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Ausgabe:

1930 Nr. 2

Spalte:

35-36

Autor/Hrsg.:

Prüser, Friedrich

Titel/Untertitel:

England und die Schmalkaldener 1535 - 1540 1930

Rezensent:

Hasenclever, Adolf

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 2.

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ursprünglich, sondern knüpft an vorchristliche Gedanken
an.

Freistedts Arbeit ist reich an religionsgeschichtlichem
Material, manchmal wünscht man allerdings
schärfere Problemstellung und strafferen Gedankengang,
da die Texte und Zeugnisse sehr weiten Raum einnehmen
. Sonst ist die Arbeit nüchtern und besonnen; sie
zeigt die engen Beziehungen zwischen antikem und frühchristlichem
Volksglauben, antiker und frühchristlicher
Sitte an einem Beispiel auf.
Halle a. S. Otto Michel.

Prüser, Friedrich: England und die Schmalkaldener 1535—

1540. Leipzig: M. Heinsius Nachf. Eger & Sievers 1929. (IX,
342 S.) 4°. = Quellen u. Forschgn. zur Reformationsgesch., Bd. 11.

RM 23-.

Es ist eine Freude, die vorliegende Arbeit anzuzeigen
; Ref. muß gestehen, daß er selten eine Erstlingsschrift
gelesen hat, welche sich durch solche Reife des
Urteils besonders in den allgemeinen politischen Fragen
der in ihr behandelten Gesamtepoche auszeichnet; es
war deshalb ein glücklicher Gedanke von W. Busch, daß
er diesen seinen Schüler anregte, die so wichtigen Beziehungen
Englands zum Schmalkaldischen Bund in
dem Jahrfünft von 1535—1540 zu untersuchen. Die
Arbeit beruht vornehmlich auf weitgehender Heranziehung
ungedruckten Materials aus dem Staatsarchiv zu
Marburg, wovon im Anhang (S. 295—342) eine Reihe
von Stücken mitgeteilt wird, sowie auf einer umfassenden
Benutzung der großen englischen Calendar und
State Papers Publikationen zur Geschichte des 16. Jahrhunderts
.

Wie der Titel der Schrift schon andeutet, ist der
führende Teil bei diesen Verhandlungen England, König
Heinrich VIII.; die Geführten sind die Schmalkaldener,
und zwar einmal weil der im schmalkaldischen Bunde
politisch organisierte deutsche Protestantismus infolge
der einander widerstrebenden Interessen seiner einzelnen
Mitglieder sich zu einer geschlossenen, einheitlichen Politik
nicht aufzuraffen vermochte, besonders aber weil
die beiden Gegenspieler ganz verschiedene Ziele verfolgten
: die Schmalkaldener eine gründliche Protestanti-
sierung Englands und alsdann ein Bündnis mit dem englischen
König; Heinrich VIII. hingegen wollte unter gewissen
Voraussetzungen wohl ein politisches Bündnis
mit dem schmalkaldischen Bunde haben, aber sich in
religiöser Hinsicht keine unlösbaren Fesseln anlegen
lassen; und selbst dieser Bündnisgedanke nahm bei ihm
immer nur dann ernstere Gestalt an, wenn die internationale
Lage sich für England verdüsterte, wenn die beiden
Großmächte, Kaiser Karl V. und Franz I. von Frankreich
, sich politisch einander näherten. In Wahrheit verfolgte
Heinrich VIII., wie einst sein Vater, der erste
Tudor Heinrich VII., eine vorsichtige Neutralitätspolitik;
„er wollte weder Protestant noch Katholik, und doch
wieder beides sein", hat Ranke (Englische Geschichte I,
163) seine konfessionelle, freilich lediglich durch politische
Erwägungen bestimmte Haltung umschrieben; es
war für England bei den damaligen Machtverhältnissen
das Klügste, was er tun konnte, denn als Heinrich zu
Anfang der 40er Jahre aus seiner Zurückhaltung heraustrat
und ein Bündnis mit dem Kaiser abschloß, ging
sogleich an diesen die Leitung der Gesamtpolitik über.
Der Träger der protestantenfreundlichen Politik auf
englischer Seite war Thomas Cromwell, „der Hammer
der Mönche", aber auch er ließ sich durchaus von politischen
Erwägungen leiten, verfügte besonders niemals
über den bei dieser Politik so notwendigen uneingeschränkten
Einfluß auf seinen königlichen Herrn, und
die schweren Belastungsproben, welchen Heinrich VIII.
seine Beziehungen zu den Schmalkaldenern durch katholikenfreundliche
Verfügungen („Die blutige Bill der
sechs Artikel" von 1538), durch offene Verfolgungen
der Anhänger der neuen Lehre in England immer wieder
aussetzte, konnten nur bei politisch so unfähigen und

naiven Gegenspielern, wie es die deutschen Protestanten
waren, stets aufs neue den Glauben aufkommen lassen,
daß man schließlich doch eine Evangelisierung Englands
auch unter diesem so kühl rechnenden Tudor erreichen
werde. Die Augen geöffnet worden sind ihnen
erst, als Heinrich VIII. in vollendeter Brutalität seine
deutsche Gemahlin Anna, die clevische Prinzessin, eine
nahe Verwandte Kurfürst Johann Friedrichs von Sachsen,
nach ganz kurzer Ehe aus wenig ehrenhaften Gründen
wieder verstieß.

