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Ausgabe:

1930 Nr. 20

Spalte:

467-470

Autor/Hrsg.:

Thimme, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Augustins Selbstbildnis in den Konfessionen 1930

Rezensent:

Koch, Hugo

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 20.

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stattet sein. Hier macht nämlich der Jesuit d' A1 e s, der Wahrheit
ungetreuer Sohn, bei seiner Anzeige meiner Studie „Adhuc virgo"
(Tübingen 1929) seinen Lesern weis, daß ich meinen ganzen Beweisgang
auf diese beiden Worte bei Irenaus gegründet hätte (S. 534) — als ob
sie dort in der Luft hingen und nicht in sprechenden Vergleichen mit
der „terra adhuc virgo" und mit Eva in ihrem Verhältnis zu ihrem
Manne vorkämen. Kein Wort wird ferner davon verraten, daß Tertullian,
der die äsutarjfjEvia offenkundig nicht kennt, sich deutlich in seinen
Äußerungen von Irenäus abhängig zeigt, daß bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts
die abendländischen Kirchenschriftsteller zwar im Zusammenhang
mit der Geburt Jesu von der „Jungfrau Maria" sprechen, aber
nie von einer immerwährenden Jungfrauschaft Mariens, daß bei der
Umdeutung von Mt. 1,25 der Hebel bald bei „cognoscere", bald bei
„donec" angesetzt wurde, daß Lk. 1, 34 im Osten bis Gregor von Nyssa,
im Abendland bis Augustin nicht auf die Zukunft, sondern nur auf die
Gegenwart bezogen wurde, u. s. w. Wie wenig der übelgesinnte „Berichterstatter
" meine Untersuchung auch nur gelesen hat, verrät er mit
der Bemerkung, er wisse nicht, nach welchen Quellen ich in „Wilhelm
Herzog" den bekannten Theologen Turmel erblicke, obwohl ich diese
Quelle S. 5 f. A. 1 angegeben habe. — Aber das muß an den französischen
und überhaupt an den außerdeutschen Berichterstattungen rühmend
anerkannt werden, daß sie auch über deutsche Arbeiten rasch unterrichten
, meistens viel rascher, als dies in deutschen Zeitschriften geschieht.
München. Hugo Koch.

1. Thimme, Prof. D.Wilhelm: Augustins Selbstbildnis in den
Konfessionen. Eine religionspsycholog. Studie. Gütersloh: C.
Bertelsmann 1929. (III, 112 S.) gr. 8°. = Religionspsychologie,
H. 2. RM 4 — .

2. Jonas, Hans: Augustin und das paulinische Freiheitsproblem
. Ein philosophischer Beitr. z. Genesis d. christl.-abendländ.
Freiheitsidee. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1930. (79 S.)
gr. 8°. RM 6.50.

1. Thimme, der sich schon in mehreren Untersuchungen
mit dem Entwicklungsgang und der Persönlichkeit
Augustins beschäftigt und als guten Kenner
dieses Kirchenvaters erwiesen hat, führt dieselbe Aufgabe
nochmals an der Hand der Confessiones durch,
nach den Richtlinien, die die neueste Religionspsychologie
für derartige Untersuchungen aufgestellt hat. Und
zwar hat diese Aufgabe zwei Seiten. „Einmal gilt es,
unter kritischer Prüfung alles Einzelnen den hier [ in den
Confessiones] dargestellten religiösen Werdegang nachzuzeichnen
und verständlich zu machen, und sodann das
Ergebnis dieses Werdens als ein eigenartiges, lebendiges
Ganzes in seiner Einheit und [ in ] seinen Spannungen
nachfühlend sich zu vergegenwärtigen. Es handelt sich
also zunächst um eine genetische, darauf [um eine]
phänomenologische Betrachtung" (S. 7 f.). So zeichnet
also Th. zuerst Augustins religiös-sittlichen Werdegang:
die Eltern nach ihrer mutmaßlichen rassischen Abstammung
und Veranlagung und deren Nachwirkungen beim
Sohne, Augustins Kindheit und Jugendalter, die „erste
Bekehrung und ihre Folgen", nämlich den tiefen Eindruck
, den Ciceros Hortensius auf den neunzehnjährigen
Jüngling machte und der in Verbindung mit der Lesung
der hl. Schrift zu seinem Eintritt bei den Manichäern
führte, weiter seine Erfahrungen im Manichäismus während
seiner neunjährigen Zugehörigkeit, den Einfluß des
Bischofs Ambrosius und seine Wirkungen, die Geistessonne
, die ihm durch Plotin aufging, endlich den Durchbruch
, der ihn zur Taufe trieb. Behutsam und vorsichtig
schreitet die Untersuchung vorwärts unter Aufgebot
feinen seelenkundlichen Verständnisses. Der Widerspruch
zwischen Augustins Darstellung in den Confessiones
und seinen Erstlingsschriften wird jetzt (S.
41 f.) unumwunden als ein „größtenteils nur scheinbarer
" erklärt, andererseits aber doch wieder festgehalten
, „daß die Darstellung der Konfessionen, die nun
einmal behaupten, daß sogleich mit den neuen Intuitionen
klare Erkenntnis und zweifelsfreie Gewißheit erlangt
[worden] sei, unvollständig und in dieser uneingeschränkten
Form nachweislich unrichtig ist" (S. 43).
In Augustins Gebet in seinen Soliloquien „ist doch
schon christlicher Geist eingeströmt" (S. 63 f.). Mit
Recht wird dem durch Plotins Schriften hervorgerufenen
„intuitiven Erlebnis" Augustins die eigentliche „ekstatisch
-visionäre" Art abgesprochen (S. 43 ff.), wenn

