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Ausgabe:

1930 Nr. 21

Spalte:

487-489

Autor/Hrsg.:

Althaus, Paul

Titel/Untertitel:

Der Geist der lutherischen Ethik im Augsburgischen Bekenntnis 1930

Rezensent:

Fendt, Leonhard

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 21.

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vom kulturhistorischen Standpunkt immerhin recht lehrreich
sind. Der Kirchenhistoriker wird wenig in ihnen
finden. Die beigefügten Register erhöhen die Brauchbarkeit
dieser wertvollen Veröffentlichung. Wir finden
ein Verzeichnis der Personennamen, der Länder- und
Ortsnamen, der Berufsangaben und ein Sachverzeichnis.
Den Beschluß bildet eine Übersicht über die in den
chronikalischen Nachrichten enthaltenen atmosphärischen
und geophysischen Mitteilungen.
Bernburg. H. Peper.

Althaus, Paul: Der Geist der lutherischen Ethik im Augsburgischen
Bekenntnis. München: Chr. Kaiser 1930. (45 S.)
gr. 8°. = Schriftenreihe d. Luthergesellschaft. Nr. 5. RM 1.40.

Indem Althaus den „Geist der lutherischen Ethik"
im Augsburgischen Bekenntnis sucht, verbindet er schön
die historische Darstellung mit den Gegenwartsfragen.
Und daß die Darstellung in erster Linie die Apologie
zugrunde legt, ist eine willkommene Methode. Handelt
es sich um den „Geist der lutherischen Ethik", so handelt
es sich denn um das Formale der lutherischen
Ethik, nicht sogleich um das Materiale. „Von den Christen
wird nichts besonderes verlangt, das nicht von allen
Menschen verlangt würde." Und es zeigt sich, daß jenes
Formale eben nicht auf „eine Fundierung der philosophischen
Ethik aus dem Gesichtskreis des geschichtlichen
Christentums" (so z. B. RGG. 2 Bd. II Sp. 387)
hinausläuft, sondern zugleich das Ende aller humanen
Ethik ist und die Aufrichtung des strikten Gegenteils.
Dieses Gegenteil wirkt so ausschließlich, daß vor ihm
sogar die katholische Ethik, wenigstens soweit sie in
nominalistischen Bahnen geht, als ein Sonderfall der
humanen Ethik erscheint. So hat die reformatorische
Ethik sich gegenüber überhaupt den Moralismus. An
diesem Moralismus übt das Bekenntnis dreifache Kritik
: von der Anthropologie her (Moralismus ist Illusion
; „was hat der sittliche Idealismus den Menschen
zu sagen, die an dem Problem der Existenz des Menschen
vor Gott kranken, leiden sterben?"); von der
Christologie her (der Moralismus macht Christus überflüssig
; „Christus ist da mit seinem Anspruch, selber
das Problem unseres Lebens erst zu lösen"; der sittliche
Idealismus nimmt Christus nicht ernst); von der
„Theologie" her (Gott gegenüber gibt es nur das „ich
empfange", nicht das „ich gebe", daher ist der Moralismus
, trotzdem er als Religion auftritt, Sünde, Entehrung
Gottes, Angriff auf Gottes Gottheit; „denn Gottes Gottheit
ist, daß er gibt, daß er selbstherrlich und allein
dem Menschen das Leben vor ihm schenkt"). Die Kritik
von der „Theologie" her ist Luthers theozen-
trische Linie („Gerechtigkeit zu verwirklichen" ist ein
schöpferischer Akt, der allein Gott zusteht"; die „Ehre
Gottes"; was Barth als spezifisch altreformiert bezeichnet
, bietet auch das lutherische Bekenntnis); sie
ist die sachlich entscheidende und muß darum der
anthropologischen und christologischen übergeordnet
werden (Stange). Das heißt aber: das Evangelium ist
ursprünglicher als das Gesetz; nicht das Evangelium,
sondern das Gesetz ist infolge der Sünde da; ist da, um
den Menschen wieder zum Evangelium zu bringen.
„Nicht die menschliche Sünde und die Rettung aus ihr,
sondern Gottes Gottheit (d. h. die schlechthinige Un-
bedingtheit seiner Liebe) macht den Angelpunkt wahrhaft
evangelischer Theologie aus", und zwar gerade der lutherischen
. So fällt Tillichs Behauptung dahin, die Rechtfertigung
aus dem Glauben allein sei nur aktuell als Antithese
zur katholischen Gesetzlichkeit; so wird H.W. Schmidt
beigetreten (gegen die „hamartiozentrische" Theologie);
so wird der Praktischen Theologie ein grelles Licht aufgezündet
. — Unchristlich und unreformatorisch ist aber
nicht bloß Gesetz ohne Evangelium, sondern auch Evangelium
ohne Gesetz. Das Evangelium ist das Ende der
humanen Ethik, aber nicht der Ethik überhaupt, sondern
deren wahre Begründung. Der Glaube hat ja wiedergebärende
Bedeutung! Er bringt den heiligen Geist —

