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Ausgabe:

1930 Nr. 2

Spalte:

34-35

Autor/Hrsg.:

Freistedt, Emil

Titel/Untertitel:

Altchristliche Totengedächtnistage und ihre Beziehung zum Jenseitsglauben und Totenkultus der Antike 1930

Rezensent:

Michel, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 2.

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zur Darstellung zu bringen, so wie sie aus dem Ganzen
seiner Heilsverkündigung herauswachsen.

In einer Einleitung entwickelt der Verf. die Bedeutungsgeschichte
von i/.yj.i)oia und die geschichtliche
Erscheinung der batlrpla in ihrer Erscheinungsform
als Versammlung und als eine durch Vorsteher und
Apostel geleitete Körperschaft. Mit Nachdruck wird
als Grundbedeutung, auch für Paulus, die „Versammlung
" herausgestellt und in einer Anmerkung auch
gegen K. L. Schmidt, dessen bekannte Studie (in der
Festgabe für Deißmann 1927) dem Verf. leider erst bei
der Drucklegung zu Gesichte kam, verteidigt. Dieser
Ausgangspunkt scheint auch mir, für Paulus und für die
Apg. empfehlenswert; es fragt sich nur, wie weit er
ausreicht. An Stellen wie I. Cor. 11,2 baditfitit roü
&eoi und 14, 23 „wenn die ganze Versammlung zusammentritt
" (S. 4 f.) macht sich sicher schon eine
andere, nämlich religiöse, vom A.T. her abzuleitende
Anschauung geltend. Richtig bleibt gleichwohl die
Unterscheidung dreier Bedeutungen: Versammlung, Gesamtheit
der Christen einer Stadt und Gesamtheit aller
Christen. Bei der Besprechung der Erscheinungsformen
hebt der Verf. treffend hervor, daß Paulus sich im
I. Cor. niemals auf die Vorsteher der Gemeinde bezieht
und niemals ein Eingreifen der örtlichen Vorsteher erwähnt
: der Apostel wendet sich immer an die Gemeinde
als Ganzes; die handelnde Einzelperson ist er.

Der eigentliche Gehalt der Kirchenidee wird in
zwei ungleichen Hauptteilen besprochen: die Ekklesia
als Wirkung und Trägerin göttlichen Willens (!) und
als Trägerin göttlicher Gaben: „Leib Christi" (2). Die
Ekklesia (ad 1) besteht auf Grund der „Sendung" des
Apostels, kraft göttlicher Gnadenwahl. Der wichtige
Gedanke, daß der Apostel als Gesendeter auch ein
„Recht" schafft und verwaltet, wird leider, wie so vieles
andere, nur in Skizze dargelegt. Aber die Sätze, daß
„Recht" kein Fremdkörper in der (paulinischen) Ekklesia
ist, und daß im 1. Cor. Ansätze zu einem Kirchenrecht
gegeben sind (S. 19 f.), sind einwandfrei, auch
wenn eine nähere Begründung fehlt.

Teil 2 gliedert sich in Erhebung der Erkenntnis
und Mitteilung göttlichen Lebens. Mit ersterem meint
der Verf. Offenbarung, apostolische Predigt und Glaube.
Wenn er dabei die Ekklesia als Vermittlerin kennzeichnet
, so erscheint auch diese Vermittlung wesentlich an
das Wirken des Apostels, der das Pneuma hat, gebunden
. Gleichwohl erhält nach dem Apostel hier zum
Schlüsse auch die Ekklesia eine Funktion, wobei sie sofort
zur „Heilsanstalt mit Institutionen, Ämtern" erhoben
wird, was „mit der Auffassung der Kirche als
eines Sorna, eines Organismus, des Leibes Christi", gegeben
sein soll (S. 30). Schade, daß der Verf. diese
umstrittene These nicht in kritischer Auseinandersetzung
mit der protestantischen Forschung ausführt.

Wie die Mitteilung göttlichen Lebens sich entfaltet,
wird einmal nach den älteren Briefen, dann nach den
Gefangenschaftsbriefen erläutert. Die Leitgedanken, die
etwas umständlich in Unterabschnitte (mit a, b, c, und
° ß 7 usw.) zergliedert werden, sind: die Eingliederung
Christi in die Menschheit, die Eingliederung der Menschen
in den „Leib Christi" und die Wirkung der Eingliederung
: das Leben des „Leibes Christi". Die Quelle
der Vorstellung von der Taufe (Rom. 6) sucht K. in
der bis zu mystischer Glut entfachten Christusliebe des
Apostels: in mystischen Verzückungen mag er den
großen Erlösungszusammenhang einmal geschaut ha-
oen. Das ist an sich möglich. Nur ist damit der Einfluß
der Mvsterien nicht ausgeschlossen, wie der Verf.
meint. Wenn auch richtig ist, daß das Volk der Profeten
, dem Paulus entstammte, an Tiefe und Eigenart
der Gottes-,,Erfahrung" alle Völker des Orients übertrifft
, die doch den Hauptbeitrag zu den hellenistischen
Mysterienkulten geliefert haben (S. 39), so ist damit
nicht die Unmöglichkeit erwiesen, daß Einzelne in diesem
Volke Mysteriengedanken sich angeeignet und zum

Ausdruck ihrer Erfahrungen und der ihnen gegebenen
Wirklichkeiten verwendet haben.

