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Ausgabe:

1930 Nr. 26

Spalte:

618-619

Autor/Hrsg.:

Schubert, Ernst

Titel/Untertitel:

Geschichte der deutschen evangelischen Gemeinde in Rom 1819 - 1928 1930

Rezensent:

Bauer, Walter

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 26.

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langer Studien eine Biographie von über 460 Seiten vor, ;
die er zuvor der Theologischen Fakultät zu Leiden als j
Doktordissertation eingereicht hatte.

Ein umfassendes Quellenstudium liegt dem Buche
zugrunde. Eine große Reihe von Bibliotheken des In-
und Auslandes haben dem Verf. zur Verfügung gestanden
. Im Anhang publiziert der Verf. 58 bisher un-
edierte Dokumente, hauptsächlich Briefe, deren Originale
in Leiden, Leeuwaarden, Oxford, London und sonstwo
sich befinden: Nr. 1 ein Brief an Rabbi Salomo in hebräischer
Schrift und Sprache, Nr. 58 ein Brief an die
Bibel Übersetzer (1629), dessen Facsimile dem Buche
beigegeben ist. Links vom Titelbatte findet der Leser
ein Porträt des ehrwürdigen Theologen.

Den Hauptteil des Buches nimmt die eigentliche
Lebensbeschreibung in Beschlag (S. 16—277); es folgt
eine Übersicht über die Schriften und ihren Lehrgehalt j
(S. 278—373); den Schluß macht eine Würdigung der i
Frömmigkeit und Persönlichkeit (S. 374—380), die man j
freilich noch farbenreicher und mehr in die Tiefe gehend
sich gewünscht hätte. Material zu einer Charakteristik
der theologischen Persönlichkeit bringt allerdings das
Vorangehende in großer Fülle.

Ein eingehenderes Referat über den Inhalt dieser gelehrten Biographie
zu geben, ist mir unmöglich. Es muß genügen, wenn die
Fachwissenschaft auch in Deutschland auf das Werk aufmerksam gemacht
ist. Nur einige Einzelheiten greife ich, einigermaßen willkürlich,
heraus, die mir bei der Lektüre dieses Buches, dessen Verfasser in
Leiden auch mein ,oudleerling' gewesen ist, aufgefallen sind.

Eine für die deutsche Kirchengeschichte nicht uninteressante Episode
im Leben des Gomarus ist seine Wirksamkeit als Prädikant der flämischen
Flüchtlingsgemeinde in Frankfurt a. M. (1586—1594). Er
hat hier gelehrte Arbeiten veröffentlicht und ist schließlich ein Opfer
der Intoleranz der lutherischen Prediger geworden, die diese ausländischen
„Sakramentarier" entweder zu bekehren oder auszutreiben suchten.
Gomarus wurde aus der Stadt verbannt, unter dem Vorwande, daß er
gegen das Gebot der Obrigkeit eine Ausländerin geheiratet hatte. Im
strengen Winter mußte er mit seiner schwangeren und kränklichen Frau
fortziehen; sein Gesuch um Aufschub der Abreise wurde von dem orthodoxlutherischen
Rate nicht bewilligt.

In Holland wurde G. freundlich aufgenommen. Nachdem er noch
in Heidelberg promoviert hatte, ward er zum dritten Professor der
Theologie in Leiden ernannt. Er hielt seine oratie über den Bund
Gottes (de foedere) und entwickelte darin bereits den Abriß einer Foede- j
raltheologie. Die erste Periode seiner Leidener Zeit ist bestimmt
durch literarische Streitschriften gegen den Jesuiten Coster; auch beteiligte
er sich an einem Gutachten der Leidener Professoren über Bücher
polnischer Sozinianer. Die zweite Periode beginnt mit der Berufung des
Arminius nach Leiden, v. Itterson stellt den ganzen Streit in größter
Ausführlichkeit dar. G. hatte anfangs große Bedenken gegen die Rechtgläubigkeit
des Arminius; eine Predigt von ihm über Römer 7 hatte
Anstoß gegeben. Als Arminius in einem theologischen Gespräch die
Bedenken zerstreute, wobei er vor allem seine Verwerfung des Pelagius
bezeugte, konnte seine Berufung von statten gehen. Es folgt die sehr
dramatische Geschichte des ersten großen Leidener Professorenstreites,
von v. L aus den Quellen erzählt, ohne daß er, wie mir scheint, wesentlich
Neues mitteilt; doch ist eine so ausführliche Darstellung, von
Gomarus aus gesehen, wohl noch nicht gegeben worden. Hervorzuheben
ist, wie in dem Streit neben der Prädestinationslehre vor allem die
Rechtfertigungslehre diskutiert wird. Interessant sind die Mitteilungen
über das Verhältnis des G. zu Scaliger, weiter die über die Ursachen
des Fortgehens des G. von Leiden; hier verwertet v. I. auch unausge-
gebene Stücke. Auf Leiden folgt Middelburg, Saumur, schließlich Groningen
, von wo aus G. an der Synode von Dordrecht teilnahm !
und wo er starb. An der großen Synode nahm G. tätigen Anteil. G.
gehörte zu der Minorität, die die apokryphen Bücher aus der Bibelübersetzung
ausscheiden wollte. In der Remonstrantensache hielt er sich
merkwürdig zurück. Dagegen führte er in den folgenden theologischen i
Verhandlungen mehrmals heftige Polemik, namentlich gegen die aus- |
ländischen Delegierten, die darüber sehr verwundert waren. Die Be- j
teiligung des G. an der Bibelübersetzung weiß v. I. durch seine neu j
herausgegebenen Briefe zu illustrieren; ein interessanterer Punkt ist G.'s
Kritik an der LXX-Legende. Wertvoll ist auch der Briefwechsel des G.
mit G. Vossius, in dem u. a. die Bewunderung des G. für Erasmus zum
Ausdruck kommt.