Auf Einzelheiten hier einzugehen, verbietet sich von selbst; es
wäre sonst verlockend, die wechselnde Stellung der deutschen Reformatoren
, Luthers, Melanchthons, Oslanders, Myconius', der einmal in Eng-
| land an einem Religionsgespräch teilgenommen hat, und besonders des
! rührigsten und politisch befähigtsten unter ihnen, Martin Bucers, zu der
englischen Bündnispolitik des schmalkaldischen Bundes zu skizzieren;
1 auch bei dieser Darstellung empfindet man es peinlich, daß wir noch
immer keine irgendwie wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Biographie
des fähigsten politischen Kopfes auf protestantischer Seite, des Landgrafen
Philipp von Hessen, besitzen; immer wieder spricht der Verf. von der
absteigenden Politik des Landgrafen seit Mitte der 30 er Jahre, also lange
I vor der Krisis des Nebenehehandels; worin jedoch dieses Nachlassen
' besteht, wird nicht gesagt; hier wird, wie es scheint, allgemeine Kenntnis
, die im einzelnen nur die leider noch fehlende Biographie bringen
könnte, vorausgesetzt. Mannigfache neue Nachrichten erhält man über
den englischen Agenten Christoph „Mont", einen geborenen Deutschen
und naturalisierten Engländer: „ich bin des Königs Diener, ja doch
bin ich meines vatterlands nach nit vergessen", schreibt er einmal von
I sich im Jahre 1538 (S. 305); aber weshalb nennt der Verf. ihn in
einem deutschen Buch nicht mit seinem deutschen Namen „Mündt" ?
dann wäre ihm vielleicht auch nicht mein Artikel über M. in der
: A D B Bd. 52 (1906) S. 537 — 540, entgangen; zu den Mitteilungen über
, Pfalzgraf Philipp (S. 239 Anm. 3 u. S. 244 f) muß ergänzend und z.
j T. berichtigend auf die bisher kaum beachtete Münchener Dissertation
j von Jos. Dobmeyer: Pfalzgraf Philipp der Streitbare (1914) ver-
i wiesen werden, die ungedrucktes pfälzisches und englisches Material verwertet
hat und zum Abdruck bringt. Leider fehlt der Arbeit von Pr.
das so dringend notwendige Personenvcrzeichnis.

Noch eine kurze Bemerkung allgemeinen Inhalts
sei hier ausgesprochen: im Dezember des nächsten
Jahres können wir der 400. Wiederkehr des Tages gedenken
, an dem in Schmalkalden im Dezember 1530 der
schmalkaldische Bund begründet worden ist. Einzelarbeiten
und Einzelveröffentlichungen über diese poli-
! tische Vereinigung besitzen wir in großer Zahl; was uns
aber fehlt, ist eine systematische Herausgabe der politischen
Korrespondenz des schmalkaldischen Bundes,
nicht nur des so wichtigen Briefwechsels seiner beiden
bedeutendsten Leiter, des Kurfürsten von Sachsen und
des Landgrafen von Hessen, sondern auch seiner übrigen
Mitglieder; z. B. über die Politik der niederdeutschen
Städte innerhalb des schmalkaldischen Bundes, die doch
während des 2. Teiles des schmalkaldischen Krieges
1 eine so hervorragende und denkwürdige Rolle gespielt
haben, wissen wir noch fast gar nichts Sicheres; und
doch ist, wie die Entwicklung der evangelischen Bewegung
in Deutschland in dem Jahrzehnt vom Wormser
bis zum Augsburger Reichstag, von 1521—1530, erst
durch die dauernden Kriege Karls V. gegen Franz I.
bedingt war, die Entfaltung des Protestantismus als
eines bedeutsamen politischen Machtfaktors innerhalb
Deutschlands und bis zu einem gewissen Grade über
i dessen Grenzen hinaus während der 30er und 40er Jahre
i des 16. Jahrhunderts undenkbar ohne den schmalkaldischen
Bund: es wäre deshalb eine Ehrenpflicht des
gesamten Protestantismus, die Geschichte dieser Vereinigung
von Reichsfürsten und Reichsstädten und ihrer
so mannigfachen deutschen und auch außerdeutschen
Beziehungen durch eine großzügige Veröffentlichung der
wichtigsten ihrer Akten aufzuklären; auch die hier angezeigte
so schöne Studie von Pr. legt Zeugnis davon
ab, wie viel an neuer Erkenntnis auf politischem und
kirchenpolitischem Gebiet durch eine derartige Erschließung
bisher unbekannter Quellen gewonnen werden
kann.

Göttingen. Adolf Hasenclever.