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Ausgabe:

1930 Nr. 23

Spalte:

539

Autor/Hrsg.:

Wackernagel, Jacob

Titel/Untertitel:

Vorlesungen über Syntax m. bes. Berücksichtigung v. Griechisch, Lateinisch u. Deutsch. I. u. II. Bd. 2. Aufl 1930

Rezensent:

Bauer, Walter

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639

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 23.

540

Wackernagel, Jacob: Vorlesungen über Syntax m. bes. j
Berücks. v. Griechisch, Lateinisch u. Deutsch, i. u. II. Bd. 2. Aufl.
Basel: E. Birkhäuser & Cie. 1926/28. (VIII, 331 u. VIII, 354 S.)
gr. 8°.

W.s Vorlesungen sind schon nach wenig Jahren
in zweiter Auflage erschienen, und man möchte wünschen
, daß an dem schnellen Absatz der ersten die Theologen
nicht ganz unbeteiligt gewesen sind. Zwar steht
das sprachvergleichende Interesse im Vordergrund, und
für das Griechische, um dessen willen das Buch dem
Theologen vor allem bedeutsam ist, wird überwiegend j
die ältere Zeit berücksichtigt. Aber die Entwicklungs- j
linie ist doch vielfach bis in die hellenistische Epoche j
hinein verfolgt, berührt die Bibel, besonders das N. T.
und läuft nicht selten im Neugriechischen aus. W. kon- 1
struiert nicht, sondern geht von der Erfahrung aus und j
immer wieder auf die Tatsachen zurück.

Ich darf davon absehen, Beispiele anzuführen, die
zeigen würden, wieviel man aus dem Werk für ein j
richtiges Verständnis des biblischen Sprachgebrauches
lernen kann. Beide Bände sind mit so reichhaltigen |
Indices (Textstellen und Wörter) ausgestattet, daß man j
sich leicht in ihnen zurecht findet. Doch sollte man
das Buch nicht nur gelegentlich aufschlagen, sondern j
im Zusammenhang lesen. Man verschafft sich dadurch
zugleich mit einem tieferen Einblick in den Geist der
Sprache einen wirklichen Genuß.

Die schmerzliche Feststellung: „Was das N.T. an- j
betrifft, so ist die sprachliche Behandlung dem Theo- !
logen fast ganz entwunden worden" (I 38), scheint mir 1
etwas zu schroff formuliert zu sein. P. W. Schmiedel
und Ad. Deißmann, die alle beide freilich niemals j
genannt werden, können sich neben Blaß und Debrunner I
schon sehen lassen. Selbst wenn man sich, was jener i
Satz nicht tut, streng an den Begriff Syntax halten
wollte, sind ihre Arbeiten nicht unergiebig.
Göttingen. W. Bauer.

Schlier, Pfr. Lic. Privatdoz. Heinrich: Religionsgeschichtliche
Untersuchungen zu den Ignatiusbriefen. Gießen: A. Töpel-
mann 1929. (IV, 188 S.) gr. 8°. = Beihefte z. Zeitschr. f. d. n. t.
Wissensch., 8. RM 10—.

Diese Arbeit hat sich die Aufgabe gestellt, die
sieben Ignatiusbriefe auf ihren religionsgeschichtlichen
Gehalt zu untersuchen, und zwar zu einem doppelten
Zwecke: einmal um ihnen den richtigen Ort innerhalb
der Geschichte des Urchristentums anzuweisen und zweitens
um das volle Wortverständnis der Briefe zu ermöglichen
. Beides läßt die bisherige Forschung nach Ansicht
des Verfassers bei aller Anerkennung ihrer Verdienste
noch vermissen. Bis auf Bousset hatte sie die
religionsgeschichtlichen Seitenstücke überhaupt mehr
oder weniger außer acht gelassen und so vielfach einen
modernen Sinn in die Texte hineingelegt, eine Beeinflussung
durch Anfänge gnostischer Schulen abgelehnt
und Ignatius einen Platz innerhalb einer „kleinasiatischen
Theologie" zugeteilt. Bousset aber, der Ignatius
wirklich in den Zusammenhang der Religionsgeschichte
stellte, sah die Entwicklung des Urchristentums zu sehr
unter dem Gesichtspunkt einer Scheidung palästinischen
und hellenistischen Christentums und übersah die Eigenart
des syrischen Christentums, das neben Judentum und
Hellenismus als nie ganz reinlich getrennter Größen
noch religiöse Bestandteile iranischer Herkunft in sich
aufnahm. Auf diese hat zuerst Reitzenstein aufgrund
neu erschlossener manichäischer und mandäischer Schriften
aufmerksam gemacht, und er war es auch, der zuerst
hinter dem 19. Kapitel des ignatianischen Briefes an die
Epheser einen einheitlichen Mythos erkannt und aus
mandäischen Liedern beleuchtet hat. Auf diesem Wege
geht nun Schlier weiter, indem er die Briefe planmäßig
auf ihren religionsgeschichtlichen, namentlich ihren „iranischen
" Gehalt untersucht. Da die Arbeit schon im
Februar 1926 abgeschlossen vorlag, so ist die neueste
Erörterung über die Mandäer nicht mehr berücksichtigt.
Gegliedert ist der Stoff in drei, aus den Briefen selbst

sich ergebende Gedankenreihen, von denen die erste die
Gestalt des Erlösers, die zweite den Erlöser und die
Kirche, die dritte Märtyrer und Pneumatiker betrifft.

