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Ausgabe:

1930 Nr. 21

Spalte:

493-496

Autor/Hrsg.:

Schumann, Friedrich Karl

Titel/Untertitel:

Der Gottesgedanke und der Zerfall der Moderne 1930

Rezensent:

Seeberg, Reinhold

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 21.

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Religion möglich ist" 32. Weil alles Allgemeine nur
im Konkreten wirklich ist, darum „ist die christliche
Religion nur in ihren geschichtlichen Besonderungen
faßbar" 32, nämlich in den beiden Typen: das
griechisch-orthodoxe und das abendländisch katholischprotestantische
Christentum. „Das Abbiegen ins Magische
(Inkarnationsidee) ist hier durch eine dynamisti-
sche Metaphysik und durch ein funktionales Denken
vermieden", wird vom Protestantismus gesagt 44.
Das vierte Kapitel ist überschrieben „Der Sinn der Geschichte
und das Christentum". Vom „historischen Entwicklungsbegriff
aus gewinnt man einen Einblick in den
transzendenten Charakter der Geschichte überhaupt" 51.
Die Juden haben „die Idee der Offenbarung" entdeckt,
„die dazu anleitet, die Vergangenheit als bewegte Entwicklung
und damit als Geschichte anzusehen" 55.

Offenbarung geschieht dort, wo „das Transzendente
normgebend in das Werden" eingreift 55. „Wenn
der Mvthus (N.B. das christliche „Dogma ist der auf
die Geschichte bezogene Mythos") die Transposition
des ursprünglichen Seelenlebens in das Reich objektivierter
und dramatisch bewegter Gestalten ist, so ist die
Geistesgeschichte der Weg der Wiedergewinnung dieser
objektivierten Gestalten für die Entfaltung des subjektiven
Bewußtseins" 60. Zuletzt taucht die Frage nach
dem Grund der Religion und nach dem Recht des
Gottesglaubens auf, also die eigentlich theologische
Frage. „Die Antwort auf diese Frage würden wir in
folgender Richtung suchen. Es ist im Grunde das
Irrationale im persönlichen und geschichtlichen Leben,
das uns nötigt an Gott zu glauben" 73. „Die Bedeutung
des Christentums für die Geschichte" wird in vier Ideen
gesehen: erstens daß „vom Transzendenten aus sich der
Sinn von Gut und Böse erschließt"; „sodann hat das
Christentum der Menschheit den Gedanken vermittelt,
daß Gott der Herr und Gestalter der Geschichte ist"
64. „Ferner hat das Christentum den großen Gedanken
aufgedeckt, daß das Individuelle und Konkrete Träger
der Geschichte ist" — „Gottes Sein kann nicht an sich,
sondern nur in der von ihm gewollten geschichtlichen
Begrenzung und in den Kategorien unseres Bewußtseins
erkannt werden" 67. Und endlich: „Von diesem Gedanken
aus kann man sich auch der Idee der Eschato-
logie bemächtigen". „Das Gesetz göttlichen Wirkens
im Gegensatz auf den Kosmos angewandt, das ist die
Idee der Eschatologie" 68. Und damit wissen wir auch
darüber Bescheid, was von einer „Theologie der Geschichte
des Christentums" zu erwarten ist.
Zürich. Bstfl Brunncr.

Schumann, Prof. D. Dr. Friedrich Karl: Der Gottesgedanke
und der Zerfall der Moderne. Tübingen: J. C. B. Mohr 1929.
(XI, 380 S.) gr. 8°. RM 16-; Keb- 10

Ich habe dieses Buch mit großem Interesse gelesen
und bitte den Verfasser zu entschuldigen, daß ich
erst jetzt zur Niederschrift dieser Anzeige komme. Die
Bedeutung des Buches besteht darin, daß es einen vorzüglichen
Einblick gewährt in die Stimmung einer nicht
geringen Zahl der jüngeren Vertreter der systematischen
Theologie, und daß ein energischer Versuch gemacht
wird, an einer Hauptlehre in sorgfältiger und eigenartiger
Entwicklung die neue Richtung durchzuführen, ohne
daß man dabei durch allerhand Schlagworte und Para-
doxien beständig gestört wird.

