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Ausgabe:

1930 Nr. 3

Spalte:

70

Autor/Hrsg.:

Goltz, Eduard Frh. von der

Titel/Untertitel:

Die praktische Theologie 1930

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 3.

70

gegen prägt das Wort der Zentralinspiration, die alles
auf die Hauptsache konzentriert und alle völlige Freiheit
hat, Nebensachen als solche zu bezeichnen. Er meint,
daß auch die historisch-kritische Schriftforschung alles
nivellieren müsse. Daß sie in mancher Phase nivelliert
hat, trifft gewiß zu; aber das „müsse" ist doch eines
jener Diktate, an denen die heutige theologische Literatur
reich ist. Abgesehen davon ist die These der
Zentralinspiration gut und recht; die Sache selbst habe
ich immer vertreten, auch der Name ist erträglich. Wenn
wir hier von verschiedenen Ausgangspunkten zusammenkommen
und in gemeinsamer Arbeit weiterbauen, dann
wird die Theologie nur Gewinn davon haben. Verf. trifft
den springenden Punkt mit den Worten: „Auf dem
Boden der Zentralinspiration dagegen wird der Widerspruch
auf das Zentrum, das Heil, konzentriert und zu
der Entscheidung gedrängt, ob der Glaube oder Unglaube
das letzte Wort über die Bibel zu sprechen
hat" (S. 92).

Doch wie wird das Kreuz selbst gedeutet? Verf.
arbeitet eindringlich den Gesichtspunkt heraus, daß
der Mittler zugleich den Widerspruch der Menschensünde
gegen Gott und den Widerspruch Gottes gegen
die Menschensünde trägt (S. 105 ff.). Sicherlich wird
damit eine tiefe Wahrheit ausgesprochen, aber ich meine,
eine zu einseitige Wahrheit. Widerspruch Gottes gegen
Menschensünde ist Gericht und Zorn. Der Mittler erleidet
den Widerstreit zwischen Gott und den Sündern;
sein „Mittleramt stammt aus dem Willen des heiligen
Gottes"; so wird er der Versöhner des Widerstreits.
Dabei wird Brunner beifällig angeführt. Wir haben
eine Auffassung, die geradezu den Gegenpol zur Ritschl-
schen bezeichnet: hier wird das Kreuz ganz aus der
Liebe Gottes verstanden, dort aus dem Zorn Gottes.
Beim Ruf der Verlassenheit wird der Anrede „mein
Gott" gar nicht gedacht. Einmal in diesem Abschnitt
wird Gottes Liebe erwähnt und wird auf seinen grundlosen
Gnadenwillen hingewiesen. Wie wird aber dem
Glauben vor dem Kreuz selbst die Liebe Gottes kund?
Das ist doch Glaube: Gottes heilige Liebe ergreifen.
Wenn der Glaube zunächst rein und streng am Kreuz
unmittelbar nur den furchtbaren Widerstreit zum Austrag
kommen sieht, dann bleibt ihm nichts übrig, als
sich der Liebe und Gnade Gottes auf dem Wege der
Reflexion durch einen Schluß zu vergewissern. Der
volle Glaube ist dann nichts unmittelbar am Kreuz Entstehendes
; die fides specialis wird eine Folgerung aus
einer fides generalis, deren Bekämpfung zu den entscheidenden
Taten der Reformation gehört. Mit Schlatter
könnte ich auch sagen: nach dieser Betrachtung kann
am Kreuz nur Buße entstehen, nicht Glaube. In der
Tat hätte Verf. einmal gründlich Schlatters dogmatische
Ausführung samt den Anmerkungen auf sich wirken
lassen dürfen. Unmittelbar muß am Kreuz wie Gericht, i
so Gnade Gottes erscheinen, wie unmittelbar Jesu Wort,
Werk und Person Gericht und Gnade zumal bezeugt,
nicht Gericht im Vordergrund, Gnade im verborgenen !
Hintergrund (und nur dialektisch auszusprechen, was
als Kunststück Sache der Theologen bliebe, für die Ge-
meinde aber ein böhmisches Dorf), wie wir doch e v a n - |
geh sc he Theologen sein wollen, die evangelische i
Gemeinden bauen. Auch hier scheint sich mir die Isolierung
des Kreuzes gegenüber dem Heilandswirken
Jesu zu rächen. Es ist dem Verf. schwerlich gelungen,
zu zeigen, daß „der Gekreuzigte als Träger des Menschheitswiderspruchs
zugleich der Bringer der Gottesliebe" |
ist (S. 145). Das „zugleich" ist die große theologische
Kunst, an der es hangen wird, ob die erschütterndste |
Passionspredigt bloß einen dumpfen Druck auszuüben
oder wirklich in Gericht und Gnade zu führen, also
Glauben zu wecken und zu stärken vermag. — In der 1
Aufeinanderbeziehung von objektiver und subjektiver
Seite der Heilsgewißheit folgt Verf. den besten Inten- j
tionen einer an Luther geschulten Theologie; auch die
besondere Akzentuierung der Versöhnung gegenüber der j

Vergebung (Versöhnung gerade der die Vergebung Ab-
j lehnenden) ist Zeichen sorgfältigen Denkens.