Im ersten, die Gestalt des Erlösers betreffenden
Teil, behandelt Schi, zunächst Eph. c. 19 und erklärt
die Gedanken des Ignatius nach einem in mandäischen
Liedern, in der Ascensio /esaiae, der Pisäs Sophia und
in andern gnostischen Stücken, aber auch in nichtgnosti-
schen syrisch-christlichen Schriften (Epistola apostolo-
rum, Testamentum Domini, „Syrische Schatzhöhle") enthaltenen
Mythos vom verborgen auf die Erde herangekommenen
, aber offenbar wieder aufsteigenden Erlöser
, dessen Ankunft das Ende dieses Aeons bedeutet.
Ignatius hat diesen Mythos durch Einzelheiten nichtkanonischer
Tradition umgedeutet und mit den Haupttatsachen
christlicher Gemeindeüberlieferung (Jungfrauengeburt
und Tod des Erlösers) verknüpft. Bemerkenswert
ist die Wandlung und Verwirrung im de-
scensus-ascensus-Gedanken des Mythos. Sie rührt davon
her, daß der syrische Mythos, der eine Welt mit nur
zwei Stockwerken, Himmel und Erde, kannte und das
Totenreich in die dazwischen liegenden Luftgegenden
verlegte, in einen jüdisch-christlichen Vorstellungskreis
eindrang, der drei Stockwerke im Weltgebäude annimmt
und die Toten in die Gegenden unter der Erde verweist
. Das machte eine „Höllenfahrt" des Erlösers
notwendig, während dieser im ursprünglichen Mythos
die Toten gleich bei seinem Aufstieg von der Erde zum
Himmel mitnimmt. Nachdem so Schi, in Eph. c. 19
eine Grundlage gewonnen, beleuchtet er aus derselben
religionsgeschichtlichen Umwelt weitere Züge des Erlöserbildes
in den ignatianischen Briefen: der Erlöser
und Gott (das Vordasein des Erlösers, die Offenbarung
Gottes im Erlöser und dessen „Hervorgang", die Einheit
des Erlösers mit seinem Vater vor und während
seiner Offenbarungstätigkeit), der Aufenthalt des Erlösers
auf der Erde und seine Offenbarungstätigkeit
(die Geburt aus der Jungfrau Maria, die Taufe Jesu,
Jesus als Pflanzer, als Lehrer und Gesetzgeber, als
Bringer der Gnosis, seine sonstige Tätigkeit), die letzten
Schicksale des Erlösers (Verfolgung, Kreuzigung, Tod
und Auferstehung, das uddog, Höllenfahrt, Rückkehr
zum Vater), endlich die Beinamen des Erlösers. Auch
in diesen Punkten ist bei Ignatius die christliche Gemeindetradition
in einen alten Erlösermythos hinein-
verwoben, mit dem sie nicht immer zusammenstimmt,
sodaß die zwei Linien noch zu erkennen sind.

Der zweite Teil befaßt sich mit dem Gedankenkreis
j um „Christus und die Kirche". Hier werden Eph. c. 17
, (pvQOv und yvwoig), die Bezeichnungen der erlösten
! Kirche, Christus als die *eq>akri und die Kirche als sein
I owpa, Christus und die evwoig der Kirche, das uaO-og
Christi und die Kirche, die prjyavr] Christi (Eph. 9,1)
I religionsgeschichtlich erläutert. Und der dritte Teil zeigt
! uns „Märtyrer und Pneumatiker" im selben Lichte: Welt-
] bild und Anthropologie des Ignatius, der Weg des
j Märtyrers und Pneumatikers (Himmelsreise, der Pneu-
j matiker, das realistisch-symbolische Schicksal des Märtyrers
[seine „Gefangenschaft" und „Unwürdigkeit",
! sein Ttäd-og, der Märtyrer und die Gemeinde, seine Vol-
i lendung]). Sch. hat die einschlägigen Quellen gründlich
durchforscht und ist mit der bisherigen Forschung
vollauf vertraut. Es ist ihm gelungen, die oft so seltsame
Sprache und Gedankenwelt des syrischen Märtyrerbischofs
in überraschendes Licht zu setzen. Wirkt
auch nicht alles Einzelne an sich gleichmäßig überzeugend
, so scheint mir doch die Gesamtschau richtig
zu sein: Ignatius ist in der Tat iranisch-gnostisch „angeduftet
", um ein Bild aus diesem Kreise zu verwenden.
Dabei ist „Gnosis" und „gnostisch", wie Schi. S. 32
A. 1 bemerkt, nicht im dogmengeschichtlichen, sondern
im religionsgeschichtlichen Sinne zu verstehen. Ein Bestandteil
des Mythos aber läßt sich als Vorstufe der
valentinianischen Gnosis bezeichnen. Auch Berührungspunkte
mit Vorstellungen jüdisch-christlicher Taufsekten,