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Ausgabe:

1930 Nr. 18

Spalte:

417-419

Autor/Hrsg.:

Vogelsang, Erich

Titel/Untertitel:

Die Anfänge von Luthers Christologie nach der ersten Psalmenvorlesung 1930

Rezensent:

Scheel, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 18.

418

durch den Schreiber der Vorlage, dem das claudunt ein Omina zu erfordern
schien, während die Stelle ähnlich zu verstehen ist, wie etwa
^ypnan de booo pat. 7 (402, 22 Härtel): etox diem clmlat und ähnliche
Wendungen. S. 16, 21 heißt es in A.: de precepto legis, que iubebat fdios
Israel actxpere uxores singulas de tribu sua, in B.: aecipere vlros slngulos etc.
(und vorher wohl fitta* st. /Utas?). Auch hier scheint die Änderung
na U. durch den Zusammenhang veranlaßt worden zu sein. Jedenfalls I
ist m D. häufig absichtlich geändert worden, aber nicht vom Schreiber !
dieser Handschrift, sondern von seinem Vorgänger. Auch das zeigt, daß !
B._ mit Recht sich an A gehalten hat. Von angezogenen Schriftstellen
M^sfS eiF"Zen: S- 10- 7 1. Cor. 15, 46; S. 90, 25 Mt. 19, 30.
c n 0; nl 3',3 GaL 4' 26- °ffbS- 3, 12. 21, 2; S. 94, 1 2. Cor. 5, 6;
I' ?« ?7k 7 20 ; ,S- 108' 26 ,on- T 24 u. 26 ; S. 122, 30 Gen. 18, 22 ;
, P so atf' (Mt 13> ,K U- 8- 10). dazu Mt. 11, 25 (Lk. 10, 21)
u rs.ou, 8 (dem so schriftkundigen Joachim fließen in einem einzigen
batze tnnneriingen aus mehreren Bibelstellen zusammen); S. 191,18
BenediW ' o J 5 h Cor- 1' 29- S- 89' 29 stammt aus der Regula
H,r w_i! °" ' "nd durch diese Erinnerung wurde schon die Fassung
fnn. aneefuhrten Stelle, [. Cor. 14,30, beeinflußt (die andere Erinnerung
an diese Regula, S. 151,26, hat B. selbt angemerkt).

München. u V

Hugo Koch.

Voge 1 s a ng, Lic. theol. Erich : Die Anfänge von Luthers Christo-
logie nach d. ersten Psalmenvorlesung. Insbesondere in ihren exegetischen
u. svstemat. Zusammenhängen m. Augustin u. d. Scholastik
dargest. Berlin: Walter de Gruyter & Co. 1929. (XII, 184 S.) gr. 8°.
r= Arbeiten zur Kirchengeschichte, 15. RM 15—; geb. 16.50.

Vogelsangs Untersuchung zeugt gleichermaßen von
gewissenhafter und nie ermüdender Sorgfalt in der
Beobachtung der Einzelheiten einschließlich der textkritischen
Fragen wie von der Fähigkeit, in die Tiefe
zu dringen und die großen inneren Zusammenhänge zu
erkennen. Ich zähle sie zu den erfreulichsten Leistungen
in der jüngsten Lutherforschung. Die Aufgabe, die er
sich gestellt hatte, war schwierig genug. Er war auf
eine Quelle gewiesen, die zu klären viel Mühe und
Selbstverleugnung forderte. Denn mit dem im 3. und 4.
Band der Weimarer Lutherausgabe vorgelegten Text ist
herzlich wenig anzufangen, wenn eine minutiöse historische
Untersuchung angestellt werden soll. Ohne solche
Kleinarbeit ist aber das historische Problem, das Luthers
erste Psalmenvoriesung aufgibt, überhaupt nicht
zu lösen. Vogelsang stand also vor einer Quelle, die in
der jedem zugänglich gemachten Form fast unbrauchbar
ist. Ob die Kommission zur Herausgabe der Werke
L.s in der Lage ist, diesen nachgerade unerträglich gewordenen
Zustand in absehbarer Zeit zu beseitigen, muß
wohl auf Grund der bisher gemachten Erfahrungen
bezweifelt werden. Seit einem halben Menschenalter
lähmt dieser Zustand die Forschung. Der Versuch einer
Abhilfe ist aber nicht gemacht worden. Wenn darum
V. die Aufgabe, die er sich gestellt hatte, lösen wollte,
mußte er in einer Person die Arbeit des Herausgebers
und des untersuchenden Historikers vereinigen. Man
sollte freilich dem Historiker dergleichen nicht zumuten.
Vogelsang aber wird man es danken müssen, daß er
dennoch dieser Doppelaufgabe sich unterzog. Um so
mehr, als er sie trefflich durchgeführt hat. Keiner
Schwierigkeit ist er ausgewichen. Alle, auch die kleinsten
Aufgaben, die die Handschrift stellt, hat er aufgegriffen
und geduldig, behutsam und scharfsinnig zu
lösen unternommen. Ich hebe dies um so lieber hervor,
als eine solche gewissenhafte Sorgfalt auch im kleinen
heute nicht selbstverständlich ist. Der Expressionismus
ist ja auch in die historische Forschung eingedrungen.
Vogelsang jedoch hat uns eine musterhafte philologischhistorische
Arbeit geschenkt.

