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Ausgabe:

1930 Nr. 25

Spalte:

597-598

Autor/Hrsg.:

Kant, Immanuel

Titel/Untertitel:

Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Mit Leidfaden u. Erklärungen neu hrsg. v. Rudolf Otto 1930

Rezensent:

Schulze, Martin

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597

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 25.

598

gelassene Auslegung der Dialektik Barths zunächst von
Fichte her erschienen. Natürlich werden auch oft genug
einfach die dialektisch bei Barth einander entgegengesetzten
Antithesen gegeneinander ausgespielt. Es ist im
Grunde immer dasselbe: Der große Scharfsinn will zu
viel, zu vielerlei, von zu verschiedenen Seiten her sagen
Und sagt grade darum vielfach — zu wenig . . .

Barth kommt so in seiner Gänze nicht zu seinem |
Recht. Auch, was als Grundverständnis von B. bei S.
allmählich heraustritt, scheint mir zuletzt nicht klar zu ;
treffen. Daß (unter dem Gewand der Repristination)
B.s eigentliche Denktendenz zum Existenziellen gehe
und hierin wirklich grade von B. ein „neuer Anfang"
gemacht sei, das kann ich nicht teilen. Ich kann in dem
existenziellen Element nur mehr einen mehr peripheri-
sehen, von Kierkegaard übernommenen, aber nicht selbständig
weitergebildeten Einschlag bei Barth sehen und
das eigentliche Wesen eben seines Denkens nur in der
(durchaus nicht nur eine Repristination darstellenden)
Konstruktion a posteriori finden (vgl. mein „Die gegen-
wärtige Geisteslage und die dialektische Theologie",
1930). Ebenso scheinen mir jene Anknüpfungspunkte
bei Barth ganz sekundär, von denen aus in den letzten
Partiell seines Buchs S. die von B. selbst kaum klar erkannten
Grundtendenzen B.s überführen will in das von j
S. vertretene Programm einer Dogmatik als Phänome- i
nologie der religiösen Beziehung, genauer als Lehre von
der Struktur der religiösen Beziehung auf Offenbarung.
Das mag eine beachtliche These sein; aber gegenüber
Barth ist dieser „grundsätzlich neue Weg" sicher weit
mehr Einlegung, als auslegende Weiterführung.

Natürlich sieht ein scharfsinniger Advokat auch j
viel Richtiges, Beachtliches, Wahres. So etwa bei der j
Kritik der Trinitätslehre; bei der Christologie; manches !
zur Barthschen Dialektik (S. 240ff.); die Untersuchung
(S. 106 ff.) über die idealistisch-romantische ;
Magie des Wortes (die meinem Versuch, die Aporien
der Trinitätslehre in Mystik bei Barth nachzuweisen, j
glücklich parallel gehen); vor allem die sehr wahren
Hinweise, daß man die Aussagen über die Offenbarung
gegenüber dem Prinzip der Relativität niemals aus der
Form, immer nur aus dem Gehalt der Offenbarung j
gewinnen könne (S. 161 ff.); endlich auch der Nachweis
des verborgenen Rationalismus bei Barth: „er
flieht vor der ratio, die er selber verabsolutiert hat"
(S. 298).

Es wäre zu wünschen, daß manches von diesen Gedanken
doch auch von der Theologie der Krisis überdacht
würde. Das würde viel leichter geschehen, wenn
das ganze Buch einen andern Charakter trüge, nicht den
dieses advokatorischen Übereifers, der zu allem, aber [
auch zu allem etwas sagen muß. Die Rolle des Gegen-
klägers gegen den Ankläger ist (außer dem eingangs j
erwähnten, überaus seltenen Fall) immer vom Übel. '
Entweder 'ist die Sache wirklich zu bedeutungslos; solange
man das meint, schweigt man lieber. Oder sie
ist wirklich von Gewicht; dann erfordert die Anklage j
eine andere Haltung als die des Gegenklägers. Wohl j
auch von dem — defensor liberalismi. Er könnte darum i
doch er selber bleiben.

Greifswald. Willi. Koepp.

Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten.

Mit Leitfaden u. Erklärungen neu hrsg V. Rudolf Otto. Gotha:
L. Klotz 1930. (213 S.) 8°. ' RM 7—.

