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Ausgabe:

1930 Nr. 24

Spalte:

565-567

Autor/Hrsg.:

Koch, Hugo

Titel/Untertitel:

Cathedra Petri. Neue Untersuchungen über die Anfänge der Primatslehre 1930

Rezensent:

Krüger, Thomas

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 24.

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reicherung. Aber das Bild der Zustände im römischen
Weltreiche zur Zeit von Jesu Wirksamkeit wird hier
so lebendig und aus solcher Fülle der Materialkenntnis
heraus gezeichnet, daß der Theologe für die allgemeine
Zeitanschauung auch in scheinbar abliegenden Teilen der
Provinzialgeschichte reichste Förderung findet.
Breslau. W. Schur.

Koch, Hugo: Cathedra Petri. Neue Untersuchungen über d. Anfänge
d. Primatslehre. Gießen: A. Töpehnann 1930. (XII, 188 S.)
gr. 8°. = Beihefte zur Zeitschrift f. d. neutestamentl. Wissensch,
hrsg. v. H. Lietzmann, Beih. 11. RM 12—

Die Untersuchungen über die Ursprünge der Lehre
vom römischen Primat sind durch die Abhandlung von
Erich Caspar: Primatus Petri (Zeitschrift der Sa-
vignv-Stiftung für Rechtsgeschichte 47, 1927, Kanomsti-
sche' Abteilung, S. 253—331; im Sonderdruck Weimar,
Böhlau, 1927) wieder in Fluß gekommen. Diese grundliche
Abhandlung forderte angesichts ihrer vielfach von
den bisherigen abweichenden Ergebnisse gebieterisch zur
Stellungnahme heraus. Es galt aber, dabei zurückhaltend
zu sein, denn, wie ich in meiner Besprechung m den
Theologischen Blättern 1927, Sp. 302—307 sagte (S.
306): „Die Erfahrung in Hunderten von ahnlichen
Fällen zeigt, daß man mit Widerspruch wie Zustimmung
vorsichtig verfahren muß, so lange man noch
unter dem Eindruck der Lektüre steht". In diesem
Fall lagen die Dinge besonders schwierig, so lange sich
der beste Kenner dieser Frage nicht geäußert hatte.
Daß dieser' Kenner Hugo Koch, der Verfasser des
uns jetzt vorliegenden Buches, ist, daran kann auch das
Zetergeschrei nichts ändern, das im Lager der Unentwegten
losbricht, so bald er seine Stimme erhebt. Es
wird auch diesmal nicht ausbleiben.

Kochs neue Untersuchung des Problems — er
hat sie Josef Schnitzer gewidmet — verläuft in drei
Abschnitten: Die Primatsfrage bei Tertullian. — Die
Primatsfrage bei Cyprian. — Das Dogma vom Papsttum
. Es ist sehr erfreulich, daß der Verfasser diesen
dritten, mehr thetischen Charakter tragenden Teil hinzugefügt
hat, um hier in einem knappen Oberblick zu
zeigen, daß die Kirche des 3. Jahrhunderts nur ein
Mt. 16, 18 f. geschaffenes Bischofsamt, nicht aber ein
„Papsttum" kennt. Man möchte wohl sagen können,
daß Koch hier offene Türen einrennt. Leider ist das
ja nicht der Fall, und ich fürchte, auch seine jetzigen
Darlegungen werden den vielen, die nicht sehen wollen,
keinen Eindruck machen. Sollte nicht doch Caspar
Recht haben, wenn er meinte, das Dogma vom Primat
des Papstes könne weder bewiesen noch widerlegt werden
, da das Problem des Wahrheitsgehaltes der Primatslehre
metahistorisch sei. Ich meine, man müsse das
zugeben, auch wenn man sich, wie selbstverständlich
auch Caspar, durch die Geschichte überzeugt weiß. Es
gibt nun einmal Millionen von Menschen, für die das
Dogma die Geschichte überwindet. Daß dazu auch so
hervorragende Gelehrte, wie etwa Adam in Tübingen,
gehören, dem Koch nachweisen kann, daß er unter
dem Einfluß des Dogmas oder seiner Hüter mehrfach
frühere Einsicht in ihr Gegenteil verkehrt hat, ist bedauerlich
, aber doch nur ein Beweis mehr für das Gesagte
. Auch die humorvolle Satire hilft da nicht, mit der
Koch seinen Gegnern, die in ihm offenbar so etwas
wie einen Verstörer des Heiligtums sehen, heimleuchtet.

Wie steht es nun aber mit den Thesen, die Koch
bezüglich der Primatsfrage bei Tertullian und Cyprian
in Bereitschaft hält? Er hat, um das vorauszuschicken,
keinen Anlaß gefunden, seine in früheren Veröffentlichungen
, insbesondere in seinem viel umstrittenen Buch
über Cyprian und den römischen Primat (Leipzig 1910)
dargelegten Ansichten anders als in untergeordneten
Punkten zu ändern. Man könnte darin, angesichts des
starken Widerspruchs, den er erfahren hat, eine gewisse
Verstocktheit finden wollen, hätte man es nicht mit
einem Gelehrten zu tun, der über eine so tief bohrende

