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Ausgabe:

1930 Nr. 22

Spalte:

526

Autor/Hrsg.:

Lüpke, Hans von

Titel/Untertitel:

Jugendglaube. Ein Buch f. d. Jugend u. d. an ihr arbeiten 1930

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 22.

526

geschaltet wissen wollen) gegenüber dem andern, dem
Charakter des Glaubens als Gehorsam gegen das Wort,
allzu sehr vor. So wird die (freilich historisch nicht J
faßbare) Tatsächlichkeit der Auferstehung Christi ver- !
flüchtigt in „das Zeugnis einer Geschichte mit Christus"
(S. 107) — das ist zu wenig. Neben der Christologie,
zu der ein kurzer Aufsatz zur Lehre von der
Sünde organisch dazu gehört, eine Auseinandersetzung
mit Ritschi, gegenüber dessen sozial-psychologisch ver-
standenem Reich der Sünde Luthers Erbsündenlehre ]
festgehalten wird (und dabei auch nicht vergessen wird, j
was man so gern vergißt, daß wer von Erbsünde redet, :
mit gleichem Ernst von Erbsegen zu reden hat —
Schlatter!), erhält noch eine selbständige Behandlung
die Stellung zur Schriftfrage. Der historisch wie systematisch
gleich wertvolle Beitrag über Gehorsam j
und Freiheit in Luthers Stellung zur j
Schrift hat schon bei seiner ersten Veröffentlichung
in der Vierteljahrsschrift der Luthergesellschaft Beachtung
gefunden. Auch hier zeigt A. die Spannung (zwischen
Freiheit und Gebundenheit gegenüber der Schrift)
als im Glauben begründete Notwendigkeit (und nicht
etwa als Inkonsequenz des „unsystematischen" Luther) j
auf. — Mehr abseits von der Einheit der übrigen Auf-
sätze steht die Auseinandersetzung mit Karl Barths j
Exegese von 1. Kor. 15— „Die Auferstehung
der Toten", eine sachliche Kritik an den unmöglichen
Gewaltsamkeiten dieser Exegese bei Betonung systematischer
Verwandtschaft. — Man legt das Buch mit
Dank aus der Hand und mit der Hoffnung, daß den
Prolegomena zur Christologie des Glaubens, mit denen
es schließt, recht bald die Ausführung folge.

Bad Saarow (.Mark). R. Flick.

Steinberg, Priv.-Doz. Dr. Wilhelm: Grundfragen der Sozialethik
. München: E. Reinhardt 1929. (140 S.) 8°. RM 3.80; geb. 5.50.

Im Rahmen einer Kritik der sozialethischen Systeme
von der Antike bis zur Gegenwart sucht der Verfasser
die Eigenart des sozial-ethischen Wertes herauszustellen
und seine Selbständigkeit zu erweisen. Die
Lehre von der Selbstgenügsamkeit des Individuums, wie
sie von der Stoa, Hobbes und Leibniz vertreten worden
sei, versage gegenüber der Erklärung gewisser sozialer
Phänomene wie der Liebe der Gatten oder der Liebe
zwischen Eltern und Kindern (Kap. I). In ihren modernen
Formen suche sie diesen Einwänden zwar Rechnung
zu tragen, aber als Vertragstheorie widerspreche
sie dem soziologischen Befunde, als Utilitarismus werde
sie dem ethischen Werte der Persönlichkeit nicht gerecht
(Kap. II). Der Mensch habe eine wesenhafte psychische
Verbundenheit mit anderen Menschen. Das beachtet
zu haben sei das Verdienst der naturalistisch-biologischen
Begründungen der Sozialethik bei Spinoza, Spencer
, Kropotkin (Kap. III), aber auch der Lebensphilosophie
eines Guyau, Nietzsche, Bergson (Kap. IV).
Doch man übersehe hier, daß neben diesen natürlichen !
Werten im sozialen Handeln noch objektive, kategorisch
befehlende Werte in die Erscheinung träten. Freilich
hätten die naturalistischen Theorien Kant gegenüber
insofern recht, als nicht nur das reine Wollen, sondern
auch jede gesinnungsmäßige seelische Verbundenheit
einen sozialethisch positiv oder negativ belangvollen
Wert in sich trage (Kap. V). Spanns Universalismus,
der das individuelle ethische Handeln aus der Gemeinschaft
hervorgehen lasse, sei jedoch überspannt. Individuum
und Gemeinschaft müßten als gleich ursprünglich
angesehen werden (Kap. VI).