Diese neue Ausgabe der für die Ethik hochbedeutsamen
Schrift Kants verfolgt nach dem Vorwort den
Zweck, Anfängern im Studium des Philosophen ihre ;
Lektüre und ihr Verständnis zu erleichtern. Daher bietet
sie nicht nur den Text (der 2. Aufl. von 1786), den sie
„nach einem schönen Originalexemplar" mit Angabe
der Seitenzahl desselben am Rande abdruckt, und dessen
Verbesserung durch Hartenstein, Adickes u. a. sie unter ,
Hinzufügung eigener aufnimmt (S. 33ff.), sondern auch

einen „Leitfaden", der die Gedankenführung knapp und
in feiner Gliederung zur Darstellung bringt (S. 10 ff.),
und dessen einzelne Bestandteile unter dem Text fortlaufend
wiedergegeben werden (dort finden sich auch
neben den Vorschlägen zur Textverbesserung Anmerkungen
zu einzelnen Worten und Sätzen); ferner eine
„Erläuterung einiger der wichtigsten Hauptbegriffe der
Schrift" (S. 22ff.); endlich — am Schlüsse des Buches
— „Erörterungen" zu den drei Abschnitten der „Grundlegung
z. M. d. S." (S. 193 ff.), deren letztem überdies
noch eine „Vorbemerkung" über sein Thema vorausgeschickt
wird (S. 154 f.).

Man kann wohl sagen, daß hier viel zum Verständnis
der Schrift Kants getan ist. Besonders scheint
mir die Otto'sche Ausgabe von ihr zum Gebrauch in
Seminarübungen (aus denen sie übrigens hervorgegangen
ist), aber auch zum Privatstudium interessierter
Studenten sehr geeignet zu sein.

Es ist aber, soviel ich urteilen kann, auch manches
darin von Wert für die Kantforschung. Vor allem gilt
das von den abschließenden „Erörterungen" und darin
wieder besonders von den Auseinandersetzungen über
die für die 2. Form des kategorischen Imperativs eingeführte
Idee eines „absoluten Wertes", welchen der
Mensch und jedes vernünftige Wesen hat, oder eines
„Zweckes an sich selbst", als welcher er (es) „existiert
" (S. 117 f.). Otto sieht darin einen „Einbruch" in
die bisherige, nach seiner Ansicht ursprüngliche Gedankenführung
, der ihr dann zunächst, so gut es geht,
angeglichen ist, weiterhin aber überhaupt nicht mehr
nachwirkt. Aus der ersten Form des kategor. Imp., die
sich bekanntlich um die Allgemeingültigkeit der Maxime
dreht, lasse sich wohl die Forderung ableiten: „Handle
so, daß du ein anderes vernünftiges Wesen niemals nur
als Mittel deiner eigenen Zwecke gebrauchst, sondern
immer zugleich seinen Anspruch gelten läßt, Zwecke zu
verfolgen so gut wie du selbst", .eine Formel, die O.
mit X bezeichnet, und die Kant nach ihm in dem ersten
Entwurf seiner Schrift wohl auch im Anschluß an die
erste gebracht hat. (Die „Gleichheit des Anspruchs eines
jeden mit jedem" oder die „Zusammenbestehbarkeit
aller vernünftigen Willen untereinander" ergebe sich
allerdings „einfach aus der gemeinsamen und gleichen
Unterworfenheit unter das Gesetz der ersten Formel").
Aber die Idee des „absoluten objektiven Wertes der
Menschheit", der „Gleichheit der Würde der Person"
passe nicht in diesen Zusammenhang, ja befinde sich in
Spannung mit dem formalen Charakter der ursprünglichen
Fassung des kategor. Imp., indem sie „eine Materie
des Willens gibt", eben den Selbstwert, den man
als solchen zu achten und womöglich zu fördern habe.
Auch würde damit die Frage nach der Möglichkeit des
kategor. Imp., mit der sich K. im letzten Abschnitte
seiner Schrift abmühe, um jhn schließlich für ein unerklärliches
Geheimnis zu erklären, bereits positiv beantwortet
sein (S. 198 ff. vgl. 154 und die Anmerkungen
auf S. 115 ff.).

Das scheinen mir sehr beachtenswerte und die
Analyse der Kantschen Schrift sowie die Einsicht in die
Entwicklung seiner Ethik fördernde Ausführungen zu
sein. Darnach kommt eine Idee, für die sich K. schon
früh durch Rousseau „hat ergreifen lassen", die dann
auch „das Ideal der Humanitätsepoche war", wieder
hinein in seine formalistische Ethik, im Ausgleich mit
welcher sie allerdings „ärmer" und „eigentlich überflussig
" wird, durch die K. aber der „Entdecker der
wahren Wertethik ist (S. 202 ff. 199).
Königsberg i. Pr. M. Schulze.

Berichtigung.

Der Preis von H. Grimme, Texte und Untersuchungen zur safate-
nisch-arabischen Religion beträgt nicht, wie in ThLZ 1930, Sp. 506
irrtümlich angegeben, RM 28— ; geb. RM32—, sondern brosch. RM 16 —