schon es „von einem Hauch des Visionären und der
Ekstase umweht war" (S. 47). Nebenbei bemerkt: S.
46 A. 3 macht Th. treffend auf das zurückhaltende
quae (dulcedo) si perficiatur in me (Conf. X, 40, 65)
aufmerksam — man denkt aber dabei unwillkürlich an
das ebenso vorsichtige „wenn überhaupt einer das
Wesen im Adyton schauen wird" bei Plotin Eon. VI,
9, 11. Das „tolle, lege" faßt Th. ansprechend als „unwillkürliche
wünsch- und phantasiebedingte Umdeutung
zufälliger Töne oder Geräusche, wie der Reisende in der
Bahn aus dem Räderrollen bisweilen geradezu aufdringlich
bestimmte Worte oder Silbenfolgen heraushört
" (S. 53). S. 57 ff. wird auch die Frage der unbewußten
Umstände bei Bekehrungen nach der „Tiefenpsychologie
" von James und Starbuck erörtert, S. 66 ff.
die „Zweigipfligkeit" der Bekehrung Augustins (die
Erkenntnis- und die Willensseite) nach Girgensohn.
Mit M. Peters die Plotin-Lesung und das Gartenerlebnis
als Augustins zweite und dritte Bekehrung zu bezeichnen
lehnt Th. (S. 66, A. 1) als „durchaus sinnlos und aller
pschologischen Vertiefung bar" ab. Dagegen wird der
von M. Wundt aufgedeckte, in Ep. 21 hervortretende
Wendepunkt in Augustins Entwicklung bei Übernahme
der Priesterwürde anerkannt im Sinne einer „Vertiefung,
bei der ohne Frage die religiöse Flut neu aufgerührt
wurde". So erhalten wir dann in der Tat „die drei-
gipflige Kurve der Starbuckschen Religionspsychologie"
(S. 70). S. 18 wird mit Recht bemerkt, daß Augustins
Ehrgeiz stets nur darauf gerichtet war, zu glänzen, gelobt
und bewundert zu werden, nicht aber aufs Herrschen
, da der „Wille zur Macht" bei ihm niemals sonderlich
stark entwickelt war. Ebendarum erscheint es
mir aber zweifelhaft, ob in Mailand gerade „die Tatsache
, daß sich in Ambrosius die aufstrebende Macht
der Kirche mit ihrem aus dem Quell altrömischen
Imperialismus gespeisten Weltherrschaftsanspruch imponierend
verkörperte" (S. 33), auf Augustin so großen
Eindruck gemacht haben sollte. Hat er doch eigentlich
die politische Macht der Kirche nie sonderlich betont,
auch nicht in de civitate Dei. Daß ihm aber die Geistesmacht
der Kirche in dem großen Mailänder Bischof
achtunggebietend vor Augen trat, steht außer Zweifel.

Auch der zweite Teil geht seelenkundlich zu Werke
und sucht „Augustins Religion als einen bestimmten
Typus, als individuelle Ausprägung der allgemeinen
christlichen Religion zu beschreiben, in der wiederum
Grundzüge der Religion überhaupt zur Geltung kommen
müssen" (S. 71). Es wird zuerst gezeigt, wie Augustin
das Allgemeingiltige, namentlich das „Urdatum
aller Religion", das, was R. Otto das „Numinose"
nennt, tief und rein erlebt hat. Seine Sonderart aber wird

j unter den Betrachtungspunkten „Eros" und „die beiden
Hauptkomponenten" (nämlich Piatonismus und katholisches
Christentum) zu erfassen gesucht. In jener Hinsicht
erblickt Th. in Augustins religiöser Haltung einen
eigenartigen Verschmelzungsvorgang, wobei platonischer
„Eros" und „christliche Agape" zusammenfließen (S.
82). S. 83 ff. geht er auch auf die psychoanalytische
Zergliederung seines Seelenlebens durch Werner Achelis
ein, ohne ihr ganz zuzustimmen, aber auch ohne sie
ganz zu verwerfen. Gleichgeschlechtliche Untergründe
aber werden mit Recht entschieden abgewiesen und
vollends wird die verfängliche Stelle Conf. III, 1, 1 mit

| zutreffenden Gründen nicht von einer solchen Betätigung
verstanden. Vielleicht könnte nur noch darauf hin-

| gewiesen sein, daß Augustin selber in Retract. II, 32, 2,
wo er die überschwänglichen Worte am Schluß von
Conf. IV, 6, 11 über seine Trauer beim Tode eines
Jugendfreundes tadelt, dies nur deshalb tut, weil sie ihm
jetzt mehr als declatnatio levis denn als gravis conjessio
erscheinen. Von den „beiden Hauptkomponenten" aber
ist der Piatonismus „vorwiegend Fassade", während die
Seele christlich ist (S. 100). Zum Schluß wird noch
der einzigartige Spannungsreichtum in Augustins Frömmigkeit
hervorgehoben.