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Ausgabe:

1930 Nr. 19

Spalte:

450-455

Autor/Hrsg.:

Ölsner, Willi

Titel/Untertitel:

Die Entwicklung der Eschatologie von Schleiermacher bis zur Gegenwart 1930

Rezensent:

Steinmann, Theophil

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 19.

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innerlichen Maßstab des wahrhaft Religiösen mit sich
bringt" (58) — auf der andern Seite vollzieht sich dabei
zugleich „eine Reinigung des subjektiven Faktors der
Wesenserkenntnis durch immer neue Vertiefung in die
geschichtliche Überlieferung" (60). Der „Maßstab", den
wir anwenden, ist also „in beständiger Bewegung". So
aber entspricht es grade dem Wesen des Christentums,
sofern „das Moment der aktiven Selbstdurchsetzung" „in
freier schöpferischer Kraftentfaltung mit zu diesem Wesen
gehört" (61).

Wir finden aber dies Grundwesen des geschichtlichen
Christentums nicht in der ganzen Breite
seiner vielgestaltigen geschichtlichen Entfaltung, sondern
in der Persönlichkeit Jesu. Ihr gegenüber vollzieht
sich jener Akt „des Wiedererkennens". „Somit
hängt der Absolutheitsanspruch des Christentums . . .
mit der Person Jesu auf das engste zusammen" (72);
und alle weitere Gestaltung des Christentums nimmt
an diesem Absolutheitscharakter in dem Maße Teil, als
sie in einem nicht nur Möglichkeits-, sondern Notwendigkeitszusammenhang
hiermit steht. Unter diesem Gesichtspunkt
durchmißt Sch. das ganze Gebiet des geschichtlichen
Christentums in seinen charakteristischen
Ausgestaltungen: Johannesevangelium, Paulus Katholizismus
, evangelisches Christentum; bei Paulus —
um aus der Fülle der interessanten und anregenden
Auseinandersetzungen doch wenigstens dies Eine herauszuheben
— mit dem Resultat, daß „der Heilsweg
des Theologen Paulus" nur als ein möglicher
Weg anerkannt werden kann", nicht aber
„zu der einzigen Möglichkeit der Heilserlangung"
erhoben werden darf (94). Unter dem Zeichen
der Absolutheit steht diese ganze Geschichte, sofern
„bei allem Abfall in Götzendienst und Verweltlichung
, bei aller Scheinreligion und Veräußerlichung
das Gewissen der Christenheit . . immer wieder . . zu
dem Innerlichkeitscharakter der im Ewigen wurzelnden
Persönlichkeit Jesu sich hingetrieben fühlte" (117), wobei
dies „im Ewigen wurzelnd" nicht im Sinne irgend
einer kirchlich-dogmatischen Lehre zu verstehen ist.

Die zweite zu behandelnde Frage geht dahin, ob
das Christentum d i e absolute Religion sei. Auch hierfür
läßt sich ein von aller innerlich begründeten Verständigung
absehender rein objektiver Beweis nicht erbringen.
Das dahin gehende empirische Beweisverfahren des exklusiven
Supranaturalismus scheitert daran, daß für die
hierbei vorausgesetzte besondere und alleinige göttliche
Verursachung ein objektiver Beweis nicht erbracht werden
kann. Hegels rationaler Versuch, den exklusiven
Charakter der christlichen Absolutheit dadurch objektiv
sicher zu stellen, daß das Christentum als „die Religion
überhaupt" erwiesen wird, scheitert an der bei
diesem rationalen Verfahren notwendigen Umzeich-
nung seiner charakteristischen Besonderheit in ein begrifflich
Allgemeines. Aber auch Schleiermachers Versuch
, „in der Ebene der Erfahrung und mit Hilfe des
religiösen Bewußtseins" das Christentum als „grade
durch seinen besonderen Spezialcharakter die Universalreligion
" zu erweisen, führt nicht zum Ziel. Die hierbei
entscheidende Erfassung Jesu als urbildlich setzt voraus,
daß im Christen bereits eine Idee der absoluten Werthöhe
der Religion vorhanden ist, an der gemessen das
Christentum als die Religion erkannt werden würde,
deren Werthöhe „wesenhaft nicht überboten werden
kann". Nun ist aber dieser Maßstab kein absoluter resp.
konstanter; es besteht die Möglichkeit, „daß das religiöse
Verständnis noch tiefer" als bis daher in seiner
fortschreitenden Bewußtwerdung am sittlich-religiösen
Grundwesen des Christentums „in das Wesen des Religiösen
eindringt". Ohne daß die göttliche Herkunft des
Christentums damit irgendwie wieder in Frage gestellt
wurde, bleibt darum „grundsätzlich die M ö g 1 i c h k e i t
offen" nicht nur, daß „die Art, wie das Urchristentum
die Idee des Religiösen erfaßte, für eine spätere Menschheitsepoche
. . . überholt erscheint", sondern auch, „daß

