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Ausgabe:

1930 Nr. 19

Spalte:

445-447

Autor/Hrsg.:

Herrmann, Fritz

Titel/Untertitel:

Die Protokolle des Mainzer Domkapitels seit 1450. Bd. 3, 1. Hälfte 1930

Rezensent:

Schornbaum, Karl

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 19.

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wurden früher evangelisch, die Matrikeln stammen aus
den Jahren 1541, 1557, 1581 und 1600.

Bernburg. H. Peper.

Die Protokolle des Mainzer Domkapitels seit 1450. Bd. 3,

1. Hälfte: Die Protokolle aus d. Zeit d. Erzbischofs Albrecht v.
Brandenburg 1514—1545. In Regestenform bearb. u. hrsg. v. Archivrat
F. Hermann. Paderborn: F. Schöningh 1929. (VII, 508 S.)
4°. = Arbeiten d. hist. Komm. f. d. Volksstaat Hessen. RM 36—
Die historische Kommission für Hessen hat bereits
1908 die Herausgabe der Protokolle des Mainzer
Domkapitels in ihren Arbeitsplan aufgenommen. Die
Vorreformatorische Zeit übernahm Herr Dr. Veit jetzt
in Freiburg i. Breisgau, die Reformationszeit und Gegenreformation
Archivrat Dr. Fritz Herrmann in Darmstadt
. Letzterer ist nun mit seinen Arbeiten zu einem
Abschluß gekommen und bietet uns in dem vorliegenden
stattlichen Bande die Zeit des Erzbischofs Albrecht von
Brandenburg. Er soll die 1. Hälfte des 3. Bandes
bilden.

Ein wörtlicher Abdruck war von vornherein ausgeschlossen
; nur bei besonders wichtigen Beschlüssen
konnte dieser Platz greifen; das meiste wird in Regestenform
geboten. Die umfassende Kenntnis des
Herausgebers ermöglichte die Identifizierung der meisten
Persönlichkeiten. Ein abschließendes Urteil kann
natürlich erst nach Vollendung des ganzen Werkes gefällt
werden; doch kann jetzt schon Folgendes gesagt
werden.

Wer diese Publikation recht werten will, muß sich
die Stellung des Domkapitels klar machen. Seine Befugnisse
auf allen Gebieten wurden immer bei der Erwählung
eines neuen Erzbischofs durch Wahlkapitula-
xionen festgelegt (S. 7). Um dieser Stellung einen
festen Halt zu geben, hatten es alle verstanden, eine
große Reihe von Rechten unter ihre alleinige Hoheit zu
bringen, sodaß sie in diesem Bereiche fast unbeschränkt
herrschen konnten. Das Geistliche trat zurück, die
weltliche Herrschaft in den Vordergrund.

So sehen wir denn auch in den vorliegenden Protokollen
über geistliche Dinge recht wenig mitgeteilt.
Der „cultus divinus" tritt zurück. Es gab Sitzungen, wo
man in dieser Hinsicht gar nichts zu beraten hatte (S.
94. 440). Doch sind gerade diese Notizen von Wert
zur Beurteilung der geistlichen Einstellung der Domherren
. Erwähnt sei die Stiftung einer Prozession an
St. Martinstag (S. 17); die Einführung eines Festes
zu Ehren des heiligen Moriz (149); Reliquien St. Martins
S. 53. Die Notierungen betreffen zumeist den
Gottesdienst und die Haltung der Domgeistlichkeit (cf.
S. 15. 68 u. s. f.). Die veränderte Zernage macht sich
allmählich auch hier bemerkbar. So beschwert sich
der Domprediger Barth. Zehender, daß er durch das
Gehämmer des Wardeins und Goldschmieds am Studieren
gehindert werde „multis persuasionibus verbum
dei praecipuam salutis viam asserens et ubi illud im-
peditur, christianis maxime noxium fore" (S. 56 f. d. a.
1515) und 29. 5. 1529 erlaubt man dem Pf. im Eisenchor
2 Tage in der Woche zum Studium der Predigt
zu verwenden ohne ihm etwas von den Präsensgeldern
abzuziehen (409). Das Messertragen der Domherren
empfand man schon 1528 als unziemlich, wenn auch der
erste Anstoß zur Beanstandung vom Erzbischof ausging
(358). Selten kommt das Domkapitel auf geistliche
Dinge des Erzbistums zu sprechen. Das gehörte
ja zum Ressort des Generalvikariates. Meistens handelt
es sich um Pfarreien, die dem Domkapitel direkt
unterstunden. Neben der Aufsicht auf die Stiftspfarrhäuser
(259, 273. 323), dem Neubau einer Kirche in
Gonsenheim (266) finden wir Nachrichten über die
Exkommunikation von 30 Einwohnern von Hochhehn
(S. 93), Anordnungen für Gebete um Regen (114. 115.
117) und die Feldfrüchte (148); Klagen über die Vernachlässigung
des Gottesdienstes in Odernheim (S. 214),
die Verpachtung der „Pfarrkirche" in Nauheim von

