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Ausgabe:

1930 Nr. 17

Spalte:

407-408

Autor/Hrsg.:

Schlatter, Adolf

Titel/Untertitel:

Sechs Predigten 1930

Rezensent:

Goltz, Eduard Alexander

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407

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 17.

408

wenn unsre Erkenntnis immer nur ein kleines Stück ! nissen freuen, wer ihn nicht kennt, wird ihn schätzen
bleibt). Das setzt eigentlich eine neue, von dem mo ! lernen.

dernen Gedanken von der Gesetzgebundenheit aller
Dinge bestimmte Konzeption von Gott voraus: der
Gott der Liebe muß als eins verstanden werden mit dem
Gott des „Gesetzes", nicht nur des „Sittengesetzes" sondern
des Gesetzes des tiefst persönlichen, göttlichmenschlichen
Geschehens oder des Geschehens, wodurch
Gott die Grenze zum Menschlichen und der Mensch die
Grenze zu Gott durchbricht. Die Gesetzmäßigkeit dieses
Geschehens von Gottes Seite fordert die Versöhnung.
Aber darum ist sie auch von der Seite des Menschen
gefordert. Sie ist „psychologisch" notwendig. „No

Bei Joh. Eger lernen wir den christlichen Großstadtprediger
kennen. Das ist nicht so gemeint, daß
großstädtische Sensation in den Vordergrund trete. Aber
vom Evangelium aus schärft er das innere Gewissen
seiner Hörer, fördert tatkräftiges Christentum „das Gewissen
und die Gewissenhaftigkeit sind des Menschen
allerhöchste Kraft", und „in der wunderbaren Parodoxie
der Kraft des Kreuzes, der Gotteskraft in menschlicher
Schwachheit, liegt das Geheimnis evangelischen Wesens
". Besonders fein ist auch die Totenfestpredigt über
das „Vergeben". Man wird in angenehmster Weise an

sinner therefore can rest content with forgiveness made I die Dryandersche Predigtweise erinnert,
easy, or by an atonement which costs nothing." Nicht nur die umfangreichste, meiner Empfindung

So erweist sich die objektive Versöhnung zuletzt auch die am meisten packende dieser drei Predigtsamm-

als eins mit der subjektiven. Sie ist eine Notwendigkeit I lungen ist die von Karl Heim. Biblisch, lebensvoll,

sowohl von Seiten Gottes wie von Seiten des Menschen, i reich illustriert, in fesselnder Sprache, mit reichen,

Uppsala. Arvid Runestam. , jedem Zuhörer verständlichen Erzählungen, die doch

Schlatter, Prof. § D. jAdolf: Sechs Predigten. Tübingen:
Osiander'sche Buchhandlung 1926. (71 S.) kl. 8°. [RM 1.50.

Eger, Johannes: Von Gottes Kraft und Gnade. Predigten.
Leipzig: M. Heinsius 1925. (47 S.) 8°. RM 1.25.

Heim, Karl: Stille im Sturm. Predigten. Tübingen: Osiander
'sche Buchh. 1925. (210 S.) 8°. geb. RM 3.60.

Drei kleine Predigtsammlungen kommen hier leider
sehr verspätet zur Anzeige. Ich will den Leser nicht grade denen empfehlen, die meinen, wir Theologen von

dem Hauptgedanken dienstbar bleiben, weiß Heim immer
zur tiefsten Stille mitten im Sturm des wirklichen Lebens
zu führen. Diese Predigten sollten in einem homiletischen
Proseminar besprochen werden, damit auch
junge Prediger davon lernen. Überall ist auch eine klare
Einteilung ohne jede Schulmeisterei dem Hörer eine
Hilfe. Überall hohe Kunst, die doch als natürliche Einfachheit
empfunden wird. Man möchte diese Predigten

mit Entschuldigungsgründen aufhalten, warum die An- heute könnten nicht mehr natürlich reden. Es sind

zeige so spät erfolgt. Ist es zu spät? Der Name der : wirklich volkstümliche Predigten von einem, der an
Verfasser nicht nur, auch der wertvolle Gehalt bezeugt andrer Stelle auch in der schwierigsten Dialektik zu

den bleibenden Wert. Welchen bleibenden Wert haben , Hause ist.

gedruckte Predigten? Sie sind ein bleibendes Zeugnis i Greifswald. Ed. von der Goltz,

von Gottes Wort in der Gestalt von Reden von

Gottesmännern, die noch unter uns wirken und zur Denkmäler altrussischer Malerei. Russische Ikonen v. 12.—18.
Gegenwart reden, zu der Gegenwart, die unter den be- i Jahrh. Aussteiig. d. Voiksbildungskommissariats d. RSFSR u. d.