die Werthöhe des Christentums von andern Religionen
überboten wird", wobei dieser Möglichkeitsgedanke
nicht mehr sein will als eine „Warnung vor dem vorschnellen
Urteil" auf die jetzt in Frage stehende Absolutheit
(133). Indem wir nicht vom Standort eines
exklusiven Supranaturalismus aus einfach dekretieren,
sondern von der breiteren wirklichen Verständigungsbasis
eines „allgemeinen" oder „übergreifenden" Supranaturalismus
aus ein abschließendes Werturteil über das
Christentum in seinem Verhältnis zu den andern Religionen
zu bilden versuchen, wird dieses Urteil nur dahin
lauten können: „soweit im Menschen der ideale Maßstab
für das wahrhaft Religiöse zur adäquaten Ent-
wickelung gekommen ist, stellt das Christentum die
Idee des wahrhaft Religiösen auf die reinste und tiefste
Weise dar, die das religiöse Verständnis bis jetzt zu
erkennen fähig ist" (149). Dies Urteil wird gewonnen
aus einer vorurteilslosen religionsgeschichtlichen Ver-
gleichung, welche die Mitte hält zwischen „einer maßstablosen
Einfühlung und parteilosen Anempfindung"
und einem von vorne herein gebundenen „konfessionellen
Tendenzstandpunkt, der sich auf die Tatsache einer
Ausnahmeoffenbarung gründet" (164). Zu solchem Vergleich
, der sich darum bemüht, das Andre auch gelten
zu lassen, werden herangezogen „die Höchstform des
Islam" (vielleicht, daß hier das Bestreben, der andern
Religion wirklich gerecht zu werden, dem Islam doch
einiges mehr gibt, als ihm zukommt), „die Höchstform
der jüdischen Religion", (ernstlich als eine eigenartige
Hochreligion verstanden), „die Ideen des Konfuzius
und Laotse", „die Höchstform des Buddhismus".
Wie der erste Teil mit einer Abwertung der verschiedenen
geschichtlichen Ausgestaltungen des Christentums
auf Grunde seiner Wesenserfassung an der Person Jesu
seinen Abschluß fand, so dieser zweite mit einer Abwertung
der außerchristlichen Höchstformen der Religion
nach dem Maßstab der am Christentum verdeutlichten
, ihm aber vorgegebenen Normidee des Sittlich-
Religiösen.

Da ich dem Grundzug der Gedanken Sch.s nur
zustimmen kann, möchte ich zum Schluß dieser Anzeige,
die mit voller Absicht in der Hauptsache lediglich referierte
, nur noch hervorheben, daß es sich in der ganzen
Erörterung nicht um eine Darlegung des Glaubens an
die Absolutheit des Christentums in diesem und jenem
Sinne und seine unmittelbare innere Begründung handelt
, sondern um die Beantwortung der Frage, wieweit
und in welcher Weise der Gegenstand einer wissenschaftlichen
Behandlung zugänglich ist.
Herrnhut Th. st ein mann.

ölsner, Pfr. Lic. Willi: Die Entwicklung der Eschatologie
von Schleiermacher bis zur Gegenwart. Gütersloh: C. Bertelsmann
1929. (116 S.) gr. 8°. RM 3.80; geb. 5—.

Hoff mann, Lic. Georg: Das Problem der letzten Dinge in

der neueren evangelischen Theologie. Göttingen: Vandenhoeck 8c
Ruprecht 1929. (III, 120 S.) gr. 8°. = Studien z. systemat. Theologie
. H. 2. RM 7.20; in Subskr. 20% Ermäßigung.

Gegen eine üblich gewesene Verwischung der
eschatologischen Züge in der Verkündigung Jesu darf
es z. Zt. als ein gesichertes Resultat der Bibelforschung
bezeichnet werden, daß die gesamte neutestamentliche
Frömmigkeit ganz eigentlich im Eschatologischen lebt.
Schon von da her tritt das Eschatologische mit ganz
anderer Wucht der Forderung auch an das dogmatische
Denken heran. Dazu kommt die Erschütterung der gemeinhin
als „Idealismus" bezeichneten, im Gegenwartsbesitz
und im Fortschrittsglauben sich gründenden geistigen
Haltung durch stark hervorbrechende Empfindungen
für die Problemhaftigkeit unserer menschlichen
Gesamtlage; solche Zeiten aber waren 'allemal — nicht
nur auf dem Boden des christlichen Glaubens — Zeiten
der Eschatologie. So steht das Eschatologische gegenwärtig
im Vordergrund des dogmatischen Denkens. Und
neben der Forderung z. B. Wobbermins: Die Eschato-