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Ausgabe:

1930 Nr. 1

Spalte:

379-380

Autor/Hrsg.:

Bridet, L.

Titel/Untertitel:

La Théorie de la Connaissance dans la Philosophie de Malebranche 1930

Rezensent:

Jordan, Bruno

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379

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 15/16.

380

Bridet, Dr. L.: La Theorie de la Connaissance dans la
Philosophie de Malebranche. Paris: Libraire Marcel Riviere
1929. (V, 367 S.) gr. 8°. = Bibliotheque de Philosophie, XIV.

30 Fr.

Bridets ausführliche Darstellung der Erkenntnislehre
Malebranches isoliert diese Theorie nach zwei
Richtungen hin. Sie versucht nicht die Gedanken Malebranches
in das Ganze seiner Metaphysik durch Aufweis
ihres eigentlichen Problemgehalts einzuordnen und
die tieferen Wurzeln des „Systems" bloßzulegen, ebensowenig
spannt sie das Denken Malebranches in eine
Entwicklungslinie, die etwa von Augustin zu Leibniz
führt (mit Ausblicken auf Kant), auf der M. eine ganz
bestimmte kennzeichnende Stellung innehat. B. sieht die
Originalität der Lehre, die er schildert, negativ in dem
Nachweis, daß die Sinne und die Phantasie untauglich
sind zur Erkenntnis der Körperwelt, dagegen hier sichere
Erkenntnis vermittelt werde durch das reine Verstandesdenken
, also in ihrer antisensualistischen Tendenz
. Ins Positive gewendet ist ihm also die Erkenntnistheorie
von Malebranche gekennzeichnet durch die Richtung
auf einen unbegrenzten Idealismus hin. Dagegen
vertrete er in dem Versuche, eine unmittelbare Erkenntnis
der Seele auf Grund der inneren Empfindung zu
begründen, einen ausgesprochenen psychologischen Realismus
. Die unmittelbare Erfassung des Seelischen
durch innere Empfindung bringe uns nach der Meinung
Malebranches in Berührung mit einer lebendigen Wirklichkeit
, dem in seinen konkreten Modi wirksamen Subjekt.
Diesen Dualismus in der Lehre führt der Verfasser auf
zwei entgegengesetzte Tendenzen in Malebranches Denken
zurück: den Versuch, die mathematisch erfaßbaren
Beziehungen innerhalb der Ideenwelt mit Hilfe der ratio
abzuleiten und in ein System zu bringen, und die doch
aus anderer seelischer Wurzel stammende Rückwendung
auf den Glauben (etwa im Sinne Humes, so scheint der
Verf. zu meinen), oder, was er damit identifiziert, den
inneren Sinn, der die Wirklichkeit der Gegenstände unmittelbar
erschließen soll. Die Idee einer reinen Mathematik
, sichtbar etwa in Gestalt des Unterschiedes von
sinnlich gegebenen Zahlen (Anzahl) und reinen Zahlen
(im Sinne der Ideen Piatos) stamme letzten Endes für
Malebranche aus Augustin. Dieser mathematische Idealismus
gipfle in der Lehre von der intellegiblen (^reinen
) Ausdehnung. In diesem Zusammenhang sei von
besonderer Bedeutung die Kritik Mairans. Der in einer
Auseinandersetzung mit Descartes begründete psychologische
Realismus dagegen sei die konsequente Übertragung
der von Descartes behaupteten Dualität von
Körper und Seele auf ihre Erkenntnis. Er wurzele in
der Sicherheit und Unbeirrbarkeit eines unmittelbaren
Glaubens an eine lebendige Wirklichkeit.

Mir scheinen mathematischer Idealismus und
psychologischer Realismus nur verschiedener Ausdruck
einer und derselben Methodologie zu sein, welche auf
Grund einer Kritik der Lehre des Occasionalismus zunächst
in die Erkenntnisbedingungen überhaupt Einsicht
gewinnen möchte. Entscheidend aber ist doch wohl, daß
Malebranche von hier aus das viel weiter gespannte
Kausalitätsprinzip überhaupt untersucht und sich überzeugt
, daß eine als Kraftwirkung verstandene Beziehung
weder zwischen Körper und Seele noch selbst zwischen
Körpern einsichtig gemacht werden kann. Daraus folgert
er, daß nur die „Gesetze", nach denen die einzige
„Ursache", Gott, wirkt, begriffen werden können. Notwendig
wäre also gewesen zu zeigen, wie Malebranche
den Kraftbegriff in den Gesetzesbegriff aufhebt und
vertieft. Wichtiger aber noch ist ein anderes. Es ist
kein Zweifel, daß der reine Idealismus ursprünglich
streng „transzendental" gemeint war: Die Welt der
Ideen und die transzendente Wirklichkeit sind völlig von
einander geschieden. Für die Probleme der Metaphysik
scheint kein Raum. Da aber Malebranche fortfährt,
gleichwohl Erkenntnis und Erkennen zu unterscheiden,
also das ideelle Gesetz erfaßt werden läßt vom realen

