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Ausgabe:

1930 Nr. 25

Spalte:

592

Autor/Hrsg.:

Matthiesen, Th.

Titel/Untertitel:

Erweckung und Separation in Nordfriesland (Bordelumer Rotte) 1930

Rezensent:

Meyer, Joh.

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 25.

592

Hausherr eine, so weit ich es beurteilen kann, alle Wünsche
befriedigende Ausgabe vor. Eine ausführliche Einführung
enthält 1. Vicissitudes de cette biographie, 2.
Importance de cette Vie, 3. Les manuscrits, 4. L'auteur et
la date, 5. La „Vie" est une these, 6. Nicetas Stethatos
et ses Idees sur la saintete, 7. Le Pere spirituel de
Symeon le Nouveau Theologien, Symeon Studite, 8.
L'adversaire: Etienne de Nicomedie, 9. Le biographe
contröle, complete et corrige par son heros, 10. Le sens
des luttes de Symeon, 11. Chronologie, 12. La traduc-
tion. Das sind ja wohl alle Fragen, die man in
der Einleitung als behandelt erwarten kann. In der
Chronologie kommt H. zu wesentlich anderen Ergebnissen
als seiner Zeit Holl, vgl. vor allem
S. XV ff. und LXXXff. Besonders erfreulich ist
die Anleitung zu kritischer Benutzung der Vita
S. 56 ff. — Der Edition selbst liegen die beiden
einzig vorhandenen Pariser Handschriften zu Grunde,
deren Abweichungen sorgfältig notiert werden. Die
sachlichen Anmerkungen stehen unter der französischen
Übersetzung, die so leider das Schwergewicht der Edition
erhält.

Kiel-Voorde. Kurt Dietrich Schmidt.

Bauer, Prof. D.Karl: Die Wittenberger Universitätstheologie
und die Anfänge der Deutschen Reformation. Tübingen:
J. C. B. Mohr 1928. (X, 159 S.) gr. 8°. ' KM 9.60.

In „Wider Hans Worst" von 1541 hat Luther als
den „ersten rechten gründlichen Anfang des lutherischen
Lärmens" die Ablaßpredigt des von Albrecht von Mainz,
beauftragten Johann Tetzel hingestellt, gegen die er,
damals „ein junger Doctor, neulich aus der Esse kommen
, hitzig und lüstig in der heiligen Schrift" habe auftreten
müssen. Und in der Vorrede zum 1. Bande der
Gesamtausgabe seiner lateinischen Schriften von 1545
hat er das ihm infolge seines Nacherlebens dessen, was
Paulus durchgemacht, neuaufgegangene rechte Verständnis
von Rom. 1,17 als den Ausgangspunkt der Reformation
bezeichnet. Beide Aussagen Luthers — andere
Äußerungen von ihm besonders in den Tischreden kommen
hinzu — verwirft der Verf. als „erst einer Zeit entstammend
, da Luther bereits angefangen hatte, sich
selber mythisch zu werden". Ist Letzteres richtig? Ist
Luther im Alter sich mythisch geworden? Jene Vorrede
, „Luthers großes Selbstzeugnis 1545 über seine
Entwicklung zum Reformator" hat Ernst Stracke „kritisch
untersucht" (Leipzig 1926) mit dem Resultat, daß
Luthers Berichte über sein Vorgehen gegen den Ablaß,
über sein Verhör vor Cajetan, über die Leipziger Disputation
, über die Miltitzepisode usw. durchaus glaubwürdig
sind und daß wir daher mit einem günstigen
Vorurteil an die darauf folgenden Aussagen Luthers
über seine innere Entwicklung und sein „reformatorisches
Fundamentalerlebnis" herantreten dürfen. Bauer
sieht den Anfang der Wittenberger Reformation vielmehr
in der neuen Hermeneutik, zu der Luther seit der
Übernahme der biblischen Professur in Wittenberg i. J.
1512 durchgedrungen sei, in der neuen paulinisch-
augustinischen, deutsch mystischen, antischolastischen,
antipapistischen Theologie, mit der er der Universität
Wittenberg ihr charakteristisches Gepräge und ihre Bedeutung
gegeben habe. Daß die Loslösung von dem
allegorischen Schriftverständnis und die Erfassung des
Wortsinns und die daraus folgende Neuorientierung den
kirchlichen Lehren und Institutionen gegenüber zu Luthers
Entwicklung zum Reformator und zum Gang der
Wittenberger Reformation wesentlich hinzugehört, hat
B. sehr schön und abgerundet ausgeführt, aber doch
wohl zu einseitig betont. Und so neu ist doch diese
Erkenntnis auch nicht, wie auch in den Ausführungen
B.s im einzelnen vieles begegnet, was schon zur Genüge
bekannt war. Schließlich widerspricht seine Auffassung
auch gar nicht so sehr den bisherigen, die an
Luthers eigene Aussagen anknüpfen. Es ist doch nicht
recht glaublich, daß die Römerstelle blitzähnlich alles