In vier Kapiteln führt er die Ergebnisse seiner
Untersuchungen vor, nachdem er in der Einleitung die
Aufgabe umgrenzt und die quellenkritischen Schwierigkeiten
gezeichnet hat. Das erste Kapitel behandelt Luthers
Verhältnis zur scholastischen Systematik und Exegese
. Sowohl die scholastische Begriffsbildung wie der
■traditionelle vierfache Schriftsinn werden von Luther
vorgetragen, verlieren aber ihre überkommene Geltung.
In. dem durch die Kreuzestheologie vertieften Schrift-
pnnzip, in der Bindung aller Gotteserkenntnis an den
bekreuzigten und durch den Primat des tropologischen

Schriftsinnes wird ein eigener neuer Ansatz für die
Theologie und eine theologisch vorwärts treibende Einheitlichkeit
des vierfachen Schriftsinns gewonnen. Das
zweite Kapitel handelt von Christi Bedeutung in Luthers
Entdeckung des evangelischen Sinnes der Rechtfertigung
. Es beschäftigt sich vornehmlich mit der reformatorischen
Entdeckung. Während L. noch zu Anfang
des Kollegs scholastisch die vergeltende Gerechtigkeit
lehrte, zeigen die Scholien zu Ps. 30 — aber erst sie
— die ernsten exegetischen Schwierigkeiten und die
großen persönlichen Nöte, in die der katholische Goftes-
gedanke ihn führte. Jedoch erst die Scholien zu Ps. 70
und 71 lassen die Wendung erkennen. Sie sind das
früheste Zeugnis von L.s eigener Hand, „in welchem
das Verständnis der iustitia dei in eben der Gestalt erscheint
, in der Luther später so oft den großen Durchbruch
zur evangelischen Rechtfertigungslehre geschildert
hat". Diese Seiten im Dresdener Psalter möchte V. für
einen „unmittelbaren Niederschlag der viel besprochenen
Entdeckung über Rom. 1,17 halten, zum mindesten
aber für ihren sachlich getreuesten theologischen Ausdruck
, der jedenfalls von allen wirklich eindeutigen Aufzeichnungen
Luthers dem Ereignis zeitlich am nächsten
steht" (S. 59). Etwa im Herbst 1514, als L. bei Ps.
70/71 stand, ist also nach V. der reformatorische Durchbruch
erfolgt (S. 57). Das 3. und 4. Kapitel entwickeln
nun in der Hauptsache den mit der neuen Gotteserkenntnis
zusammenhängenden christologischen Tatbestand, die
Anschauung von Christi Person und Werk, d. h. die
neue Theologie des Kreuz.es und das Verhältnis Luthers
zum christologischen Dogma, d. h. die vorwiegend
offenbamngsgeschichtliche Deutung der begrifflich
korrekt behandelten Trinität und ewigen Gottheit Christi
sowie die Überwindung der naturhaft dinghaften Auffassung
der „zwei Naturen" Christi. Vogelsang schließt
mit einem Rückblick auf die Fortschritte L.s in der
Psalmenvorlesung, auf das durch die Entdeckung über
die iustitia dei verursachte große Umlernen in der Anschauung
vom Verdienst und der Alleinwirksamkeit der
Gnade, von Glaube und Buße, von Kreuz und Gericht,
von Gesetz und Evangelium. Unfertig ist freilich noch
viel. Aber dennoch kann V. mit Holl hervorheben,
daß in der Psalmenvorlesung schon der ganze Luther
steckt.

Das ist richtig. Und was V. in den zwei letzten
Kapiteln über das christologisch-tropologische Prinzip
der Psalmenvorlesung ausführt, über die Theologie des
Kreuzes, über das Büß- und Gnadengericht, das in der
Sendung Christi offenbar wird, über die von Holl nicht
beachtete christologische Begründung der Lehre vom
opus alienum dei — um nur dies zu nennen — halte ich
für bleibend wertvoll. An diesen beiden Kapiteln kann
die Forschung nicht vorbeigehen. Sie werden, wie ich
überzeugt bin, den immer noch möglich gewesenen
Versuchen den Boden entziehen, in der Psalmenvorlesung
eine noch quasi-vorreformatorische, bis ungefähr
1517 währende Übergangstheologie zu entdecken, in der
die katholische Büß- und Gnadenauffassung noch einen
eigenen Platz habe und die vornehmlich sich als humi-
litas- und crux-Theologie darstelle. Die Theologie des
Kreuzes ist des Reformators Theologie geblieben. Sein
monumentales Bekenntnis zur Kreuzestheologie in der
zweiten Psalmenvorlesung ruht auf dem in der ersten
Psalmenvorlesung gelegten Grunde und ist auch in den
späteren Jahren nicht verlassen worden. Vogelsangs
Untersuchungen werden, wie ich hoffe, die erwünschte
Klärung bringen.

Sehr zweifelhaft ist mir aber, ob seine Auffassung
vom Zeitpunkt der reformatorischen Entdeckung sich
durchsetzen wird. Mich wenigstens hat V. nicht überzeugt
. Seine Auslegung der Scholien zum 30. Psalm erscheint
mir gekünstelt oder überscharfsinnig. Keinem
seiner Argumente kann ich zustimmen. Ich sehe vielmehr
in diesen Scholien das neue Verständnis der
iustitia dei schon bestimmt entwickelt. Nach Vogelsang