Den Hauptstoff für die Kirchengedanken der Gefangenschaftsbriefe
liefert natürlich Eph. Die zwei
Grundkonzeptionen sind das Haupt und die Braut. Unrichtig
scheint mir hier nur die Bemerkung, die Übertragung
des letztgenannten Bildes auf die Einzelgemeinde
II. Kor. 11,2 beruhe darauf, daß im Grunde
die religiöse Beziehung eine persönliche ist zwischen
Gott-Christus und Seele: hier kommt lediglich die von
Verf. stark vernachlässigte Anschauung in betracht, daß
die Einzelgemeinde die Gesamtkirche repräsentiert und
an ihren Qualitäten als solche teilhat.

In einem ganz skizzenhaften Anhang rührt der
Verf. schließlich noch die Vorgeschichte, die Ekklesia
bei Paulus und Jesus und in der Urgemeinde nach Apg.
an. Seltsamerweise schweigt er ganz über Mt. 16, 18 f.

Der Verf. verfügt über einen guten Stil, er schreibt
einfach, knapp und klar. Zu bedauern ist, daß er zu
wenig ausführt, zu wenig Beweisführung liefert. Manche
Abschnitte lesen sich mehr wie Materialsarnmlung und
Gedankenskizze, also wie Vorarbeit zur eigentlichen
Darlegung. Die gedankenreiche Studie hat trotzdem
Wert für die Erfassung der paulinischen Kirchenidee.

Kiel. H. Windisch.

|--__-

Freistedt, Dr. theol. Emil: Altchristliche Totengedächtnis-
tage und ihre Beziehung zum Jenseitsglauben und Totenkultus
der Antike. Münster i. W.: Aschendorff 1928. (X, 214 S.)
Er. 8°. = Liturgiegeschichtliche Quellen u. Forschgn., H. 24.

RM 9.80: geb. 11.75.
Die vorliegende Untersuchung von Dr. E. Freistedt
ist aus einer religionsgeschichtlichen Arbeit und
Dissertation an der katholisch-theologischen Fakultät
Münster im Herbst 1924 entstanden. Sie geht aus von
' der Tatsache, daß in der alten Kirche der dritte, neunte
und vierzigste Tag als Toteugedächtnistage galten. Natürlich
unterliegen diese Daten in den verschiedenen Gegenden
Schwankungen. In Palästina und Armenien feiert
man statt des neunten den siebenten Tag, bei den
Kopten den dritten, siebenten und dreißigsten Tag. Das
Missale Romanum nennt den dritten, siebenten und
dreißigsten Tag; es geht damit auf das Sakramentarium
Gelasianum zurück. Auch im Abendland muß es dieser-
halb Auseinandersetzungen gegeben haben (siebenter
statt neunter Tag!).

Woher rühren diese Verschiedenheiten? In welche
religionsgeschichtlichen Zusammenhänge werden wir gewiesen
? Hier stellt sich eine weite und interessante
Aufgabe. Die biblischen Zeugnisse gehören selbst in
einen weiteren Zusammenhang, dürfen nicht isoliert
werden. So werden biblische, rabbinische und persische
Zeugnisse herangezogen, um den antiken Glauben an
das dreitägige Verweilen der Seele beim Körper zu belegen
. Die TQkta und die harn, die Totenopfer am
dritten und neunten Tag, sind im Griechentum die Vorbilder
für die christlichen Totenmessen. Freistedt
zählt vom Tode, nicht von der Bestattung ab, wie es
Rohde tut („Psyche"). Bei den Lateinern gibt es ein
„novemdiale", das von Augustin bekämpft wird. Erst in
dieser Zeit wird der neunte durch den siebenten Tag
ersetzt. Dieser siebente Tag war im Osten (Syrien)
alter Unreinheitstag und Trauertag (Israel!). Der
; dreißigste Tag („romzae") nach dem Tode (A.
i Mommsen: jedes Monats) ist in Griechenland als
Totengedächtnistag gefeiert worden; auch im Orient
muß dieser Tag eine Rolle gespielt haben. Der vierzigste
Tag hängt wohl mit der Trauer von vierzig
Tagen zusammen, die verschiedenfach bezeugt ist.

Nun gibt es eine physiologische und eine eschatolo-
gische Begründung dieser Totengedächtnistage. Mit bestimmten
Tagen wird die Entstehung und die Auflösung
; des Menschen verbunden; Gerichts- und Vergeltungsvorstellungen
werden auf den dritten oder vierzigsten
Tag festgelegt. Auch hier ist das Christentum nicht