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Ausgabe:

1930 Nr. 22

Spalte:

514-515

Autor/Hrsg.:

Göttsberger, Joh.

Titel/Untertitel:

Biblische Zeitschrift. 18. Jg., 3. u. 4. H 1930

Rezensent:

Windisch, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 22.

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scheint, kann dabei gute Dienste leisten. Hat auch nach
der ausdrücklichen Erklärung F. Rosens die Hereinziehung
des religionsgeschichtlichen Stoffes nicht im ursprünglichen
, auf das Historisch-Geografische gerichteten
Plane gelegen, so muß doch, nachdem nun eben
einmal durch das Schwergewicht der Tatsachen sich der
religiöse Faktor als der weithin entscheidende herausgestellt
hat, ihm auch voll Rechnung getragen werden.
Die Frage drängt sich auf, ob wirklich angesichts der
Sonderentwicklung der phönikischen Götter zu Meergottheiten
, wie sie auf Münzen der vorhellenistischen Zeit
deutlich hervortritt und angesichts der ganz verschiedenen
Durchdringung mit dem „Hellenismus" der Weg
in das Judentum für die Phönizier infolge näherer „Urverwandtschaft
" leichter gewesen ist als für andere semitische
Stämme. Vielleicht ist es ein deutliches Sympton,
das in die eben angedeutete Richtung weist, daß in dem
Abschnitt, der von Juden und Phöniziern in Syrien und
Palästina handelt, häufig genug von „Syrern" die Rede
ist, die sich dem Judentum angeschlossen haben (Adia-
bene!), während die Darlegung für die „der hellenistischen
Kultur so aufgeschlossenen Phönikier" über ein
„wohl" nicht hinauskommt. Auch für Ägypten ist die
Frage durchaus zu stellen, wie weit es sich bei den
nichtjüdischen Semiten, die sich nachweisen lassen, um
echte Phönikier oder daneben um Aramäer handelt,
die, wie S. 77 gezeigt ist, neben jenen in den Wallfahrerinschriften
aus Abydos bezeugt sind; auch hier
taucht sofort wieder in der Darstellung der allgemeinere
Begriff des „Syrers" auf. Schwerlich haben in Ägypten
und der Kyrenaica die „phönikischen" Elemente ausgereicht
, neben der natürlichen Volksvermehrung und
dem durch römische Maßnahmen wohl nur zeitwillig
abgestoppten Zuzug von auswärts die hohen jüdischen
Ziffern zu erklären, die die Kämpfe des ersten und
zweiten nachchristlichen Jahrhunderts voraussetzen. Als
„Rekrutierungsgebiet" werden naturgemäß in erster
Linie die „Eingeborenen" im Gegensatz zu den „Griechen
" zu gelten haben, und welche Motive dabei sicherlich
vielfach im Spiele gewesen sind, zeigt bereits im
5. Jahrhundert der Übertritt des ägyptischen Gatten der
reichen Jüdin Miphtachja zu Elephantine. Die Gemeinsamkeit
der Beschneidung erleichterte das Herüber und
Hinüber in diesen Kreisen. Westlich der Kyrenaika setzt
eine stärkere Verbreitung jüdischer Elemente erst relativ
spät ein und der Prozeß der jüdisch-phönikischen Verschmelzung
könnte erst dem 3.—6. Jahrhundert p. C. angehören
(Slouschz), bedürfte aber auch da noch genaueren
Nachweises, wie auch für Rom selbst der Schluß,
daß das Vorkommen lateinischer Namen in den jüdischen
Katakomben an der Via Randanini und auf dem
Monteverde gerade die Verbindung der Juden mit pu-
nischen Elementen belege, „deren Kultur gerade in
Afrika selbst erst in der römischen Zeit verbreitet worden
war", als unzureichend gelten muß.

Wollte man also dem von G. Rosen einst richtig
gesehenen Problem zureichend nachgehen, so müßte
nicht nur die Grundlage in der Behandlung der israeli-
tisch-phönikischen Gemeinsamkeiten fester gelegt werden
, sondern es müßte die Verbreitung des semitischen
Elementes in der Spätantike in seinen Beziehungen zur
jüdischen Propaganda überhaupt ins Auge gefaßt werden
. Das wird richtig sein, daß die jüdische Propaganda
gerade unter solchen Stammverwandten, die selbst
entwurzelt unter Fremden lebten, ein besonders geeignetes
Missionsfeld gehabt hat; mit welcher Sicherheit
phönikische Elemente unter ihnen im Einzelnen noch
nachweisen lassen, wird abzuwarten sein. Wahrscheinlich
wird sich ergeben, daß die wirklich sicher zu identifizierenden
Reste phönikischer Handelsniederlassungen
und Faktoreien ganz wesentlich geringer sind als die Verfasser
annehmen, zumal wenn man berücksichtigt, wie
stark die alten Phönikierstädte hellenisiert worden sind.
Das eben skizzierte Problem aber würde eine eindringende
Behandlung durchaus verdienen — mein

