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Ausgabe:

1930 Nr. 17

Spalte:

391

Autor/Hrsg.:

Vogels, Henr. Jos. (Ed.)

Titel/Untertitel:

Codicum Novi Testamenti Specimina 1930

Rezensent:

Kittel, Helmuth

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Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 17.

392

den Umschwung bringt Luther, ohne daß die Rolle des
Nicolaus von Lyra verkleinert wird (Holls Lutherbuch
lag dem Verfasser offenbar noch nicht vor). Nicht nur
daß Luther schließlich zum sensus litteralis durchdringt,
sondern seine ganze neue religiöse Konzeption ist das
Wichtige. Zwar ist auch bei ihm das Verhältnis von
wissenschaftlich-theologischem u. praktisch-erbaulichem
Schriftgebrauch noch nicht prinzipiell geklärt; aber das
hindert nicht, in ihm den Bahnbrecher der modernen
wissenschaftlichen Exegese — sie beginnt für Melchi-
sedek mit J. D. Michaelis — zu sehen. Mit dem
Satz: „pneumatische Frklärung, die mit den geschichtlichen
Formen der Bibel nicht Ernst macht, wird auch
in der Gegenwart zur Allegorie und Willkür führen"
(S. 68) bekommt die Arbeit des Verfassers ihre unmittelbar
praktische Spitze. — Als Anhang ist ein
kurzer Aufsatz über „Melchisedek in Kultus und Kunst"
beigegeben.

Bei dem Mangel an Arbeiten über Geschichte der
Exegese ist das vorliegende kleine Werk an sich schon
ein Verdienst; dazu kommt, daß es sehr kenntnisreich
und, soweit ich urteilen kann, sorgfältig gearbeitet ist.
An inzwischen erschienener Literatur ist zu nennen: H.
Stork, die sogenannten Melchisedekianer 1928, und H.
W. Hertzberg, Die Melkisedeq-Traditionen im Journ. of
the Pal. Or. Soc. 1928, S. 169—179.
Gießen. W. Rudolph.

Codicum Novi Testamenti Speciniina. Paginas 51 ex codicibus
manuscriptis et 3 ex libris impressis collegit ac phototypice reprae-
sentantes edidit Henr. Jos. Vogels. Bonn: P. Hanstein 1929.

RM 16- ; geb. 18.50.

Seinem von mir in dieser Zeitschrift Jahrg. 1929,
Sp. 133 angezeigtem „Übungsbuch zur Einführung in die
Textgeschichte des N. T." hat Vogels ein weiteres wertvolles
Hilfsmittel für den Unterricht in der Neutesta-
mentlichen Textkritik hinzugefügt: eine Sammlung von
54 Proben der wichtigsten Zeugen N. T.'licher Textge-
schichte in photographischer Reproduktion.

Vertreten sind Majuskeln, Minuskeln, die altlat.
Übs., die Vulgata, die altsyr. Übs., Peschiltho boh. sah.
arm. arab. Übs., Codex Argenteus, Codex Carolinus
(goth.-lat.), Monseer Matthaeus, sowie 3 Drucke, sämtlich
in sehr glücklich ausgewählten Vertretern und
Stücken. Die Wiedergabe ist mit einer Ausnahme ganzseitig
, sodaß die betr. Handschriften mit allen Eigentümlichkeiten
, Randglossen, Initialen, Über- und Unterschriften
, Defekten etc. ausgezeichnet zur Geltung kommen
. Jedes Blatt trägt die genaue Bezeichnung des
wiedergegebenen Zeugen, sowie einen Vermerk über die
auf ihm enthaltene N.T.'liche Stelle. Außerdem enthält
der Band ein Inhaltsverzeichnis, das noch genauere,
aber trotzdem übersichtlich knappgehaltene Angaben
über die vertretenen Textzeugen bringt. Aufnahmen und
Druck sind offenbar sehr sorgfältig durchgeführt.
Jedenfalls wiesen 5 verschiedene, Blatt für Blatt von
mir verglichene Exemplare nur unwesentliche Unterschiede
in der Güte der Wiedergabe auf.

Die Sammlung hilft einem wirklichen Bedürfnis
ab. Lietzmanns gelegentlich ausgesprochene Forderung
z. B., daß jeder Theologiestudent einmal während seines
Studiums eine gründliche N.T.'liche Kollation gemacht
haben müsse, ließ sich bisher nur schwer durchführen,
da nur die seltenen Exemplare der wenigen photographisch
reproduzierten Codices in unseren Bibliotheken
zur Verfügung standen. Vogels Sammlung macht
nicht nur die Erfüllung dieser — bei aller Unscheinbarkeit
pädagogisch sehr hellsichtigen — Forderung möglich
, sondern bietet eine geeignete Grundlage für weit
darüber hinausgehende Übungen. Insbesonders möchte
ich darauf hinweisen, daß die sachkundige Auswahl des
gründlichen Kenners der N. T.'lichen Textgeschichte das
Werk auch für paläographischen Unterricht m. E. hervorragend
geeignet macht.

Altona —Göttingen. _Helmuth Kittel.

Schonfield, Hugh J.: The lost „Book of the Nativity of
John", a Study in Messianic Folklore and Christian Origins with a
new Solution to the Virgin Birth Problem. Edinburgh: T. u. T.
Clark 1929. (XIV, 77 S.) gr. 8°. 5 sh.