in Luthers Seele und um ihn her erhellt haben sollte,
1 wenn nicht seine innere religiöse Entwicklung der des
: Paulus parallel gegangen wäre, ebensowenig wie es
I glaublich ist, daß die antipelagianischen Schriften Au-
I gustins auf Luther einen «o tiefen Eindruck gemacht
haben sollten, nur weil zufällig der 8. Band der 1506
bei J. Amerbach in Basel erschienenen elfbändigen Au-
gustinausgabe, der jene Schriften enthielt, ihm zuerst
in die Hände fiel (S. 32). Und im 5. Kapitel, in dem
B. die „Rückwirkung der neuen Theologie auf die
| kirchliche Praxis" behandelt, zeigt B. ganz richtig, wie
neben Heiligen- und Reliquienverehrung es in erster
Linie der Ablaß war, gegen den Luther vom Standpunkt
seiner neuen Theologie vorgehen mußte. Das verträgt
sich recht wohl mit dem, was oben aus „Wider Hans
Worst" zitiert ist.

Zu begrüßen ist es, daß B. energisch gegen das
Mißverständnis protestiert, das Luther „zum Ahnherrn
des modernen religiösen Subjektivismus macht" und
demgegenüber Luthers Objektivismus-Biblizismus betont
. Anregend ist es, daß er im Vorwort es als ein
„Verhängnis" bezeichnet, daß „man sich gewöhnt habe,
Luther und die Reformation zu identifizieren". Freilich
liefern die folgenden Ausführungen dann nur einen ge-
I ringen Beitrag dazu, wie neben Luther andere sich um
| die Reformation verdient gemacht haben. Betreffs des
„ehrgeizigen, aufgeregten, sich überstürzenden" Karlstadt
schließt er sich ganz an die herkömmliche Darstellung
an, über Melanchthons Einfluß auf Luther findet
sich einiges S. 80 ff., aber was etwa Amsdorf,
! Agricola, Justus Ionas als Universitätsdozenten neben
Luther Originales und Förderndes geleistet haben,
darüber verlautet so gut wie nichts. Es gibt doch zu
denken, daß Amsdorf in seiner Hebräerbriefvorlesung
die Luthers „stillschweigend ausgemolken" hat (vgl.
Joh. Ficker, Luthers Vorlesung über den Hebräerbrief
1517/18, Leipzig 1929, S. XXI). So verspricht der
Titel des Buches mehr als es enthält. Er lautete richti-
j ger etwa: Luthers Tätigkeit in Wittenberg auf Kanzel
und Katheder und als theologischer Schriftsteller
| 1512—1521.

Zwickau i. S. Otto Clemen.

Matthiesen, Pastor Th.: Erweckung und Separation in
Nordfriesland (Bordelumer Rotte). Kiel: Selbstverlag d. Vereins;
jzu beziehen den.: Buchdruck.-Bes. J. M. Hansen in Preetz i. Holst.
1927. (III, 111 S.) gr. 8°. = Schriften des Vereins für Schlesw.-
Holst. Kirchengesch., 1. Reihe, H. 16. RM 2 -; für Mitglieder 1—.
Das vielfach ungenaue Bild von der Bewegung
j der s. g. Bordelumer Rotte, wie es bisher in der Lite-
[ ratur entworfen wurde, wird hier, vor allem aufgrund
der reichen Akten des Kieler Staatsarchivs, wesentlich
ergänzt und berichtigt. Zunächst treten so zwei ge-
j trennte Perioden hervor: Seit 1734 wird durch die
! Kandidaten Barsoenius und Lorentzen eine pietistische
Erweckung in und um Bordelum hervorgerufen. Nach-
I dem dann 1736 Lorentzen jung nach 30monatigem
Pfarramt in Bordelum verstorben ist, eignet sich Barsoenius
schwärmerische Gedanken von innerer Erleuchtung
an und fördert damit durch Wort und Beispiel ein
separatistisches Fernbleiben seiner Anhänger von den
Gnadenmitteln der Kirche. Aber erst das Jahr 1738
bringt mit dem Auftauchen des Thüringer Kandidaten
Bähr, dem Barsoenius nie völlig zum Opfer fällt, den
eigentlichen Rottengeist. Bähr, der notorisch David
Joris gelesen hat, entnimmt wohl diesem seine Gedanken
von den geistlichen Ehen und führt damit zu
I geschlechtlichen Unordnungen, wenn auch nicht in dem
; gewöhnlich angenommenen Umfange. Durch Einschrei-
j ten der dänischen Behörden wird aber bald der Einfluß
I von Bähr und Barsoenius unterbunden, so daß nach
1741 die Bewegung ins Unscheinbare zurücktritt. Das
alles wird aus den Akten lebendig dargestellt.
Göttingen. J. Meyer.