristoteliker zunächst die Teleologie des Stagiriten, bog
sie aber in eine nersönlich-theistisch-kreatiamsche Teleologie
um. Nach seiner Ansicht folgen die Dinge
nicht gesetzmäßig aus dem Urgrund, sondern erklären
sich aus einem zielstrebigen Handeln Gottes. Während
nun M. eine Lösung der Frage nach dem Verhältnis
zwischen Naturkausalität und zwecktätigem Handeln andeutet
, untergräbt er durch seine Lehre, daß zwischen
göttlichem und menschlichem Wollen keine wesentliche
Ähnlichkeit bestehe, beide vielmehr nur den Namen gemein
hätten, seinen teleologischen Standpunkt. Denn
wenn zwischen Gottes und des Menschen Wollen keine
wesentliche Ähnlichkeit besteht, so kann man gegen die
Meinung, Gott handle nach einem Zweck, u. U. den Vorwurf
des Anthropomorphismus erheben.

IL Thomas Aquinas bildete die bei Maimonides
vorhandenen Ansätze einer Teleologie aus. Er
machte die causa efficiens abhängig von der causa
finalis. Das naturnotwendige Geschehen wird hier zum
Ausdruck und Beweis des Waltens der göttlichen Vorsehung
.

Aus dem Gottesbegriff erwachsen nun aber auch
der teleologischen Betrachtungsweise des Aquinaten
Schwierigkeiten. Es fragt sich, ob ein Handeln Gottes
nach Plan und Zweck nicht seiner Vollkommenheit
widerspricht. Thomas erwidert: Nur wenn Gottes teleologisches
Handeln ein außer ihm liegendes Ziel erstrebte
, würde dies zutreffen. Tatsächlich aber geht
Gottes Absicht nicht darauf aus, etwas zu erreichen, was
er nicht besitzt, sondern vielmehr darauf, seine Vollkommenheit
mitzuteilen. — Darauf läßt sich jedoch
entgegnen, daß die Nachahmung Gottes durch die
Kreatur noch nicht erreicht ist. Da aber alles auf die
erste Ursache zurückgeht, so ist auch diese Unvoll-
kommenheit auf Gott zurückzuführen. Andererseits ist
ohne dieses „Noch nicht am Ziel sein" keine Teleologie
denkbar.

Eine andere Schwierigkeit ergibt sich aus folgender
Erwägung: der Zweck als causa finalis muß im Bewußtsein
des Handelnden der Ausführung des Werkes
vorhergehen, demnach müßte auch im Handeln Gottes
ein Unterschied zwischen Vorher und Nachher gemacht
werden, was aber mit Gottes Ewigkeit in Widerspruch
steht.

III. Im Gegensatz zu Maimonides und Thomas
lehnt Spinoza jede Teleologie ab. Der Sturz der
gäozentrischen Weltansicht, die Erkenntnis der Unendlichkeit
der Welt, die Einsicht in die gleichartige Beschaffenheit
des gesamten Weltalls und die mathematische
Naturauffassung schienen ein Aufgeben des teleologischen
Standpunktes zu fordern.

Nach Spinoza ist der Zweckgedanke ein unhaltbares
Vorurteil gedankenloser Leute. Schon Maimonides
hatte eine anthropozentrische Teleologie abgelehnt.
Descartes und Spinoza folgen in diesem Punkte
dem großen jüdischen Denker des Mittelalters. Spinoza
sucht nun das Aufkommen der teleologischen Betrachtungsweise
zu erklären: einerseits aus dem Nützlichkeitstrieb
des Menschen, der ihn bei jedem Gegenstand
fragen läßt: „wozu ist er da?", andererseits aus der
menschlichen Eigenart, allgemeine Ideen oder Musterbilder
von den Gegenständen, auch von den Naturdingen
, zu bilden und diese universalia als Ziele der
Natur anzusehen. Nachdem man sich daran gewöhnt
hatte, die Naturwesen als Mittel zu gewissen Zwecken
zu betrachten, dachte man sich, daß ein oder mehrere
höhere Wesen sie zu solchen Mitteln zubereitet haben.
So stellte man sich dann in naivem Anthropomorphismus
auch Gott oder die Götter nach Zwecken handelnd
vor. Tatsächlich handelt nach Spinozas Meinung Gott
oder die Natur aus der Notwendigkeit ihres Wesens
heraus, nicht um eines Zweckes willen. — Br. zeigt, wie
auch in diesem Punkt Spinoza in Maimonides einen Vorgänger
hatte.

Spinoza macht den Einwand, den Thomas widerlegt
hatte, daß nämlich ein zielstrebiges Handeln Gottes
seine Vollkommenheit aufheben würde, zu seiner eigenen
Thesis und läßt die Widerlegung derselben durch den
Aquinaten nicht gelten. — Außerdem kehrt nach Spinozas
Meinung das teleologische Denken das empirische
Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung (Auge und
Sehen) insofern um, als es das von Natur Frühere (das
Auge) als das Spätere und das von Natur Spätere (das
Sehen) als das Prius (Ziel) setzt. Nach Spinoza darf
der Primat der causa efficiens nicht angetastet
werden; sie allein läßt er als Erklärungsprinzip gelten.

Auf diese Darstellung der Lehre Spinozas
läßt der Verf. eine eingehende Kritik derselben folgen.
Er stellt Spinoza gegenüber zunächst fest, daß sich seine
Kritik nur gegen die anthropozentrische Teleologie
, nicht gegen die Teleologie überhaupt
richte, daß ferner mit dem Nachweis der psychologischen
Entstehung des Zweckbegriffs über seine
Giltigkeit noch nichts ausgemacht sei. Außerdem
bezeichnet er es als methodisch anfechtbar, wenn Spinoza
in seiner Kritik beim Zweckhandeln des Menschen
einsetzt. Brunner fragt mit Berufung auf den berühmten
i Logiker Trendelen bürg, ob nicht der auf das
I menschliche Handeln angewandte Zweckgedanke gerade
j aus der Beobachtung von Erscheinungen der organischen
Natur herausgewachsen ist. Wie der Verf. be-
I merkt, trifft die Kritik Spinozas nur die vulgäre Nütz-
lichkeitsteleologie, nicht aber die Überzeugung von der
J inneren Zweckmäßigkeit der Naturwesen.

Wenn Spinoza das „Hineintragen" des Zweckge-
! dankens in die Naturdinge und in Gott als Anthropo-
' morphismus beanstandet, so entgegnet Br., daß alle
| Kategorien menschlichen Erkennens notwendigerweise
! anthropomorph seien. Der anthropomorphe Charakter
; auch der allgemeinsten Denkformen (Ding-Eigenschaft
usw.) leuchtet m. E. besonders ein, wenn man ihre Bezeichnungen
sprachgeschichtlich untersucht. Brunner hat
auch vollkommen recht, wenn er hervorhebt, daß nicht-
anthropomorphe Kategorien infolge ihrer Beziehungs-
losigkeit zu unserem menschlichen Bewußtsein völlig
{ wertlos wären.

Auf den Einwand Spinozas, daß Gottes Handeln
nach einem Zweck seine Vollkommenheit aufhebe, weil
I damit ein Begehren und Entbehren von ihm ausgesagt
würde, erwidert Br., dieser Einwand gelte nur für einen
Vollkommenheitsbegriff, der sein Ideal in einem abgeschlossenen
Zustand erblicke, nicht aber für einen dynamischen
Vollkommenheitsbegriff.

Wenn Spinoza versuchte, den illusorischen Cha-