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1930 Nr. 26

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611

Titel/Untertitel:

Marc le Diacre: Vie de Porphyre. Éveque de gaza 1930

Rezensent:

Dörries, Hermann

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611

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 26.

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dings dankbare Beachtung. Namentlich die Nachrichten
über den in der zweiten Hälfte des 7. Jahrh. wirkenden

armenischen Gelehrten Anania Siracac' und der in diesem
Zusammenhang gleichfalls mit abgedruckte Text
seiner Selbstbiographie sind für die Geschichte Armeniens
und seiner kultürlichen Beziehungen zum
Westen von nicht geringem Interesse.
Oöttingen. H. von Campenhausen.

Marc le Diacre: Vie de Porphyre. Eveque de gaza. Texte
etabli, traduit et commente par H. Oregoire et M.-A. Kugener. Paris:
Les Beiles Lettres 1930. (CXU, 155 S.) 8°. = Collection Byzantine.

35 Fr.

Das in der Collection Byzantine der Association
Guillaume Bude erschienene Buch enthält den Text
der vielgelesenen Biographie des Heidenbekehrers von
Gaza, mit französischer Übersetzung und ausführlichem
Kommentar, dazu als Einleitung eine Untersuchung über
die Echtheit der vita und die Zuverlässigkeit ihrer Angaben
.

Die neue Ausgabe bedeutet insofern einen Fortschritt
über die Bonner der Usener-Schule hinaus, als
sie eine neue Handschrift verwendet, den Cod. 1 der Jerusalemer
Patriarchalbibliothek (s. X., H). Dadurch
sind einige Konjekturen der früheren Herausgeber bestätigt
, an nicht wenigen Stellen auch Änderungen
veranlaßt, die zwar meist unwesentlich sind, hier und
da doch auch größeres Gewicht haben. Einige sind p.
XCII genannt. Nun ist freilich auch H. nichts weniger
als fehlerfrei, so daß ich anstehen würde, ihn für das
schlechthin beste MS. zu erklären und ihn bei Differenzen
vor den beiden anderen Zeugen zu bevorzuge/n,
wie es hier — wenn auch durchaus nicht immer — geschieht
. — Der gelehrte Kommentar gibt besonders für
die staatlichen und gesellschaftlichen Zustände des byzantinischen
V. Jahrh. gute Auskunft. Die Übersetzung
ist gelegentlich etwas frei, sonst, nach Stichproben, gut.
Die Einleitung prüft den Wert der vita als Geschichtsquelle
. Er ist durch Irrtümer in Namen- und Zeitangaben
, wie durch die p. CHI sqq. im einzelnen nachgewiesene
Abhängigkeit von der jüngeren historia reli-
giosa des Theodoret in Frage gestellt. Ältere Versuche, die
Chronologie des Reiseberichts zu retten, sind durch ein
genaueres Datum von H., das die Abreise der Petenten aus
Palästina auf den 25. September festlegt, antiquiert; hier
kann man vielleicht noch retten, indem man den hauptstädtischen
Aufenthalt auf TP/a Jahre ausdehnt. Bei
anderen Schwierigkeiten hilft nur die Annahme einer
Überarbeitung. Sogar deren Zeit läßt sich noch erraten.
Wenn der Redaktor es war, der den Namen des Hieronymus
-Gegners Johannes v. Jerusalem durch den jüngeren
Praylos ersetzt hat, so wird man für die Überarbeitung
auf die Zeit des 2. origenistischen Streits, unter
Justinian, geführt. Und auch die Vermutung mag zu
Recht bestehen, die den Bearbeiter mit dem Messer arbeiten
läßt. Einem Vorkämpfer für die Orthodoxie wird
z. B. die Teilnahme des sonst so eifrigen Bischofs am
concilium miserabile von Diospolis, das den Pelagius
freisprach, unerträglich gewesen sein. Dafür hat er der
schmucklosen lebensfrischen Erzählung einen künstlichen
, nach berühmtem Vorbild gearbeiteten Prolog vorangestellt
. Die vita selber blieb, wenn auch verkürzt,
im ganzen unentstellt erhalten. — Es ist schade, daß
dem Buch kein Sachindex beigegeben ist und auch das
Wortverzeichnis der Bonner keinen Nachfolger fand.
Das reichhaltige Namenregister entschädigt in etwas.
Oöttingen. Hermann Dörries.

Gradenwitz, Prof. Dr. Otto : Die Regula Sancti Benedicti nach
d. Grundsätzen d. Pandektenkritik behandelt. Weimar: H. Böhlaus
Nachf. 1929. (V, 48 S.) gr. 8°. RM 4—.

