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Ausgabe:

1930 Nr. 3

Spalte:

66

Autor/Hrsg.:

Wotschke, Theodor

Titel/Untertitel:

Hilferufe nach der Schweiz 1930

Rezensent:

Muralt, Leonhard

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 3.

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desvertrages von 1815 aufgefaßt, der Sonderbund der empfehlen zu können. Auch der protestantische Leser
katholischen Orte dagegen nicht, sondern als ein be- 1 wird zugeben müssen, daß die katholische Kirche einen
rechtiofer Akt der Notwehr gegen die Vergewaltigung mächtigen Aufschwung erlebt hat, daß sie sich jeden-
durchÖdie radikale Partei hingestellt. Die neue Ver- falls von den Kämpfen des 19. Jahrhunderts erholt

hat und mit neuer Kraft den Gedanken des in ihr sichtbaren
Reiches Gottes vertritt.

fassung von 1848 ist ein Opfer für die Kantone der
Innerschweiz, die damit ihre Jahrhunderte alte Souveränität
zum Teil aufgeben müssen und für Jahrzehnte im j Zürich. Leo von Muralt.

neuen Bunde nichts zu sagen haben. Gegen die Herr- |----

Schaft der Radikalen besonders in Luzern und Freiburg , Wotschke, Theodor: Hilferufe nach der Schweiz. s.-Abdr.

erhebt sich nach und nach das katholische Bewußtsein l a Heft.15 f. d. dtsch. Wissenschftl. UtahtW f. Polen. Pratau

und bringt schließlich die konservative Partei hier wie- ! (Kr. Wittenberg): Selbstverlag d. Verf. 1929. (91 S.) 8».

der zum Siege Die Freizügigkeit die die neue Bundes- j Die hier abgedruckten 33 Briefe aus Lissa nach Znrich aus den

Verfassung gewährleistete, ermöglichte dafür dem Ka- : £h,™. 1720 bis 1746 reihen sich in die zahlreichen Publikationen

;, . & j„ j- ■ LT R__i___„a„o rmmpiti I w-s ein, die seit Jahren in der Th. L. Z. besprochen werden. Die in

tholizismus, in den reformierten Kantonen neue Gemein- , ^ finanziellcr Bed,,in)r,lis stclienden ,nischcn 0eraetadtt richten

den zu gründen. Muller schildert besonders warm das an djc schvTOizerischeit reFormjerU.n Kirchen Qe5l,che „,„ die Gewährung

einer jährlichen Unterstützung, die ihnen die Aufrcchterhaltung von
Pfarrstellen in verarmten Gemeinden und die Erhaltung der Schulen ermöglichen
soll. Die meisten Briefe sind von Senior Christian Sitko-
vius an den Zürcher Antistes geschrieben. Die schwierige Lage der
Reformierten in Polen rührt davon her, weil sie große Summen zum
Loskaufe von den immer wieder gegen sie gerichteten Anklagen und
gerichtlichen Verfolgungen und zur Bezahlung von Vertretern im Reichstage
, die für sie gefährliche Beschlüsse zu verhindern haben, verwenden
müssen. Die nach der Konstitution grundsätzlich geduldeten Dissidenten
unterliegen doch beständigen Bedrückungen. Sie sind beinahe
rechtlos, von allen Ämtern ausgeschlossen, dürfen keine Konvente und
Synoden halten und keine Korrespondenz in kirchlichen Sachen nach
dem Auslande rühren. Deshalb sind die Briefe auch sehr zurückhaltend
geschrieben. Sitkovius berichtet außerdem über seine Stellungnahme
zu Zinzendorf und den Herrnhtitcni. Die Lage der Dissidenten verbessert
sich seit der Besetzung Schlesiens durch Eriedrich den Großen.

Den Briefen an die Schweiz sind in Noten ergänzende Nachrichten
aus andern Briefen beigegeben. Der Herausgeber versäumt, den Fundort
der Briefe anzugeben. Ich habe sie z. T. im Staatsarchiv Zürich
aufgesucht. No. 1—4 befinden sich in E 11,433, No. 19 — 33 in E ii,
434. Der Text ist etwas modernisiert, lateinische Ausdrücke teilweise
übersetzt. Korrigcnda: S. 2 Anm. 3 1720 ist nicht Heinrich sondern
Johann Ludwig Nfische!er Antistes der Zürcher Kirche, der Name lautet
Nüscheler nicht Neuschcler. S. 8 sollte heißen 29. Juni 1720 nicht
Juli. S. 57 Anm. 79 lautet der Name Ott nicht Otte.

Zürich. Leo von Muralt.

neuentstehende katholische Schulwesen, die Institute der
Bildung und Wohltätigkeit. Imposant ist das Aufblühen
von Menzingen und Ingenbohl. Aufs schärfste nimmt
der Verfasser Stellung gegen den Kulturkampf, der
heute auch von nichtkatholischer Seite als ein Fehlgriff
zugegeben werden muß, bei dem besonders viele Ungerechtigkeiten
vorkamen. Die Bundesverfassung von
1874 enthält noch eine Reihe von Bestimmungen, die
aus dem Kulturkampfe hervorgingen. Ihr Fortbestehen
empfindet der Katholik weiter als eine Ungerechtigkeit.
Der Alt-Katholizismus wird als eine Bewegung dargestellt
, die ihrem baldigen Ende entgegengehe. Im
Schlußabschnitt werden die Vereine zur Forderung katholisch
-christlichen Lebens kurz geschildert.