Kollege Kahrstedt weist mich gesprächsweise auf Gallien
als auf ein Gebiet hin, auf dem seiner Meinung nach

I die ansässigen Syrer sich in frühchristlicher Zeit an
das Judentum angeschlossen haben könnten —, und es
wäre dringend zu wünschen, daß auf diesem Wege,
wenngleich in veränderter Gestalt, das Berechtigte an

, der für ihre Zeit kühnen und genialen These Georg
Rosens zu seinem Rechte käme und das tragische
Schicksal, das einst über seinem Manuskript gewaltet

! hat, nachträglich gewandelt würde. Einen bedeutsamen
Schritt auf diesem Wege haben trotz der zu machenden
Einschränkungen die beiden Verfasser des gegenwärti-

j gen Werkes getan und dadurch nicht nur der Pietät,

j sondern zugleich der Erforschung der Spätantike auf

I einem ihrer rätselvollsten Gebiete gedient.

Göttingen. J0h. Hempel

Biblische Zeitschrift. Hrsg. v. Göttsberger u. J. Sickenberger.
18. Jahrg. 3. u. 4. H. Freiburg i. Br.: Herder & Co. 1929. (S. 241
bis 421) gr. 8Ü. RM 12—.

Diese zweite Doppel lieferung bringt zunächst einen
Aufsatz von P. Alban Dold (Beuron) über „Neue
Palimpsest-Bruchstücke der griechischen
Bibel" (S. 241—270). Es handelt sich um das Beu-
roner Genesisfragment (Stücke aus Gen. 41), eine Un-
! ziale aus dem Anfang oder der Mitte des 8. Jahrh.; um
: das Beuroner Evangelienfragment (Mt. 20, 22. 23;
! 25—27; 30—32; 34—37), aus einem griechischen Typi-
j kon etwa aus der Mitte des 9. Jahrh., mit harmonieartigen
J Erweiterungen aus Mc. und Lc. (Sonderlesart aveyrwrai
i 20, 31 für aviyvoiie); endlich um das Wolfenbütteler
Evangelienfragment aus Gudianus Graecus 112 (Mt.
| 27, 19—20. 21—23), Zierschrift aus der Wende des 11.
; zum 12. Jahrh.; vielleicht aus einem liturgischen Buche
I (eigentümliche Schreibweise ^ugou^iav). Ein ausführ-
| licher Anhang führt zwei bekannte, neugelesene Pa-
i limpsest-Bruchstücke einer St. Gallener Evangelienhand-
j schritt vor, die der Verf. in Beuron untersucht und als
i Tischendorf's Wc (=e 20) identifiziert hat. Nach genauerer
Erforschung ergab sich, daß die Handschrift
! aus St. Gallen stammt und pälaographisch mit den
Sankt-Gallener Bibelhandschriften F G. und A verwandt
ist; textlich steht Wc dem A am nächsten (die
Texte Mc. 2, 8—12; 13—16; Lc. 1, 20—24; 24—32;
I 64—71; 71—79). Die Texte sind zunächst mit text-
tritischem Apparat abgedruckt; dazu treten wertvolle
photographische Schriftproben.

A. Allgeier weist „Lehrreiche Fehler in
; den altlein ischen Psalterien" auf (S. 271 bis
293), die er als Übersetzungsvarianten mit den griechi-
1 sehen Varianten und dem hebräischen Urtext vergleicht-
Ps. 16 (17), 14b.; 26,4; 44,9; 58 (13); 62; 117,
13. Er folgert aus seinen Untersuchungen, daß zwei alte
Überlieferungen des Psalters einander gegenüber stehen:
eine afrikanische und eine europäische, daß auch die
europäische schon vor Hieronymus eine komplizierte
Entwicklung durchgemacht hat und daß in den vor-
! handenen Textzeugen sich beide Überlieferungen stark
durchsetzen.

Für die Religionsgeschichte wertvoll ist der schon
vor fast einem Jahrzehnt abgefaßte Aufsatz von S.
Landersdorfer über: „Das daemonium meri-
dianum Ps. 90, 6" (S. 294—300). Aus allen Übersetzungen
ergibt sich, daß mit Crnrnt TWT nop ein Dämon
gemeint sein muß, ein Krankheitsdämon, der um
die Mittagszeit den Menschen nachstellt, den denn auch
der Talmud kennt und der mit einem Morgendämon ein
Paar bildet. Dieser Morgen- oder Nachtdämon soll nun
nach L.'s ansprechender Vermutung mit dem parallelen
-prr bDxn -im gemeint sein, beide Dämonen sind die
Urheber der Fiebererscheinungen, wie sie in der Kälte
der Nacht und in der Hitze des Mittags auftreten. L.
vergleicht sie mit den assyrischen Zwillingsgöttern Lu-

galgira und Sitlamtaea, dämonischen Erscheinungsfor-
I men des Pest- und Unterweltgottes Nergal und mit ver-