Kenntnis des Quellenmaterials verfügt wie kaum ein
anderer, und dessen Aufstellungen bis in die kleinsten
Einzelheiten immer wieder von ihm selbst durchgeprüft
worden sind. Das gilt insbesondere von der souveränen
Durchdringung des Sprachgebrauchs und fast mehr noch
des Wortschatzes der im Vordergrund der Betrachtung
stehenden beiden Schriftsteller, aber auch des übrigen
altkirchlichen Schrifttums, soweit es für den vorliegenden
Zweck heranzuziehen ist. WeT auf einem Gebiet,
auf dem die Wortindices bis zur Stunde entweder versagen
oder nur eine unzureichende Hilfe bieten, das
ganze Material parat hat, der hat vor dem weniger gut
ausgerüsteten Gegner von vorne herein einen schwer
einzuholenden Vorsprung. Ich denke etwa an Erörterungen
wie die zu propinquus bei Tertullian oder funda-
i mentum, princeps mit seinen Derivaten (wo Koch die
anscheinend imponierende Liste seines Gegners d'Ales
mit seinen Ergänzungen leicht widerlegen kann) und
den Genetivus explicativus bei Cyprian, zu mater eccle-
siae im gesamten Sprachgebrauch der alten Kirche, und
so manches andere. Mit einem solchen Kenner ist
schlecht anbinden, zumal wenn man sich, wie das bei
Koch der Fall ist, darauf verlassen kann, daß er von
seinem Material nicht zurückhält, was seiner These hinderlich
sein könnte.

In der Erklärung von de pudicitia 21, also der Hauptstelle, weicht
Koch insofern grundlegend von Caspar (und mir) ab, als er dabei
bleibt, daß man aus der Heranziehung der .Matthäusstelle bei Tertullian
den Nachhall einer Argumentation Kallists heraushören müsse, es sich
also nicht um eine von ihm selbst begründete Formulierung der gegnerischen
These handele. Ich gebe zu, daß er auch hier viel Treffendes
vorbringt. Aber zu mehr als einem non liquet vermag ich jedenfalls
nicht (noch nicht?) vorzudringen. Insbesondere kann ich mir den erklärenden
Zusatz id est ad omnem ecclesiam Petri propimquam nicht
als vom Gegner stammend (so Koch 17) vorstellen. Recht aber hat
Koch gegen Caspar (der sich übrigens inzwischen auf meine und Adams
Darlegungen auch dazu bekehrt hat; vgl. sein Papsttum S. 572) und
gegen Harnack mit seiner Umschreibung dieser Worte durch „jede Petrus
verwandte, d. h. von Petrus abstammende . . . Kirche, also jede katholische
Bischofskirche". Daß propinquus hier nicht im örtlichen Sinn
gemeint sein kann, was die dativische Konstruktion voraussetzen würde,
kann Koch zum Überfluß aus Tertullians Sprachgebrauch zwingend
erhärten. Somit wird es auch wohl dabei bleiben, daß es sich dabei
nicht um ein „auf Rom gemünztes Wort" (so Caspar) handelt. Daun
scheidet aber „die vielerörterte Stelle für die Ursprünge des Primatsgedankens
überhaupt aus" (Koch 30), denn, wie immer man sich zu
der Frage stellen mag, ob Tertullian oder Kallist Mt. 16, IS ff. zuerst
in die Debatte warf, jedenfalls wurde daraus nur die amtsbischöfliche
Schlüsselgewalt, nicht aber der römische Primat hergeleitet.

Bei Cyprian handelt es sich um die wiederholte Durchprüfung der
Stellen, die einen römischen Anstrich, wenn man so sagen darf, zu
tragen scheinen, also de unitate 4 (super unum aedificat ecclesiam)' und
5 (episcopatus unus est cuius a singulis in solidum pars tenetur), ep.
48, 3 (ut ecclesiae catholicae matricem et radicetn agnoscerent et tenerent),
ep. 59,14 (ad Petri cathedratn atque ad ecclesiam prittcipalem, unde
unitas sacerdotalis exorta est) und die zweite Fassung von de unitate 4,
1 vornehmlich das primatus Petro datur. Caspar hat mit vielen anderen
daran Anstoß genommen, daß Koch das super unum abschwäche,
; indem er es fasse als „mit Einem beginnt der Kirchenbau". Koch
aber zeigt nun von neuem, daß Petrus nicht als das Fundament („Felsblock
") gedacht ist, sondern die Kirche selbst ist, d. h. eben sie darstellt.
„Die ecclesia prima et una ist als wesenhafte, in Petrus verkörperte
Größe gedacht, als ideales Ganzes, das früher ist als seine Teile" (S. 51).
Petrus ist „nur ihr Typ, ihr Bild, ihre erste Erscheinungsform", und
: zwar Typ „für die Bischofskirche und nur für sie". Sein „Amt lebt
| und wirkt in den Bischöfen weiter, sie sind es, auf denen die Kirche
, immerfort „beruht", von denen sie regiert wird. Petri „Fundament-sein"
' aber gehört der Vergangenheit an . . . Es gibt im ganzen Cyprian nicht
eine einzige Stelle, wo Mt. 16, 18 als „Erbauung der Kirche auf Petrus"
; und „Ursprung der Einheit" ebenso in Petrus (bzw. in besonderen
Nachfolgern) für die Gegenwart Entwirkend dargestellt wäre, wie in
| ep. 33,1 die mit Mt. 16,18 beginnende und zuerst dem Petrus verliehene
Regierungsgewalt sich in den Bischöfen fortsetzt" (S. 54). —
Bei der Erklärung von unit. 5 nimmt Koch Rücksicht darauf, daß in
soliduin ein Fachausdruck des römischen Rechtes ist, möchte aber nicht
zugeben, daß Cyprian die Wendung rein und ausschließlich in römischrechtlichen
Sinn verwendet hat. — Schlagend erscheinen mir Kochs
Ausführungen über die catholica ecclesia als matrix et radix, in teilweiser
Ergänzung dessen, was er schon 1912 in der Zeitschrift für die neu-
, testamentliche Wissenschaft darlegte. Daß die übliche Deutung auf die
i römische Kirche als Mutter der übrigen in dem gesamten altkirchlichen