j Denken, so ergibt sich ihm ein Widerstreit, der nach
i ihm nur durch die Annahme gelöst werden kann, daß
i Gott die Erkenntnis in uns „schafft". Damit aber erhält
die Wahrheit metaphysische Dignität. Will man also
von einer „Doppelheft" im Denken Malebranches reden,
so mag man darauf hinweisen, daß die Spannung zwischen
Wirklichkeit des Denkvorganges und Geltungsgehalt
des Gedachten an sich rein erkenntnistheoretisch
j gesehen war, daß dann aber doch, und zwar grade
! durch ihren Geltungswert, die Ideen metaphysische Dignität
erhalten haben. So nahe also Malebranche dem
Denken Leibnizens zu kommen scheint (Gott fast-Ver-
nunft), so gleitet er doch im entscheidenden Augenblick
wieder in frühere metaphysische Gedankengänge ab. In
der Wendung zum Schöpfer hin gründet letzten Endes
der Glaube an die unmittelbar erfaßte Wirklichkeit des
Seelischen.

So anregend im einzelnen die Darstellung Bridets
J ist, im Kern verfehlt sie m. E. doch die Grundmotive
i des Denkens von Malebranche, weil sie versäumt, sie
I in das Ganze des Systems einzuordnen.

Bremen. Bruno Jordan.

Kübler, Dr. theol. Otto: Mission und Theologie. Eine Unter-
suchg. über den Missionsgedanken in d. systemat. Theologie seit
Schleiermacher. Leipzig: J. C. Hinrichs 1929. (VIII, 270 S.) gr. 8°.
== Missionswissenschaftliche Forschgn., 7. RM 14—.

Es ist ein Unterschied zwischen Mission und Missionsgedanke
. Mission als Tat entspringt dem praktischen
Leben der Kirche. Der Missionsgedanke — damit
ist nicht der impulsive, zur Tat drängende Gedanke
gemeint, sondern nach der Definition des Verfassers „die
theoretische Besinnung auf Sinn und Recht der christlichen
Mission" ist Sache der Theologie, insonderheit
der systematischen Theologie. Es ist von vornherein
klar, daß durch solch theoretisches Besinnen keine Tat
geboren wird. Der Gedanke geht also hier nicht der
Tat voran, sondern folgt ihr als Reflektion, als Begutachtung
, Rechtfertigung und Kritik. Geschichtlich angesehen
ist die Theologie nicht in dem Sinne befruchtend
für die Mission gewesen, daß sie den Anstoß zur
Missionstat gegeben hätte, wohl aber hat sie zur Lebendig
- und Gesunderhaltung derselben beigetragen. Der
Dienst, den die reflektierende Theologie als Wissenschaft
der praktischen Missionsarbeit zu leisten hat, besteht
darin, ihr zu immer größerer Klarheit über Sinn
und Recht ihres Handelns zu verhelfen. So ist die
Mission auf die Theologie angewiesen und wird es in.
steigendem Maße sein, je weiter sie sich ausdehnt und;
je komplizierter ihre Arbeit wird.

Wenn die Theologie der Mission einen Platz in
ihrem System einräumt, so tut sie das nicht zunächst aus
systematischen Gründen, sondern — wenn vielleicht
auch unbewußt — unter dem Eindruck der Realität des
Lebens, um der Bedeutung gerecht zu werden, die die
Mission im praktischen Leben der Kirche einnimmt.
Denn irgendwie spiegelt sich in der Theologie das
Leben der Kirche wieder. Davon ist die Stellungnahme
der systematischen Theologie zur Mission und die Bedeutung
, die sie in ihrem System dem Missionsgedanken
beimißt, ein Beweis. Wenn Schleiermacher in seiner
Theologie nicht an der Mission vorbei kann, so liegt das
! nicht in seiner Theologie begründet, sondern es ist das
eine Auswirkung seiner Beziehung zu dem praktischen
Leben der Kirche, wie es ihm inbezug auf die Mission
in der Brüdergemeinde entgegengetreten war. Und wenn
I seitdem die Theologie sich immer intensiver mit der
| Mission auseinandersetzt und es heute wohl kein zu-
| sammenfassendes systematisches Werk gibt, in dem
nicht der Missionsgedanke ausgiebig behandelt wird, so
hat das seinen Grund wohl vor allem in der steigenden
Bedeutung, die in der Gegenwart der Mission in dem
Leben der Kirche zukommt. Daß dabei die Beurteilung
des Missionsgedankens bei dem einzelnen Systematiker
abhängig ist von seiner theologischen Gesamtauffassung