Seite des Pfarrers (107), Unzucht eines Subdiakonus zu
Fritzlar (S. 91), Klagen der Gemeinde Rambach über
den Pfarrer zu Bierstadt wegen Einstellung der Messen
in ihrer Kapelle (201), Nachlaß der Fronleichnamsprozession
(79), Ablaß (96. 97. 108). Nur selten kommt
die Sprache auf die Glaubenserneuerung. Vielleicht
zuerst 10. 10. 1523, wo die in Miltenberg ausgebrochene
Bewegung behandelt wird. Der Scholasticus
darf als vic. in spiritualibus für 14 Tage dahin (256).
' Bedeutungsvoll sind auch die Notizen über die Bewegung
in Mainz selbst 261. cf. S. 267. 270. 272. 274
(Höchst und Gernsheim) 291. 295 (Dr. Eberbach. M.
Endres Meyer und Peter Nödigk). Luther selbst hat
1527 das Domkapitel beschäftigt; es handelte sich um
die Schrift an die Christen in Halle (339. 341. 343.
345). Wichtig sind die Notizen über Capito (185. 203)
und Hedio (224. 254. 258. 266). Das Sakrament im
Eisenchor wird 1528 von 2 Dieben gestohlen, was
auch auf wenig Achtung vor dem „Allerheiligsten"
schließen läßt (S. 388. 390). Der Pfarrer zu Nordenstadt
wandte sich im gleichen Jahre an das Kapitel,
weil der Landgraf von Hessen ihm die Ehe geboten
hatte (351). Man mußte einer Reformation des Klerus
und der Universität zustimmen (344).

Das Domkapitel war ein Staat im Staate selbst.
Die kleinsten bis zu den größten Angelegenheiten wurden
behandelt. So wurde den Kapitularen Buseck und
Biedenfeld Weisung gegeben, nicht mehr den Unrat vor
die Türe zu schütten und den Pferdekot hinweg zu
schaffen (S. 296); andrerseits redete man gewichtige
Worte bei der Bewilligung von Steuern und der ganzen
Rechtspflege der Stiftsuntertanen. Die Besetzung der
Stiftspfarreien, die Angelegenheiten der Stiftsämter in
Zoll- und Geleitsachen, der Verkauf von Fleisch, die
Aufsicht auf das Gewerbe, Bäcker, Metzger, alles unterlag
dem Gutachten des Domkapitels. Doch ging darin
seine Tätigkeit nicht auf. Es wußte seine Stellung gegenüber
dem Erzbischof zu wahren und Einfluß auf alle
Regierungsmaßnahmen zu nehmen. Unendliche Verhandlungen
erforderte die Regelung der Verhältnisse zu Erfurt
, Magdeburg, mit dem Eichsfeld, Franz von Sickingen
, Würzburg. Alle Reichshandlungen, die Packschen
Händel, der schwäbische Bund, der Bauernaufruhr —
beschäftigten eingehend das Kapitel. Allerdings enthalten
die Protokolle oft nur kurze Andeutungen. Dem
Erzbischof war diese Stellungnahme nicht immer angenehm
; aber er konnte dasselbe wegen der Finanzmisere
nicht entraten. Dachte man doch auch hier an das Einschmelzen
von Silber (355. 363) und die Inventierung
der Kleinodien (287. 291). Doch scheute er auch den
offenen Kampf nicht; es kam zuletzt auch zum offnen
Bruch mit dem Stiftsdechanten Lor. v. Truchseß (373.
385. 388. 412. 415. 450. 459). Einmal müssen die Verhandlungen
abgebrochen worden sein, da man nichts
protokollierte (171) (cf. 168. 173 f. 193). Der Kurfürst
erscheint selbst in der Sitzung (410) und nicht leicht
gelang es ihm die Zustimmung zur Aufstellung eines
Coadjutors zu erreichen (462. 467 f. 472). Ihm gegenüber
war das Kapitel einig (24. 33 f. 42 ff.), obwohl es
auch bei ihm nicht an inneren Kämpfen fehlte (25. 27.
60. 61. 246 f. 210. 162).

Daß auf vieles ein neues Licht fällt ist klar; so
wird gleich der Beginn der Protokolle den Gerüchten
über den gewaltsamen Tod des Erzbischofs Uriel den
Boden entziehen.

Etliche Züge wirken erfreulich, so die Behandlung
einer Frau, die einen Selbstmordversuch gemacht hatte
(413) um so erfreulicher, weil von Wohltaten recht wenig
zu lesen ist (S. 58. 113. 396. 345: „getaufte Jüdin");
ebenso nahm man sich um 3 zu Tode gemarterte Einwohner
von St. Johann an (S. 83). Bedeutung haben
die Notizen über Nausea (299. 321. 335), Karl v. Miltiz
(244 ff.), Heiding (498), die Aufnahme von Juden
(191), Orgel und Organist (14. 69. 43. 63. 66. 216.
221. 229. 190), Steinmetz (20. 47), Maler Grünewald