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Ausgabe:

1930 Nr. 22

Spalte:

509-510

Autor/Hrsg.:

Adler, Maximilian

Titel/Untertitel:

Studien zu Philon von Alexandreia 1930

Rezensent:

Windisch, Hans

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509

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 22.

510

wesentliche Rolle, so daß man genötigt ist, aus jüngeren
Texten Rückschlüsse auf ältere Vorgänge und Gedankengänge
zu ziehen.

Sethe geht von den sog. 8 Urgöttern von Hermo-
polis aus. Diesen Götterkreis hatte Lepsius bereits 1856
monographisch behandelt, Maspero war mehrfach auf
ihn eingegangen, Sethe war aber, Dank der fortschreiten-
den Kenntnis der Denkmäler, in der Lage, ihn mit weit
größerem Nachdruck zu verfolgen. Der Kreis setzt sich aus
4 Göttern zusammen, deren jedem eine durch Anhängen
des Feminin-Suffixes an den Gottesnamen gewonnene
weibliche Ergänzung zur Seite steht. In seiner Gesamtheit
repräsentiert nach S. 61 die Achtheit das Chaos, das
vor der Schöpfung der gegenwärtigen Welt vorhanden
war und aus Wasser bestand. Ihr erstes Glied Nun j
wäre das Urgewässer, das Wasser als Grundstoff, aus !
dem alle Dinge der Welt hervorgegangen sein sollen. ;
Das 2. Glied Huh sei vermutlich eine Eigenschaft des j
Wassers, etwa'die Unendlichkeit, die unendliche Aus- J
breitungsfähigkeit, die das Wasser überall hindnngen
und auch nach oben hin emporquellen läßt. Das 3. Glied
Kuk sei die Finsternis, in der sich das Chaos vor der 1
Schöpfung, d. h. vor der Erschaffung des Lichtes, be- !
fand. Das übrig bleibende 4. Paar Amun und Amaunet
(Amen und Amen-t) müßte dann die Urkraft als Hauch
repräsentieren. Für den naiven Menschen könne das
Element, durch welches Bewegung in die in Trägheit
verharrende Materie kommen konnte, nur die bald ruhige,
bald in wildem Sturm bewegte Luft sein, die daher das
gegebene Medium für die Schöpfung bildete. Zunächst
unbewegt über dem Chaos schwebend, konnte sie an-
scheinend einst von selbst in Bewegung geraten, das
Chaos in seinen Tiefen aufwühlen, so daß sich der dort
ruhende Schlamm zusammen ballte und als „hoher
Hügel" oder als „Flammeninsel" bei Hermopolis aus j
den Fluten auftauchte. Dieser Urgott Amun, der Ur- '
heber der Weltänderung, die das Ende des Urzustandes
bedeutete, dessen Produkt der neugeschaffene Gott des
Lichtes, der Sonne, war, wuchs mit dieser zusammen
und trat als Amon-Ra (Amon-re') in die neue Welt
über, um in Theben seit dem Mittleren Reiche hohe Verehrung
zu genießen. Für eine solche Auffassung des
Urgottes Amon spreche auch sein von dem Stamme imn
„verbergen, verborgen" abzuleitender Name, der sich auf
die Unsichtbarkeit der Luft, bzw. des Windes bezöge.

Bei dem Urgotte und dem Gotte von Theben würde
es sich demnach nach Sethe um die gleiche Gestalt han-
dein, nicht um zwei homonyme, ursprünglich geschiedene
Gottheiten, die sich erst im Laufe der Zeit gegenseitig
beeinflußten und kreuzten, wie dies in Ägypten bei
dem Mangel einer dogmatisch festgelegten Religion
mehrfach geschehen ist. Den Gang der Arbeit des Verf. ;
im Einzelnen zu verfolgen, ist an dieser Stelle nicht
möglich. Er bespricht die in Betracht kommenden
Stellen in kritischer Weise und gewinnt auf diesem
Wege wichtige Anhaltspunkte für eine eingehende Mo- !
nographie eines der Hauptgötter des klassischen Ägyp- i
tens. Daneben erörtert er eine Reihe sonstiger mit dem j
Hauptthema in Verbindung stehender Lehren, vor allem '
aus den Gedankenkreisen von Theben und Hermopolis
und fördert auch in dieser Beziehung die ägyptische
Religionsforschung. Aus seiner Auffassung des Amon
als dem schöpferischen Lufthauch über dem Urgewässer,
der dann zu einer geistigen Gottesvorstellung wurde,
sucht er weitergehend Schlüsse auf einen Zusammenhang
dieser Gestalt mit der hebräischen Vorstellung
von Jahwe als dem Hauche Gottes über dem Wasser
zu ziehen.

Bonn._ a. Wiedemann.