Unter dem Titel „dogmatische Geschritten" gibt v. I. zunächst
einen Abriß der Dogmatik des G. auf Grund seiner zahlreichen dispu-
tationes. Es folgen die kleineren Kontroversen, darunter der Sabbath-
streit, in dem G. die Übertragung der jüdischen Sabbathheiligung auf
den Sonntag sehr ausdrücklich verwarf. Wertvoll ist das Hoofdstuk über j
Exegetische Gezichtspunten. G. war hauptsächlich Exeget des N.T.
Für seinen exegetischen Standpunkt ist bezeichnend, daß er den sog. I

gemischten Schriftsinn nur dann annehmen will, wenn er in der Schrift
ausdrücklich mitgeteilt wird oder durch kräftige Gründe daraus entnommen
werden kann. So polemisiert er heftig gegen die imprudentes
patroni der Lutheraner, die in Apoc. 2—3 noch einen prophetischen
Sinn entdecken wollen. Im übrigen rühmt v. I. die bescheidene Vorsicht
und das ernste Durchdenken, die Selbständigkeit, die philologische
Genauigkeit und Gelehrsamkeit, wovon die Exegese zeugt. Auch aus
den Kommentaren wird eine Art theologia biblica des G. zusammengestellt.

So stellt das fleißige und ganz an die Sache sich
bindende Werk eine Fundgrube für unser Wissen um
das Leben, die Kämpfe und die theologische Persönlichkeit
des Gomarus wie um die Kirchengeschichte seiner
Zeit dar.

Kiel._H. Windisch.

Zeller, D. Hermann von: Die Berliner Kirchenkonferenz 1846
ein Grundstein zum Deutschen Evangelischen Kirchenbund. Stuttgart
: Chr. Scheufeie. (84 S.) gr. 8°. = Sonderdruck aus d. Blättern
f. württemb. Kirchengeschichte. RM —.80.

Die Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts bietet
ein weites Feld für Einzelstudien. Es ist fast merkwürdig
, wie wenig manche keineswegs unwichtige Daten
dieser Zeit bekannt sind. Die Konferenz Deutscher
Evangelischer Kirchenregierungen, zum ersten Male
1852 versammelt, bildet den Anfang der Einigungsbewegung
der deutschen evangelischen Landeskirchen. Die
Vorgeschichte dieser Konferenz war bisher dunkel. Es
ist v. Z. möglich gewesen, hier Klarheit zu schaffen. Er
konnte erstmalig einen Band Handakten des 1878 verstorbenen
Oberhofpredigers von Grüneisen in Stuttgart
benutzen. Zur Ergänzung zog er die Akten des
Württembergischen Konsistoriums, des Ministeriums des
Innern und des Geheimen Kabinettes heran. Den Ertrag
hat er zu einer übersichtlichen, eingehenden Darstellung
verwendet, in deren Mittelpunkt die Berliner
Kirchenkonferenz 1846 steht, die den Grund zu der
genannten Eisenacher Kirchenkonferenz gelegt hat. Es
ergibt sich, daß die Anregung von dem genannten Karl
von Grüneisen ausgegangen ist, der auch in der Berliner
Konferenz als stellvertretender Vorsitzender fungiert
hat. Nicht unbeteiligt war aber auch König Wilhelm
von Württemberg. Treitschkes Urteil über diesen
König (Deutsche Geschichte Bd. 5) wird darnach korrigiert
werden müssen. Er kann keineswegs so unkirchlich
gewesen sein, wie Treitschke meint. Wie in anderen
Fällen, so sind auch hier die Linien der künftigen
Entwicklung nicht beim ersten Ansatz bereits herausgearbeitet
worden. Aber die Berliner Konferenz 1846
hat sehr rasch die Gesichtspunkte gefunden, die die
maßgebenden sein mußten. Beigefügt sind im Wortlaut
eine Denkschrift (von Pistorius) und einige Verhandlungsniederschriften
. Das Ganze stellt eine wertvolle
Ergänzung dessen dar, was wir über die Vorgeschichte
der Einigung der deutschen evangelischen Landeskirchen
wissen.

Breslau._ M. Schian.

Schubert, Pfr. D. Dr. Ernst: Geschichte der deutschen evangelischen
Gemeinde in Rom 1819—1928. Leipzig: Centraivorstand
d. Ev. Vereins d. Gustav Adolf-Stiftung 1930. (317 S. m.
34 Abb. auf Taf.) gr. 8°. RM 7.50.

Der, auch sonst um die Erforschung der deutschevangelischen
Diaspora in Italien verdiente, ehemalige
Botschaftsprediger und Pfarrer der deutschen evangelischen
Gemeinde in Rom Ernst Schubert erzählt die
Geschichte eben dieser Gemeinde. Ein reichhaltiges
Verzeichnis am Schluß gibt die — teilweise ungedruckten
— Quellen wie die Literatur an, die ihm neben den
eigenen Erinnerungen den Stoff geliefert haben. Anmerkungen
, die aber zweckentsprechenderweise ans Ende
gestellt sind, begleiten die Darstellung. Diese zeigt die
Geschicke der deutsch-evangelischen Gemeinde in Rom
in ihrer Verflochtenheit mit der Geschichte Italiens,
speziell des Papsttums, des letzteren besonders in seinen
Auseinandersetzungen mit der weltlichen Macht
Preußens und Deutschlands. Daneben aber ist das Ergehen
der Gemeinde naturgemäß bedingt durch die
inneren Verhältnisse, die Eigenart der in Rom wohnenden
deutschen Evangelischen, zu denen in erheblichem