Die literarische Überlieferung des christlichen Altertums
weiß nichts vom Vorhandensein eines Buches
mit der Aufschrift, die der Verfasser in seinem Buchtitel
angibt. Sie kennt nur eine Zachariasapokalypse,
deren Beziehung auf den Vater des Täufers neuerdings
erhärtet werden konnte (M. R. James, The lost Apo-
crypha of the Old Test., p. 75 f.), und außerdem legendarische
Erzählungen über Tod und Begräbnis des
Zacharias mit eingestreuten Nachrichten über Johannes
(vgl. Berendts 1895; hinzuzunehmen ist Vassiliev, Anec-
dota Graeco-Byzantina I, Moskau 1893, p. 1—4 und
III ff., und ein Fragment aus Damaskus ed. F. Schultheß
1905, S. 95). Der Verfasser der vorliegenden Schrift,
der sich als Autor eines Old Hebrew Text of St.
Matthew bezeichnet (!), aufmerksam geworden auf die
Überlieferungsspuren, die auf messianisches Ansehen
des Täufers hinweisen, und aus dem Bedürfnis, die in
den Vorgeschichten bei Matth, und Luk. bezeugte jungfräuliche
Geburt aufzuhellen, konstruiert nun fröhlich,
ohne hinreichenden äußeren Anhalt, aus der Vorgeschichte
bei Luk. und der Schlußepisode des Protevanv.
Jak. einen Bericht über die Geburt des Johannes, der
sowohl Matth, wie Luk. vorgelegen hätte, von ihnen
aber im Sinne der „Nazarener" einseitig zugunsten der
Messianität Jesu umgebildet wäre, so daß sogar die
Magierszene ursprünglich diesem Johannesbuch angehört
hätte! Was dafür ins Feld gerührt wird, sind nur
Scheinbeweise — das Ganze ein Fabrikat der Halbwissenschaft
.

Betheln (Hann.) E. Hennecke.

Brack mann, Albert: Die Entstehung der Andechser Wallfahrt
. Aus den Abhandlungen der preußischen Akad. d. Wiss.
Jahrg. 1929. Phil.-hist. Kl. Nr. 5. Berlin: Verlag der Akad. d.
Wiss. W. de Gruyter u. Co. in Komm. 1929. (40 S. m. 3 Taf.) 4°.

RM 9—.

Zu den Kostbarkeiten der Münchner Staatsbibliothek gehört der
Cod. Monac lat. 3005 mit den auf die Reliquien des Klosters Andechs
(bei Herrsching am Ammersee) bezüglichen Eintragungen aus dem 14.
oder 15. Jahrhundert, die sichtlich darauf ausgehen, die Verehrung
dieser Reliquien zeitlich weit hinaufzurücken und sie, unter Verherrlichung
der Grafen von Andechs als Gründer und Wohltäter des „Klosters"
Andechs, mit dieser Stätte untrennbar zu verknüpfen. Aus den echten
ältesten Urkunden ergibt sich aber, daß die Andechser Kapelle noch
1405 der zu Ebersberg gehörenden Pfarrkirche von Erling unterstand
und von einer großen Vorgeschichte der Kapelle im Sinne der Eintragungen
jener Handschrift keine Rede sein kann. In der in die
Andechser Chroniken von 1457 und 1472 aufgenommenen, zwischen 1389
und 1392 verfaßten Schrift, „Epistola et tractatus", des Magisters Johannes
de Eugubio, der als päpstlicher Legat im südöstlichen Deutschland
tätig war, werden nun ebenso die bayrischen Herzöge verherrlicht,
wie umgekehrt in den Eintragungen das klosterfreundliche Geschlecht
der Andechser Grafen in scharfen Gegensatz gestellt ist zu den klosterzerstörenden
der Scheyern (-Wittelsbacher). Der geschichtliche Zusammenhang
ist aller Wahrscheinlichkeit nach der, daß die Eintragungen
im Gm. 3005 nach jenem Traktat des Magisters Johannes,
und zwar im Chorherrenstift Dießen, dessen Propst die Andechser Kapelle
damals anvertraut war, geschrieben sind, um die von den bayrischen
Herzögen nach München übergeführten und im Gnadenjahr 1392
mit großem Erfolg ausgestellten Reliquien für Andechs zurückzugewinnen.
Den Sieg behielten aber die bayerischen Herzöge, die nun die Hand
auf Andechs legten und dort 1439 ein Kollegiatstift, 1451/53 ein
Benediktinerkloster als herzogliches Familienkloster errichteten und sich
Echtheit und Verehrungswürdigkeit der Reliquien, darunter der blutenden
Hostien, im Jahre 1452 durch den Kardinallegaten Nikolaus von
Cues und Papst Nikolaus V. bestätigen ließen. Dies die Ergebnisse der
scharfsinnigen und umsichtigen Untersuchung, gegen deren Gang kaum
etwas einzuwenden sein dürfte. S. 22 f. wird die Entstehung der Andechser
Wallfahrt in kurzer Zusammenfassung geschildert. Auch das
in dieselbe Zeit fallende Wunder von Wilsnack in der Mark Brandenburg
und seine Verwertung durch den Bischof von Havelberg und die
Kurfürsten von Brandenburg ist als Seitenstück herangezogen. Zugleich
aber wird die Entstehung der Andechser Wallfahrt in einen größeren
geschichtlichen Zusammenhang hineingestellt „als ein Kapitel aus der
Geschichte des werdenden territorialen Fürstentums in Deutschland und
seiner Auseinandersetzung mit der Kurie". Der Verf. hat Verständnis