Adler, Maximilian: Studien zu Philon von Alexandreia. Breslau
: M. u. H. Marcus 1929. (VII, 102 S.) gr. 8°. RM 6—.
Das Corpus dieser Schrift behandelt „die literarische
Form allegorischer Erklärung in Philon's Genesiskommentar
" (S. 1—67). Der Verf. will unsere
Einsicht in die Komposition der Philo'nischen Traktate

zur Genesis dadurch fördern, daß er die Frage erörtert,
ob in diesem langen Genesiswerke eine Entwicklung der
allegorischen Erklärung oder eine Änderung in dem Aufbau
der einzelnen Schriften, ein Wechsel der Stilform,
eine Benutzung anderer Quellen beobachtet werden
könne. Zu diesem Zwecke analysiert er zunächst einmal
die Typen Philo'nischer Kommentierung, nämlich
zunächst drei einfache Formen: knappe Worterklärung
(A), Erklärung mit Zitierung anderer Bibelstellen und
Begründung (B), ausführliche Entwicklung philosophischer
Begriffe, ohne Verwendung von Bibelzitaten (C)
und zwei Mischformen: Philosophische Ausführungen
mit Zitierung anderer Bibelverse (D) und eine Erweiterung
von B, wobei die Erläuterung anderweitiger
Bibelstellen sich zu einer Einlage auswächst (E). Von
A, B, C unterscheiden sich die Typen D und E durch
Anwendung stark rhetorischer Darstellungsmittel. Es
charakterisiert den Stil Philo's nun die Feststellung,
daß die Typen A und B nur in legum allegoriae I vorkommen
, daß also leg. all. II und III lediglich Mischungen
von C, D, E aufweisen. Der Exeget wird also
immer breiter, der Kommentar geht in eine Aneinanderreihung
philosophisch-exegetischer Traktate über, was
übrigens auch für die weiteren Bücher gilt.

Die weiteren Untersuchungen umfassen die Traktate
De Cherubim etc. bis zu De ebrietate. Hier wird überzeugend
gezeigt, daß die heutigen Überschriften keineswegs
der ursprünglichen Anlage entsprechen. Der Traktat
De Cherubim, der die Verse Gen. 3,24. 4, 1 behandelt
, muß dem fünften Buch der leg. all. angehören —
Buch IV müßte dann den Versen Gen. 3, 20—23 gewidmet
gewesen sein. In Teil 2 (§ 40 ff., Erklärung von
Gen. 4, 1) tritt eine neue stilistische Form auf, der
lose eingefügte Exkurs, die auch im folgenden Buche,
De Sacrificiis Abelis et Caisin, das Buch VI der leg. all.
formt, als regelrechte Diatribe auftritt. In Quod deterius
potiori insidiari soleat emanzipiert sich der Autor noch
stärker von den Worten der Genesis und von den Formen
eines Kommentars. Wenn nicht ein Kommentar zu
Gen. 4, 5—7 verloren gegangen ist, würde dieser Traktat
ursprünglich Buch VII der leg. all. gewesen sein.

Was die folgenden Traktate De gigantibus und
Quod deus sit immutabilis angeht, so haben schon Cohn
und Wendland den Nachweis geführt, daß sie ursprünglich
ein einziges Buch gebildet haben. Adler erhärtet
diese These durch neue Argumente. Das Gesamtbuch
ist die erste Schrift, die nicht mehr den leg. all. zugeordnet
ist. Sie unterscheidet sich von den vorangegangenen
Büchern auch durch noch größere Emanzipation
vom Bibeltext; es überwiegt in ihr Typus E. Die schriftstellerische
Selbständigkeit steigert sich in De agricul-
tura und De plantatione, zwei wiederum zusammengehörigen
Schriften, die, wie schon Wendland richtig erkannt
hat, ursprünglich De agricultura I und II betitelt
waren. Von „De plantatione" ist freilich der letzte Teil
(§ 139—177) abzutrennen: es ist der Anfang zur Abhandlung
de ebrietate, und zwar zu Buch I! Gegen die
communis opinio weist nämlich A. unwiderleglich nach,
daß unser Traktat de ebr. Buch II darstellt (vgl. § 1).

So stellt die Schrift Adler's eine wesentliche Förderung
unserer Einsicht in die Komposition der Philo-
nischen Traktate dar. In der Bestimmung der ursprünglichen
Anlage der Traktate scheint mir der Verf. Endgültiges
gesagt zu haben. Dagegen ließen sich die Ausführungen
über die Stiltechnik Philo's wohl noch weiter
vertiefen. Insbesondere wäre noch zu untersuchen, ob
die fünf Typen richtig unterschieden sind, d. h. ob hier
nicht zu viel differenziert wird. Dabei wäre die Untersuchung
der Typen A und B, wie der Verf. schon andeutet
, auch auf die Quaestiones in Gen. und in Exod.
auszudehnen .

Im zweiten Teil (S. 73—101) liefert A. noch eine
Reihe von textkritischen Konjekturen zu den behandelten
Traktaten, einschließlich De sobrietate.
Kiel. H. Windisch.