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Ausgabe:

1930 Nr. 24

Spalte:

569-571

Autor/Hrsg.:

Bauer, Clemens

Titel/Untertitel:

Politischer Katholizismus in Württemberg bis zum Jahr 1848 1930

Rezensent:

Koch, Hugo

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 24.

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zum Staat wirklich außer Kurs zu setzen, dazu bedarf
es mehr als einer Erkenntnis der Meinung Luthers,
nämlich einer deutlichen Kennzeichnung (durch Herleitung
und Benennung) dieser nach Luther bis in unsere
Zeit herrschenden Auffassung. Denn nur die unerschrockene
Aufweisung ihrer wirklichen Väter, nicht
andere und vielleicht bessere Gedanken pflegen eine
Pseudonyme Bewegung in der Geschichte und erst
recht in der Kirchengeschichte zu kompromittieren.

Hier will der Verfasser helfend eingreifen, und das
ist ihm in seiner besonnenen Art, die (vgl. u. a. S. 17/18,
S. 26, S. 32) zu klaren, einprägsamen Formulierungen
kommt, sehr zu danken, auch wenn er hier das Problem
„nur in großen Umrissen" (Vorwort S. 3) skizzieren
kann.

Der Verf. untersucht in der Hauptsache den — bisher
recht unbeachtet gebliebenen — Staatsgedanken des
Erasmus, wie er sich um den Begriff der publica utilitas
und der Erziehung bewegt. Die Quelle der Darstellung
ist die Institutio Principis Christiani von 1516, geschrieben
für den späteren Kaiser Karl V.! Aber auch andere
Werke des Erasmus werden herangezogen.

Dali Erasmus eine christlich-antike Einheitskultur zu schaffen
vermochte, (S. 21), wird man nicht gut sagen können; er vermochte
sie noch einmal zu denke n.

Thomas Morus und Machiavelli werden (S. 26—31)
nur kurz behandelt unter Berufung auf Onckens und
Meineckes Arbeiten. Die Unterschiede dieser drei humanistischen
Staatslehren werden jedoch dabei deutlich.
Aus kurzen Erinnerungen an Thomas von Aquino einerseits
und Luther andererseits wird die wichtige Schlußfolgerung
gezogen: der moderne Staatsgedanke bestimmt
auch in seinen verschiedenartigen Ausprägungen
sein Verhältnis zur Kirche gleichartig (S. 26), denn „er
spannt die religiöse Gemeinschaft für seine Zwecke ein"
(S. 31 f.). So bedeutet der Kampf zwischen Machia-
vellismus und Antimachiavellismus, das heißt die ganze
Geschichte der modernen Staatsidee, im Grunde nichts
für die Entfaltung der Kirche. Es leuchtet ein, wie
wichtig dieses Ergebnis für die Auseinandersetzung der
Kirche mit dem modernen Staatsgedanken ist. Nun
wäre noch als mitbestimmender Faktor der geschichtlich
gewordenen humanistischen Staatstheorie die Anschauung
Melanchthons zu erörtern.
Berlin. Walter Dreß.