St.s Schrift ist klar und verständlich geschrieben
und gibt eine recht gute Einführung in eine Reihe sozialethischer
Probleme. Seine Methode, Theorien durch
die Erfahrung zu kritisieren, ist nach der negativen
Seite hin recht fruchtbar. Methodisch weniger befriedigend
ist die positive Entwicklung seines Standpunktes.
St. steht in der Deutung des Ethischen in der Nähe
Schleiermachers, das ermöglicht ihm wesentliche Einsichten
des Naturalismus und der Lebensphilosophie zu
verwerten. Aber dieser Standpunkt wird immer nur angedeutet
, nirgends positiv entwickelt, und so wirkt die
Meinung des Verfassers überall da, wo sie nach der
Kritik des gegnerischen Standpunktes auftritt, verhältnismäßig
unbegründet.

Münster/W. Otto Piper.

von Lüpke, Hans: Jugendglaube. Ein Buch f.d. Jugend u. d.
an ihr arbeiten. Berlin: Deutsche Landbuchh. (1930). (298 S.) 8°.

RM 7—.

Der unermüdliche Führer der Dorfkirchenbewegung
hat hier aus seiner langen Wirksamkeit an der Jugend
heraus ein Buch geschrieben, das vielen auf dem schwierigsten
Arbeitsgebiet helfen kann. Es ist der Inhalt der
von ihm gehaltenen Pfarrstunden, also Gespräche mit
Konfirmanden, was er gibt. Ganz anders ist der Gang
des Unterrichts, als in üblichen dogmatisch gehaltenen
Lehrgängen. Mit dem Ende, dem Ziel, der Einsegnung
beginnt es, die den Zug ins Leben eröffnet. Dann wird
die Aufgabe der Pfarrkinder in der Gemeinde, ihr „Bete
und arbeite" besprochen, ehe es in den eigentlichen
Lehrgang hineingeht. Dieser umfaßt trefflich formulierte
Fragen: Wer ist ein Mann? Wer lieben, glauben,
sterben kann — das Beten soll in einem zweiten Teil
behandelt werden. Unter jenen Überschriften erscheint
alles, was man Pfarrkindern sagen kann: Herrscher
über die Welt, Glockenläuten, die kreischende Maschine,
du erbst und vererbst Tausende, das Denkmal Gottes,
Nur eins mit Gott. Weniger deutlich wird, wie unter der
letzten jener Fragen die Sakramente behandelt werden
sollen. — Man merkt an jenen Beispielen von Überschriften
die Hand des Praktikers, der formulieren
kann. Er zeigt sich auch in den vielen eingestreuten Geschichten
, Gleichnissen, Bildern, an denen es dem Anfänger
zumal noch so sehr fehlt; hier kann er lernen,
seine Gedanken in kindertümliche Form zu kleiden, wie
sie einer durchschnittlichen heutigen Jugend, keiner
hochmodernen, angemessen ist.
Marburg. Friedrich Niebergall.

Wies er, Gottlob: Friedrich Gogarten. Jena: Eue;. Diederichs
1930. (50 S.) 8°. RM 1.80.

Die kleine Schrift des Wattwiler Pfarrers ist hervorgegangen
aus einem vor Schweizer Pfarrern gehaltenen
Vortrag und möchte Handreichung bieten, in
die religiöse Gedankenwelt des bekannten Dialektikers
näher einzudringen. Mir scheint das sehr gut gelungen
zu sein, namentlich da er bei einzelnen Punkten wie bei
der Lehre von Ständen und bei der Bezogenheit des
Glaubens nur auf den Menschen mit fragender Kritik
nicht zurückhält. Man kann bei Gogarten die Empfindung
nicht los werden, daß er die Gegensätze absichtlich
verschärft, um sich seine Stellungnahme zu erleichtern
. Die emphatische Betonung von Wirklichkeit und
Gegenwart als Brennpunkte der Wertgestaltungen führt
zur wesenhaften Isolierung gegenüber den Wertkomplexen
der Geistesgeschichte. Gogarten wird so zum
typischen Vertreter des protestantischen Menschen unserer
Tage, der durch das Problem der Unweltlichkeit des
Göttlichen und der Unwirklichkeit des Christlichen zentral
beunruhigt an der welthaft orientierten „Theologie
des toten Punktes" irre geworden die Rettung in der
überhistorischen Kongruenz von Wort und Offenbarung
erblickt. Er muß also gerade den Problemen sich verschließen
, an denen Troeltsch zeitlebens sich wundgerieben
hat. Die heutige religiöse Krisis aber dürfte
kaum dadurch überwunden werden, daß man eine Blende
einschiebt, um die religiösen Beleuchtungsakzente dialektisch
umzustellen. Immerhin bleibt Gogarten eine
der markantesten Gestalten in der religiösen Bewegung
der Gegenwart.
München. R. F. Merkel.