Charakteristisch an dieser Schrift ist das Drängen
I auf Wirklichkeit, die Betonung der Geschichtlichkeit
! des Gotteswortes und Gotteswerkes. Es ist ersprießlich,
i einmal alles von der Tatsächlichkeit des Kreuzes aus
| anzusehen. Das Buch kann seinen Lesern wertvolle An-
' regungen geben; es ist auch geeignet zur Besprechung
i im Seminar, sofern uns dieses die Doppelaufgabe stellt,
! die Teilnehmer sowohl zur positiven Würdigung als
I auch zum kritischen Lesen anzuleiten,
i Halle a. S. Q. Wehrun g.

j Späcll, Prof. P. Theophilus, S. J.: Doctrina theologiae Orientis
separati de SS. Eucharistia. I.: Bibliographia. Doctrina theologiae
Orientis separati in genere. Rom: Pont. Institutum Orien-
talium Studiorum. (96 S.) gr. 8°. = Orientalia Christiana, Vol.
XIII - 3. Nr. 48. Novembri 1928.
Wie früher die Lehre von der Kirche und die Lehre von der Taufe,
so will Späcil nun die Lehre der östlichen orthodoxen Theologie vom
Sakrament der Eucharistie darlegen und mit der der römisch-katholischen
Kirche vergleichen. Es soll das in vier Teilen geschehen, von denen
der erste dieses Sakrament in genere vornimmt, die drei übrigen aber
die Hauptpunkte behandeln werden, worin die beiden Kirchen auseinandergehen
. Der vorliegende erste Teil gibt zuerst ein reichhaltiges
Verzeichnis von Werken und Abhandlungen über alle einschlägigen
Fragen. Dann wird die Lehre der symbolischen Bücher und der neueren
östlichen Theologie über das Sakrament der Eucharistie im allgemeinen
vorgeführt und mit der römischen Lehre verglichen. Das geschieht in
rein sachlichen Feststellungen: die Hauptunterscheidungspunkte betreffen
den Gebrauch von gesäuertem oder von ungesäuertem Brot, Einsetzungsworte
und Epiklese, Empfang unter beiden Gestalten, Kinderkommunion.
München. Hugo Koch.

von der Goltz, Prof. D. Ed. Frh.: Die praktische Theologie.

Halle a. S.: Buchh. d. Waisenhauses 1929. (IV, 70 S.) gr. 8°. =
Die evangel. Theologie. 5. Tl. RM 3 — .

Das Stiefkind unter den theologischen Disziplinen
beweist hier durch den Mund eines kundigen Vertreters,
was es in den letzten Jahrzehnten geleistet hat. Auf eine
einleitende Betrachtung, nach der es der eigentliche
Gegenstand des Faches ist, die Grundsätze für zweckmäßiges
Handeln der Kirche in der Gegenwart wissenschaftlich
zu ermitteln, folgt die Besprechung der Literatur
unter den Überschriften: Kirchenverfassung, Gottesdienst
. Kirchliche Erziehung, Seelsorge und Gemeindepflege
, Liebestätigkeit und Innere Mission, Fürsorge
für Diaspora, Einigung der Kirchen und Heidenmission
. Das Inhaltsverzeichnis weist nicht weniger als
280 Namen auf; unter diesen finden sich natürlich keine
von Predigern, weil mit der genannten Bestimmung
der Disziplin Ernst gemacht ist — im Gegensatz zu gedankenlosen
Darstellungen anderer Art, die Predigten,
Religionslehrbücher usw. ohne weiteres unter dem Titel
Pr. Theologie registrieren. Der wichtigste Fortschritt,
den der Berichterstatter aus den letzten Jahrzehnten hervorhebt
, ist der psychologische und volkskundliche Realismus
. Die nächste Übersicht wird wohl noch mehr
als es in dieser geschieht, das Vordringen der sog. dialektischen
Theologie auf das Feld der Pr. Theologie zu
schildern haben. — Übrigens, warum schreibt jedermann
„praktische Theologie", also mit einem kleinen p? So
bedeutet das Wort eine sehr schmeichelhafte Eigenschaft
der Disziplin, die sie nicht immer aufweist, das große
P aber bedeutet den Titel für wissenschaftliche Arbeit,
die sich jenes Prädikat erst verdienen muß.
Marburg a. L. F. Niebergall.

Steinmann, Prof. Dr. Alphons: Jesus und die soziale Not
der Gegenwart. 2., neubearb. Aufl. Paderborn: F. Scliöningh
1929. (157 S.) gr. 8°. RM 3.30; geb. 4.50.

In erbaulichen Erörterungen stellt der katholische Theologe das
Verhältnis Jesu zur Ehe und Familie, zur Arbeit, zum Reichtum, zur
Armut dar und endet mit „Jesus und die Nächstenliebe". Der Haupt-
gesichtspunkt ist das Kreuz Christi. Da sieht man, daß das Leid Schuld
und Strafe der Sünde ist, aber zugleich Angleichung an das Los des
Erlösers, und da ist die Quelle der christlichen Liebe, die alle Menschen,
arm und reich, gleich macht. Dadurch wird zu den Armen geredet ungefähr
wie in der Epistel des Jakobus: sie sollen sich in Christi Nach-