Bauer, Clemens: Politischer Katholizismus in Württemberg
bis zum Jahr 1848. Freiburg i. Br.: Herder & Co. 1929. (IX,
173 S.) 8°. = Schriften z. Dtschn. Politik, 23. u. 24. H. RM 7-.
Es gab eine Zeit, und sie liegt noch nicht sehr weit zurück, wo
man auf streng römischer Seite das Wort vom „politischen Katholizismus
" überhaupt übelnahm und seine Unterscheidung vom „religiösen
Katholizismus" für unstatthaft erklärte. Nun, da dieser politische Katholizismus
durch den Umsturz in Deutschland gewonnenes Spiel hat, scheut
man sich nicht mehr vor seiner Benennung, freilich mit der erneuten
Versicherung, daß er sich vom religiösen Katholizismus tatsächlich nicht
scheiden lasse, sondern nur „die Erscheinungsform der katholischen
Religiosität im Politischen" sei (Bauer S. 4). Das stimmt in der Tat,
wenn man - katholisch und römisch ineinssetzt. Denn der römische
Kirchenbegriff hat einen so starken politischen Einschlag, daß er in seiner
Auswirkung von selbst zu politischen Forderungen führt und damit zu
Auseinandersetzungen mit dem Staate die um so schwieriger werden,
je höher dieser seine eigene Aufgabe und seine Herrschaftsrechte faßt.
Auch der Verfasser vorliegender Schrift gibt S. 58 zu, daß im katholischen
[lies: römischen] Kirchenbegriff „zweifellos" ein „politisches
Element" vorhanden sei, und er spricht S. 67 ganz unbefangen von
einem „politischen Gefüge der Hierarchie", und doch wieder ganz befangen
, weil er dieses „politische Gefüge" für selbstverständlich ansieht
und es nicht etwa einer religiösen Größe entgegenhält. Im heutigen
römischen Kirchentum ist ja das Politische mit dem Religiösen so heillos
verquickt, daß seinen Leitern der Unterschied gar nicht mehr zum
Bewußtsein kommt und Papst Pius XL es allen Ernstes für eine Beleidigung
des Hl. Vaters erklärte, wenn man ihm politische Gedanken
unterstelle: dabei gibt es in der ganzen weiten Welt kaum ein größeres
politisches Ereignis, woran die Kurie nicht irgendwie beteiligt wäre!
Grundsätzlich ist so das Verhältnis der römischen Kirche zum neuzeitlichen
Staat überhaupt nicht zu regeln, es können immer nur Vereinbarungen
über bestimmte strittige Punkte getroffen werden, sofern der

Staat es nicht vorzieht, diese Dinge von sich aus zu ordnen. Daß das
eigentliche religiöse Gebiet nicht zur Zuständigkeit des Staates gehört,
I ist klar, aber die Bestimmung der Grenzen wird überall da strittig
bleiben, wo nicht völlige und folgerichtige Trennung von Kirche und
: Staat gewählt wird. Eine volle Anerkennung der römischen Kirche mit
allen ihren Ansprüchen aber ist unmöglich. Denn das hieße nach einem
I treffenden Worte Harnacks sie privilegieren.

Bauer schildert in vorliegender Schrift das tatsächliche Verhältnis
von Staat und katholischer Kirche in Württemberg seit Errichtung des
' Generalvikariats Ellwangen (1808) und der Diözese Rottenburg (1817 28)
bis zum Jahr 1848, die Bestrebungen kirchlicher Kreise, sich aus den
engen Klammern des Staatskirchentums zu befreien und für den Bischof
die ihm nach dem kanonischen Rechte zustehenden Befugnisse zu erringen
. Er schildert diese Kämpfe vom römisch-kirchlichen Standpunkt
aus, aber, um dies gleich zu sagen, mit Maßhalten im Urteil und sicht-
| lichem Streben nach Gerechtigkeit, sowie mit vollem Ausschöpfen der
! einschlägigen Quellen. Es standen ihm die Akten des Stuttgarter Staatsarchivs
und die des bischöflichen Archivs in Rottenburg zur Verfügung.
[ Ebenso arbeitete er die Verhandlungen der Kammer der Standesherrn
und der Kammer der Abgeordneten durch. Außerdem zog er die Zeit-
| Schriften, die von den Württemberger Katholiken benützte bayrische
| Presse und die zahlreichen Flugschriften, soweit sie noch vorhanden sind,
: In umfassender Weise heran (die Zusammenstellung S. 163 — 166).