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sondern Nöten der Nachkriegszeit lebt. Sie sind eine
wertvolle Erinnerung an das lebendige Wort für die,
welche diese Predigten hören durften. Sie sind aber
auch eine Anregung für die, welche die Kunst erst

Dtschn. Gesellsch. z. Studium Osteuropas. 3. Aufl. Berlin: Ost-
Europa Verl. 1929. (38 S. m. Abb.) Kr. 8". RM 1.80.

Die russische Ikonen-Ausstellung im Frühjahr 1929
war auch für viele Kunstkenner eine Überraschung.

lernen wollen zur Gegenwart wirksam von Gott zu Einen solchen Reichtum an Formen und Motiven, wie
reden. Grade dieser letzte Punkt ist dem praktischen j sie diese Heiligenbilder aus dem 13.—17. Jahrhundert
Theologen wichtig. 1 boten, hatte man nicht erwartet. Was man hier sah, kam
Hier schweigt der Streit zwischen Niebergall (Wie den schönsten Schöpfungen eines Giotto oder Fra Anpredigen
wir dem modernen Menschen) und K. 1 gehco gleich, und daneben sah man sich gezwungen,
Fezer (Auf den modernen Menschen kommt es garnicht J so manche seiner Ansichten von dem strengen, finstern
an: Gott soll reden), denn das haben diese drei Gegen- ! byzantinischen Stil zu revidieren. Dank der bewunde-
wartszeugnisse miteinander gemein, daß Gott zum rungswürdigen Restaurationsarbeit, die in den letzten
reden gebracht wird und zwar in einer Weise, welche ; Jahren in Rußland geleistet worden ist, erschienen die
die Herzen der in der Wirklichkeit lebenden Menschen- ' Ikonen in ihrem alten prächtigen Farbenglanz; unter der
herzen der Gegenwart anfaßt. Ersteres ist die homile- ! Übermalung sind idyllische Einzelheiten, Pflanzen- und
tische Voraussetzung, letzteres die homiletische Me- ! Tierstücke an den Tag gekommen, die von einem liebe-
thode. Ad. Schlatt er hat ziemlich lange Texte, j vollen Eindringen in die Natur, einer kindlichen Freude
Sie stehen der Predigt fast nur wie ein Motto voran, i an allem Lebenden zeugen.

Und doch ist das Wesentliche der Textgedanken heraus- Der von dem Osteuropa-Verlag herausgegebene,
gehoben und auf einen bestimmten Punkt: wie Hoff- mit 16 guten Abbildungen ausgestattete Katalog wird
nung, die Schrift, Weisheit und Erkenntnis, Ehe und eingeleitet durch einen sehr lehrreichen Bericht des
Heiligung angewandt. Man braucht es von Schlatter Kunsthistorikers Igor Grabar, unter dessen Leitung die
nicht besonders zu sagen, daß er in die Tiefe geht, auch ! Restaurationsarbeiten an den alten Kirchenmalereien vor-
nicht, daß er originell ist, aber man fragt freilich zu- j genommen werden, und ein weniger erfreuliches Vorweilen
, ob die Dinge konkret genug gesagt sind, um ! wort des ehemaligen räterussischen Volksbildungskom

wirklich verstanden zu werden. Der Prediger bleibt in
einer biblischen Höhenlage, die nur den mit der Schrift
vertrauten und in der christlichen Erfahrung Gereiften
das geben wird, was die Predigt geben will. Zuweilen
kommt dann auch einmal eine recht herbe Kritik, die
durch ihre Verallgemeinerung über das Ziel hinausschießt
wie S. 53 über die Dummheiten des Reichstages oder die
ganz verkehrten Beschlüsse der Synoden: „in dieser Gesellschaft
gibt es nicht Weisheit". Gewiß oft sehr
richtig und doch, in dieser Allgemeinheit gesagt, falsch.
Doch will ich nicht mehr auf Einzelnes eingehen. Wer
Schlatter liebt und kennt, wird sich an diesen Zeugmissars
Lunatscharskij, der die Bemühungen um die Erhaltung
der kirchlichen Kunstwerke vor seinem kommunistischen
Gewissen zu rechtfertigen sucht durch den
„treffenden Ausdruck": „Götter werden schön, wenn sie
sterben". Weil die „alten Vorurteile" überwunden sind,
kann man die „majestätisch-schönen Hüllen" der gestorbenen
Götter rein ästhetisch genießen und sie als
„Quelle verschiedener, namentlich technischer (!) Impulse
" schätzen. Was von diesen Redensarten zu halten
ist, zeigen die jüngsten Ereignisse in Rußland deutlich
genug.

Leipzig. Arthur Luther.

Die nächste Nummer der ThLZ erscheint am 30. August 1930.

Verantwortlich: Prof. D. W. Bauer in Göttingen, Düstere Eichenweg 46.
Verlag der J. C. Hinrichs'schen Buchhandlung in Leipzig C 1, Scherlstraße (frühere Blumengasse) 2. — Druckerei Bauer in Marburg.