Die rezeptive Feinheit der Beobachtung, die Gradenwitz
in dieser Schrift niederlegt, überrascht den
Leser und ist geeignet, auch sachlich schärfer und
tiefer in das Dokument der regula hineinzuführen. Gra-

! denwitz geht von der schon von Traube gemachten
| Feststellung aus, daß sich in cap. 29 in der nicht vulgär
j lateinischen Handschriftenklasse eine Interpolation findet
, die den Inhalt des Kapitels über den Austritt aus
I dem Kloster auf Ausgestoßene erstreckt. Dann geht er
zu Glossen über, die in den Text eingedrungen sind.
| Als vorzüglichstes Beispiel läßt sich nach Gradenwitz
in cap. 7 eine doppelte Glossierung aufweisen. Allerdings
ist die Textkritik an dieser Stelle so kühn, daß
man weitere Stützen etwa inhaltlicher Art, wie man sie
in den byzantinischen überarbeiteten Quellen des römischen
Rechtes aus der Verschiedenheit bestimmter Ge-
j dankengänge heraus (vergl. etwa Pringsheim, Z. Sav.
I St. r. Abt. 50, 381) erschließt, für die Annahme von
i Gradenwitz vermißt. Dann aber geht er zu dem eigent-
j liehen Problem, das er behandelt, dem Nachweis über,
daß St. Benedikt sachlich in die einzelnen Kapitel Neuerungen
, die über das Redaktionelle herausgehen, nachgetragen
hat. Als Beispiel einer solchen nachträglichen
Änderung sei die Norm herausgegriffen, in der die
Stellung des cellararius geregelt ist (cap. 31). Gradenwitz
stellt S. 27 fest, daß seine Stellung einmal durch
I qui omni congregationi sit sicut pater und durch sciens
sine dubio, quia pro his omnibus in die in iudicii ra-
tionem redditurus sit in eine besondere Sphäre der
Macht hinein erhoben ist, während er im übrigen an die
| iussio abbatis gebunden sein soll, d. h. die Stellung des
[ cellerarius sei früher eine größere gewesen, die dann
i eingeschränkt worden sei. Dagegen ist es fraglich, ob
der Umfang von Einschöben an anderen Stellen gleich
endgültig gelöst ist. Gerade das erste Beispiel, das ge-
i bracht wird, aus cap. 43 läßt solche Zweifel aufkom-
! men: quod si quis . . . post gloriam . . . occurrerit, non
j stet in ordine suo in choro, sed ultimus omnium stet...,
: usque dum . . . paeniteat. Gradenwitz stellt als nachträglichen
Einschub hinter dem zweiten stet fest: aut
' in loco, quem talibus neglegentibus seorsum constituerit
abbas, ut videantur ab ipso vel ab omnibus. Im folgen-
I den findet sich dann aber überhaupt ein Wechsel von
I Singular und Plural, in dem von dem oder den Zuspätkommenden
gesprochen wird; dieser Wechsel hat gerade
in dem Gegensatz quod si quis . . . occurrerit und
! talibus neglegentibus seinen Schlüssel. Entweder wird
I man also schließen müssen, das Kapitel ist insoweit
, im Ganzen aus zwei Ausführungen kontaminiert oder
aber die moderne Kritik stellt an die Geschlossenheit
und Stringenz dieses bewußt populär gehaltenen Werkes
zu hohe Anforderungen. Dies ist ja ein Argument, das
nicht nur gefühlsmäßig bei der Interpolationenkritik
eine wichtige und fruchtbare Rolle zu spielen hat, weil
mit ihm zu starke Vereinfachungen des klassischen
i Rechtes durch die Interpolationenkritik vermieden werden
. Die Empfindung einer überaus scharfen Auf-
fassung des Textes stellt sich auch bei der Besprechung
von cap. 33 der regula ein. Gerade die wundervolle
, Schlichtheit des Textes und der Gedanken verlangt
j nach einer gewissen Fülle des Ausdrucks, um eine
streng juristische Auslegung und Abwägung der einzelnen
Normen hintanzuhalten, die zu Auslegungsfragen
Anlaß gegeben hätten, wodurch die lebensvolle Weich-
| heit und Umfassenheit der regula abgeschwächt worden
wäre.

Aber solche Bedenken gegen Einzelnes berühren
nicht die Begründetheit der Beobachtung im Ganzen.
Wogegen sich aber der Widerspruch nicht scharf genug

I richten kann, ist die Hauptthese von Gradenwitz, die er
am Ende der Einleitung (S. 5) dahin zusammenfaßt:
„So melde ich die Forderung der Pandektenkritik für
den theologischen Stoff kühnlich an."

Die Beziehung zur Pandektenkritik durchzieht in

S Einzelheiten die Schrift. So etwa, wenn die byzantinische
stärkere Berücksichtigung der voluntas testatoris
gegenüber dem klassischen Recht mit einer späteren
Relativierung einer Norm der regula in Ver-

j bindung gebracht wird, indem als Ergänzung zu einer