Nachdem er einleitend die katholische Kirche in Württemberg in
den Rahmen der Entwicklung des deutschen Katholizismus hineingestellt
j hat, zeigt er zunächst (im 1. Kapitel) die Grundlagen auf, von denen
aus sich der schwäbische Katholizismus im 19. Jahrhundert entfaltet hat:
die Religionsedikte von 1803 u. 1806, die Einrichtung des „königlichen
katholischen Kirchenrats", durch den die Krone dieselben Rechte der
katholischen Kirche gegenüber ausübte, die ihr für die evangelische Kirche
i zustanden, die Errichtung des Generalvikariats in Ellwangen, das nachher
nach Rottenburg überging und von dem neuen Bistum abgelöst
| wurde, die Gründung einer Universität für die katholischen Theologen
und eines Priesterseminars in Ellwangen, von denen jene bald als katho-
| lisch-theologische Fakultät der Tübinger Universität eingegliedert, dieses
1 nach Rottenburg verlegt wurde, die Einrichtung des kathol. Wilhelms-
! Stifts in Tübingen und zweier sogenannter niederer Konvikte an den
I Gymnasien in Ehingen und Rottweil, die Schaffung eines sog. Inter-
j kalarfonds beim Kirchenrat zur Sammlung der Gefälle aus erledigten
Kirchenstellen. Dieser Kirchenrat, eine aus katholischen Geistlichen und
j Laien zusammengesetzte Behörde, übte in der Hauptsache alle die Rechte
aus, die das kanonische Recht dem Bischof zuspricht. Auch das Domkapitel
war dem Bischof nicht nur als beratende, sondern als selbständig
beschließende Körperschaft beigegeben. Da die Mitglieder sowohl des
Kirchenrats wie des Domkapitels selber mehr oder weniger vom Geiste
der Aufklärung und der Staatsallmacht beherrscht waren, so arbeiteten
sie willig im Sinne der Regierung, und dieser gab bis 1S48 der hervorragende
und tatkräftige Minister v. Schlayer das Gepräge, während
der erste Bischof der neuen Diözese, Joh. Baptist v. Keller, nie so recht
den Mut fand, seine an sich kirchlichen Grundsätze in die Tat umzusetzen
. So entbrannte zunächst der Kampf im eigenen katholischen
Lager und er begleitete auch die Auseinandersetzungen mit dem Staat.
Diesen Kampf im eigenen Lager schildert das 2. Kapitel. Er ging vor
allem gegen Kirchenrat und Domkapitel und die deren Anschauungen
vertretenden Zeitschriften. Ausgemachten wurde er in auswärtigen, namentlich
bayrischen Blättern. Gegenstand der Klagen waren hauptsächlich
die Erziehungs- und Bildungsverhältnisse des Klerus. Das Kölner Er-
| eignis 1837 gab dann der kirchlichen Bewegung neuen Antrieb, der sich
| besonders in der Motion des Bischofs v. Keller in der Kammer der Ab-
i geordneten am 8. November 1841 auswirkte. Auch die Tübinger katho-
I lisch-theologische Fakultät mit ihrer „Theologischen Quartalschrift" ver-
I stand sich seit Möhler zu einer kirchlicheren Haltung und trug so zur
inneren Stärkung und Belebung des Katholizismus nicht wenig bei.
B. würdigt S. 49 ff. ihre Wirksamkeit in dieser Zeit. Dazu kamen
: kräftige Antriebe aus den Mainzer und Münchner Kreisen. Das dritte
: Kapitel behandelt den Kampf mit dem Staate. Freigabe des Verkehrs
i mit Rom und freie Leitung der Diözese durch den Bischof waren die
j Forderungen, die in der Presse erhoben wurden. Besonders brennend
I wurde seit den Kölner Wirren die Frage der staatlich gebotenen Einsegnung
der Mischehen. Flossen diese Forderungen aus der „katholischen
Religiosität", so schlagen nach Bauers eigenem Urteil ins Kirchen-
I politische ein die in der Presse vertretenen Schulforderungen, und hier
i wagte sich bereits eine „extreme Richtung" vor, die dem Staate überhaupt
jeglichen Anteil an der Schule absprach und diese dem Bischof
! und der Gemeinde zuwies (S. 75). Dazu kamen rein politische Klagen
über Zurücksetzung der Katholiken in den Beamtenstellen. Die kirch-
! liehen und kirchenpolitischen Forderungen gipfelten im Ruf nach einem
! Konkordat, durch das die strittigen Fragen erledigt werden sollten. Im
Verlauf dieser Erörterungen schlössen sich die Katholiken großenteils
. dem Liberalismus an und übernahmen dessen Schlagworte: Unterrichts-
' freiheit, Lehrfreiheit, Pressefreiheit (S. 81 ff.) — ein Vorgang, der sich
in unsern Tagen im Zusammengehen des Zentrums mit weltanschaulich
ihm sonst fernestehenden, ja feindlichen Parteien wiederholte. Gleich-
! zeitig aber betonte man den „konservativen Charakter" des Katholizis