Überblicken wir zunächst in den Hauptzügen den
Inhalt des Buches. Die evangelische Kirche der Gegenwart
will wirken. Sie wird daran vor allem verhindert,
weil ihr eine geeignete Theologie fehlt. Seit Schleiermacher
herrscht eine mystisch-idealistische Theologie,
darüber ist uns Luther verloren gegangen. Der Grundschade
in der neueren Theologie ist die Herrschaft des
philosophischen Idealismus, der bestimmt wird als Annahme
der wesenhaften Identität der Menschenvernunft
mit der absoluten Vernunft. Die Herrschaft der idealistischen
Erkenntnistheorie macht dies aber notwendig. Nun

ist dieser Idealismus aber auf der ganzen Linie im
Rückzug begriffen, weil er den mannigfachen Aufgaben
der Gegenwart nicht gewachsen ist. Er hält sich eigentlich
nur noch in der Theologie, welche er freilich in
; seinen Untergang mit hereinzieht. So ist die eigentliche
: Aufgabe der Zukunft, die Theologie auf eigene Füße zu
stellen und sie aus ihrer Umspinnung durch die Fäden
( des Idealismus zu lösen. Diese Grundgedanken werden
durch kritische Auseinandersetzungen mit verschiedenen
Werken veranschaulicht. So zeigt der Autor in eingehender
Analyse an Euckens Religionsphilosophie, daß
der Idealismus für wertvolle religiöse Gedanken schließlich
selbst bei dem Christentum Anleihe machen
muß. — Der Verfasser wendet sich darauf in ge-
; nauer Auseinandersetzung der Religionsphilosophie von
i Troeltsch und R. Otto zu. Er legt dar, warum der
| Troeltsch'sche Versuch hat zusammenbrechen müssen
' und vertritt die Anschauung, daß auch Otto immer wie-
: der die von ihm analysierten religiösen Gemütszustände
; aus der ihnen eigenen Irrationalität in das Gebiet des
Rationalen hinübergleiten läßt und damit die von seinen
eigenen Voraussetzungen geforderte Eigenart des Religiösen
verdirbt.

Näher steht der Verfasser einer Anzahl von anderen
Theologen (Schäder, Heim, Barth), welche die
volle Selbständigkeit der Theologie wahren wollen.
Aber auch ihnen macht er zum Schluß den Vorwurf,
daß sie die idealistische Erkenntnistheorie auf ihre Ge-
! dankenbildung trotz alles inneren Widerstrebens einwirken
lassen. So kommen sie durchweg zu dem
„nicht gegenständlichen Gottesbegrif f".
Die Kritik, welche der Verfasser hierbei besonders gegen
Barth, dessen Unternehmen ihm sonst durchaus sympathisch
ist, richtet, ist in mancher Hinsicht lehrreich.

Aus dieser sehr eingehenden kritischen Grundlegung
ergibt sich dann für Schumann das Resultat, daß
die Theologie von der Philosophie völlig befreit werden
muß. Das hat freilich nicht den Sinn, als wenn der
Theologe die zeitgenössischen Philosophen ignorieren
dürfe. Er soll aber auf Grund eigener Prüfung nur das
aus der Philosophie aufnehmen, was für ihn als Theologen
brauchbar ist. Hier greift nun die Philosophie
Rehmkes in interessanter Weise in die Schumannsche
Gedankenentwicklung ein. Von einer Aktivität des Denkens
darf nicht die Rede sein, denn das Erkennen ist
ein „beziehungsloses Haben", nicht aber eine Art mystischer
Selbsterkenntnis. Das Subjekt produziert nicht
das Gegebene, sondern das Gegebene ist eben gegeben.
Indem dies auf das Verhältnis zu Gott angewandt wird,
muß Gott natürlich als aktives Subjekt, das nie zum
Objekt werden kann, angesehen werden. Das setzt aber
voraus, daß Gott zum Menschen wesentlich in einem
Willensverhältnis steht, wie der Verfasser mehrfach mit
großer Energie und m. E. mit Recht betont.

Die positiven Grundzüge der Gotteslehre werden
dann in zwei großen Gedankenreihen dargelegt. Gott
ist Person, sofern er sich als Willen auf den Menschen
bezieht, sich ihm offenbart oder zu ihm spricht. Daher
; ist eine entsprechende Aussage von Gott nur innerhalb
einer solchen persönlichen Beziehung möglich. Gott ist
I Schöpfer, nur nicht im Sinne des Kausalprinzips oder
innerhalb einer durch dies gewirkten einheitlichen Weltanschauung
. Das führt nur zur „Weltanschauungsdichtung
". Die Aussage von Gott als Schöpfer besagt also,
„daß er sich dem Menschen verfügbar macht, der selbst
I über alles verfügt".

Dies kurze Referat gibt keinen Einblick in die
Lebhaftigkeit der Darstellung und die Vielseitigkeit der
Begründung, die der Verfasser seiner Anschauung widmet
. Das Buch macht, wie gesagt, in jeder Hinsicht
einen sympathischen Eindruck. Der Verfasser meint,
„die protestantische Theologie stehe vor der tiefsten
Wandlung, seit dem Beginn ihrer Geschichte". Wenn
hieran etwas richtig sein sollte, so kann man verstehen,
daß die jungen Baumeister auf diesem Gebiet mit be-