j und in diesem schlechthinigen Wunder ein Psychologisches
: der Mensch steht im Heilsglauben vor der
vollen Liebe Gottes, so kommt dem Menschen nun
Freude, Dank, Gehorsam, entspringend aus der Heilsgewißheit
. „Die Triebkraft der reformatorischen Ethik
I ist die Heilsgewißheit." Der Ansicht A. Schweitzers
und vieler anderen, die lutherische Rechtfertigungstheo-
i logie vermöge keine Ethik zu begründen, wird der Satz
j entgegengestellt: die Erfahrung der Liebe Gottes in der
j Heilsgewißheit gebiert die Liebe des Menschen und
gibt damit den Anstoß zu einer nicht endenden Bewegung
des Wirkens („Wunderbarkeit und psychologische
Verständlichkeit schließen sich für die lutherische
Theologie nicht aus"). Daß trotz diesem Ist-Charakter
des Gehorsams der Soll-Charakter besteht, kommt von
der Tatsache, daß der empirische Mensch nicht einfach
identisch ist mit dem Neuen, sondern ebenso mit dem
I „alten Adam"; und nun wird eben der empirische
Mensch, der immer noch die alte sündige Natur an sich
trägt, angesichts dieser Natur zu dem gerufen, was er
durch die Wirklichkeit des heiligen Geistes von Gott
her wesentlich ist: der neue Mensch. Der Imperativ
(bei Paulus und) in der reformatorischen Theologie ist
also selber nicht mehr Gesetz, sondern Evangelium. Der
Halt des Menschen ist nicht mehr seine eigene Aufgabe,
sondern der Halt i s t gegeben, beruht allein in Gottes
Barmherzigkeit. Daraus folgt eine wunderbare „Unbetontheit
der Sittlichkeit"; nicht Leistung, nicht Sichgeltendmachen
, nicht Sicherung des Lebens, sondern „der
: neue Gehorsam" (der Glaube, die Rechtfertigung dau-
I erndes Vorzeichen der Sittlichkeit). „Unbetontheit" ist
nicht Unwichtigkeit, im Gegenteil: a) die Tat aus dem
Glauben hat ihre Stelle in Gottes Reichsgeschichte; b)
der Glaube übt sich im Handeln, das Tun ist die Form,
in welcher der Glaube lebt; c) das Gelingen einer guten
Tat ist ein uns von Gott bereitetes äußeres Zeichen, an
das unser Glaube sich halten darf (Luthers „Erfahrung"
| des Glaubens, nicht der reformierte Syllogismus practi-
| cus). — Mit dem Hineingehören der Glaubenstat in
„Gottes Reichsgeschehen" ist das Thema „Reich Gottes
und Welt" angeschlagen (Sozialethik). Die Ordnungen
der Welt — mögen sie sein, wie sie wollen, und werden
wie immer — sind immer anders als das Reich
Gottes (es gibt keine christliche Ordnung). Aber gerade
in ihrem Anderssein, in ihrem Weltlichsein sind sie von
Gott. Sie sind vorläufig, denn das Reich Gottes wird sie
abtun — aber diese Revolution hat sich Christus selbst
vorbehalten. Sie sind um des Reiches Gottes willen
da; „Gott will durch die Ordnungen der Geschichte die
Geschichte der Menschen erhalten, vor allem damit in
ihr sein Reich an die Menschen herankommen könne".
Darum dienen diese Ordnungen dem geschichtlichen
Miteinanderleben der Menschen und der Predigt des
Evangeliums — und darum ist das Mitwirken an ihnen
Dienst am Leben der Menschen. Reich Gottes bezeichnet
nicht die Materie, sondern den Bestimmungsgrund des
Handelns. Dabei ist der Konservativismus des Luthertums
den Gegebenheiten gegenüber nur relativ, nicht absolut
; es lehnt zwar die christliche Revolution ab,
I den Umsturz im Namen des Evangeliums (oder
auch des AT.), aber es proklamiert: man muß Gott mehr
j gehorchen als den Menschen. Zur Staats- und Sozial-
■ ethik besitzt es in der Schöpfungswirklichkeit, wie
] Gottes Wort sie deutet, im Sinne der Ordnungen selbst,
j im Naturrecht (aber nicht im AT. oder NT.) Normen
für die Änderung des Bestehenden. Während man um
: 1530 die Kritik hauptsächlich an die Kirche richten
i mußte (die Verkennung des Willens Gottes durch die
Kirche war furchtbarer als die durch den Staat jener
Zeit), ist unsere Front heute eine andere: heute gilt
es, Staat und Wirtschaft zu ihrer Theonomie zu rufen.
Gegen die Gefahr, christlich-sozialistischer, christlichpazifistischer
und anderer Kurzschlüsse spricht auch
heute das Augsburgische Bekenntnis das entscheidende
Wort.