Das Buch ist durchaus vom streng römisch-katholischen
— der Verf. lehnt die Bezeichnung ultra-montan
ab — Standpunkt aus geschrieben. Damit zu rechten kann
nicht Aufgabe dieser Besprechung sein. Diese kann nur
zeigen, an welchen Punkten der Standpunkt des Verf.s
zu einer Verzeichnung mancher Geschehnisse geführt
hat. Auf liberaler Seite wird doch heute wohl allgemein
zugegeben, daß in den Kämpfen um die Mitte des
Jahrhunderts beide Parteien, auch die liberale, das bestehende
Recht verletzt haben, daß auf beiden Seiten
Schuld vorliegt. Das Neue konnte sich nur in Kämpfen
durchringen. Ich würde nun menschlich einen viel
größeren Eindruck von den katholischen Miteidgenossen
der Gegenwart haben, wenn sie in ihrer Geschichtsschreibung
nicht den alten Kampf dieser Zeit weiterführen
und ihr Verhalten als das rechtmäßige darstellen
würden. Der Sonderbund war eben doch eine Verletzung
des Bundesvertrages. Bei der Neuordnung der
Verhältnisse wird nur der Verlust der alten Souveränität
bedauert. Es ist aber doch wohl allen einsichtigen
Köpfen in der Innerschweiz klar, daß auch die kleinen
Kantone im neuen großen Ganzen des Bundes gewonnen
haben. Nur als nach außen einheitlicher Staat kann sich
die Schweiz halten. Heute nimmt doch in der Eidgenossenschaft
die katholisch-konservative Partei durchaus
den Platz ein, der ihr gemäß ihrer Stärke zukommt,
und ihre politischen Führer genießen bei den liberalen
Eidgenossen volle Hochachtung. Diese neue Stellung
1" u cneuen Schweiz kam zweifellos auch der kirchlichen
Entwicklung zugute. Wenn die Fehler beim Gegner
gesehen werden, so dürften auch seine guten Seiten
erwähnt werden, so der Erlaß der Kriegsschuld 1852.
Einseitig wird natürlich immer die Aufhebung der Klöster
beurteilt, auch hier nur Verlust der Kirche. Die
großen Aufgaben der Erziehung und sozialen Fürsorge,
die der Staat dann auf sich nahm, wird kaum erwähnt.
Wenn man nachrechnen würde, so wären wahrscheinlich
die Ausgaben des Staates größer als seine Einnahmen
aus den säkularisierten Kirchengütern. Nur S. 325 werden
ehemalige kirchliche Institute erwähnt, die „merkwürdigerweise
" den sozialen Aufgaben des Staates
dienten.

Trotz diesen Einschränkungen im Einzelnen und
aer grundsätzlichen Ablehnung dieser Art Geschichts-
scnreibung, glaube ich das Buch doch als eine gute
Orientierung über das Leben der katholischen Kirche

Joel, Karl: Wandlungen der Weltanschauung. Eine Philosophie-
Reschichte als Geschichisphilosophie. Lffr. 5 u. ö. Tübingen: J. C.
B. Mohr 1929. 4". in Subskr. je RM. 7—.

Diese Fortsetzung des bedeutenden Werkes reicht
von dem Herzen der Aufklärung, der philosophischen
Aufklärung, bis zur Schwelle des vorigen Jahrhunderts.
In dem breit, manchmal sehr breit dahinrauschenden
Strom der Schilderung, in den offenbar unendlich viele
Bäche und Flüsse münden, wird die Grundthese des
ganzen Werkes eindringlich durchgeführt: der Rhythmus
von Bindung und Lösung. Klar heben sich durch den
ganzen Verlauf der dargestellten Zeit zwei Zeiten der
Bindung heraus, zwischen denen eine der Lösung steht.
Denn scharf weiß J. den Gegensatz der Philosophie der
Aufklärung zu der Gesamtanschauung der Barockzeit
herauszuarbeiten, wie auch später wieder der Gegensatz
des neuen Jahrhunderts zu dem 18. klar hervortritt. Die
Barockphilosophie war eine Zeit der Bindung: Kosmos,
Allgemeines, Objektives, das Ganze — Staat, Seele,
Vernunft —, solche Begriffe bezeichnen ihr Wesen. Nun
dreht sich im 18. Jahrh. alles um; die allgemeine Zergliederung
macht sich in der Herrschaft von folgenden
Begriffen geltend: der Mensch, das Besondere, Subjektivität
und Individualismus, Freiheit, Psychologie,
Verstand. Hatte vorher das Weltall den Menschen verschlungen
, so geht nun alles in den Menschen ein. —
Dieses Leitmotiv wird nun nach allen Seiten hin durchgeführt
: auf allen Gebieten — Religion, Ästhetik, Staatsphilosophie
— in allen Ländern — England, Frankreich
, Deutschland — es ist immer dieselbe Melodie mit
Variationen. Immer schauen in die Darstellung die analogen
Jahrhunderte herein: die griechische Aufklärungszeit
und die „geraden" Jahrhunderte, das 12., 14. und
16. mit ihren lösenden Geistern.

Dann wird die Wendung, der Umschlag geschildert
; Lessing, Hamann machen den Anfang, Kant, der