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Ausgabe:

1930 Nr. 1

Spalte:

346

Autor/Hrsg.:

Eberharter, Andreas

Titel/Untertitel:

Der Dekalog 1930

Rezensent:

Horst, Friedrich

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Seite 1

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345

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 15/16.

346

zu einem gewissen Grade erfüllen, und die zahlreichen
und ausführlichen — übrigens fast alle die Hauptthese ablehnenden
— Rezensionen, die sein Buch schon erfahren hat
(J.Begrich in ZS 7 [1929], S. 86—110; H.Grimme
in Th Rev 28 [1929], Sp. 470—472; Ed. König
in JBL 48 [ 1929], S. 333—353; E. Sellin in DLZ 50
[ 19291, Sp. 937—941; W. Spiegelberg in ZS 7 ,
[ 1929], S. 113—123), können als Beginn der Verwirk- I
lichung jenes Wunsches bezeichnet werden. Aber davon,
daß: mit dem vorliegenden Buche „der Grundstein zu
einer neuen Auffassung des Pentateuch und damit des j
gesamten biblischen Altertums und im weiteren Maße
auch der Entstehung und Entwicklung der Religion
Israels mit allen ihren Konsequenzen gelegt wäre", und
d. h. daß die Pentateuchkritik und das auf ihr aufgebaute
Geschichtsbild widerlegt wären, kann im Ernst
nicht die Rede sein. Arbeiten wie die S p i e ge 1 b e r g's ]
„Der Aufenthalt Israels in Ägypten im Lichte der ägyp-
tischen Monumente" -'1904 und ähnliche von anderen
werden mit ihrer Svnthese von moderner Ägyptologie
und moderner Pentateuchkritik aufs Ganze gesehen eine
längere Lebensdauer haben als die Arbeit Yahuda's.

[ Korrektur-Zusatz: Inzwischen hat Yahuda eine
38 S. starke Erwiderung auf S p iege 1 be r g's Ägypto-
logische Bemerkungen zu seinem Buche geschrieben,
die dem 3. Heft von ZS 7 beigelegt war].
Halle a. S.__Otto Eißfeldt.

Li p man, Armand, Commandant: Authenticite du Pentateuque

ou la Critique devant la Tradition. Paris: E. Leroux 1929. (XII,
292 S.) gr. S°. 20 Fr.

Dem Buch sind als Motto zwei Sätze aus dem
Mischna-Traktat Aboth vorangestellt, von denen der
eine die Thora auf Mose zurückführt und der andere
den Ausspruch R. Eleasars enthält: „Verstehe zu antworten
den Epikuräern", d. h. hier den Kritikern, und
dies Motto kennzeichnet den Inhalt des ganzen Buches:
Herleitung des Pentateuch in seiner uns vorliegenden
Gestalt von dem mit göttlichem Geist erfüllten Mose
(S. IX) und apologetische Polemik gegen die erst
ein bis zwei Jahrhunderte alte Kritik an der durch Jahrtausende
bewährten Tradition (S. X. 208 f.). Die Erörterung
verläuft in vier Teilen. Im ersten sucht der Verf.
aus sprachlichen und stilistischen Indizien die Einheitlichkeit
des Pentateuch zu erweisen, im zweiten gibt er
eine kritische Übersicht über die Geschichte der Pentateuchkritik
. Im dritten Teil werden zunächst die besonderen
Thesen einzelnerr Kritiker widerlegt, sodann
wird die übliche Analyse der einzelnen Abschnitte
(Schöpfung, Sintflut usw.) vorgeführt und zurückgewiesen
. Der vierte Teil geht schließlich auf die in der
Pentateuchkritik gangbaren Ansetzungen der einzelnen
Quellen ein und will dartun, wie schon die Verschiedenheit
dieser Ansetzungsversuche ihre Unhaltbarkeit beweist
und vielmehr die Tradition, d. h. die Herleitung
des ganzen Pentateuch von Mose, als die allein mögliche
Lösung fordert.

Das Buch macht überall den Eindruck, daß seinem
Verfasser die Verteidigung der Würde und der Mosaizi-
tät der Thora — denn das Beides fällt für ihn offenbar
zusammen — das Hauptanliegen ist (S. 44, vgl. S. 85.
62), nicht das wissenschaftliche Bemühen, die mannigfachen
literarischen und geschichtlichen Rätsel, die uns
der Pentateuch aufgibt, zu lösen. Dabei hat er in seiner
Antikritik sicherlich hier und da recht, aber eine Förderung
der wissenschaftlichen Debatte bedeuten auch
solche Sätze nicht. Denn er legt seiner Darstellung
das 1888 und 1892 erschienene Werk von Alexandre
Westphal „Les sources du pentateuque" zugrunde,
polemisiert also gegen den Stand der Pentateuchkritik,
den sie vor 40 Jahren eingenommen hat. Zudem hat
er die von ihm kritisierten Autoren nicht selbst gelesen,
sondern er operiert nur mit dem Westphal'schen Referat
und gibt auch dies noch ungenau wieder, wie schon die
von ihm unrichtig angeführten Bücher-Titel auf S. 78.
«1. 84. 91. 92 zeigen.

Dennoch habe ich zweierlei aus dem Buche beziehungsweise
aus dem von ihm ausgeschöpften Werke
Westphal's gelernt, was auch vielleicht anderen Alt-
testamentlern nicht gegenwärtig ist: 1. Der erste, der
zwei Jahvisten als möglich angenommen hat, ist nicht
Ch. Bruston (1883 und 1885), sondern K. D. Ilgen
. In „Die Urkunden des Jerusalemischen Tempelarchivs
" I 1798 sagt er auf S. 425: „. . den dritten . .,
der den Nahmen J e h o v a h gebraucht, oder den Jeho-
visten, nenne ich So p her Elijah (mein Gott ist
J a h oder J e h o v a h) . .; um sie aber wieder von einander
selbst zu unterscheiden, so gebe ich dem einen
Eliel noch den Beynahmen Harischon (der erste),
und dem andern den Beynahmen Haschscheni (der
zweyte). Eben diesen Beynahmen Harischon hat
auch Elijah. Es könnte zwar bey diesem überflüßig
scheinen, da er nur einzig ist, und folglich sich von
keinem andern zu unterscheiden braucht; es ist aber
möglich, daß er in der Zukunft nicht der einzige bleibt,
und daß noch ein anderer Elijah auftritt". 2. G. Hoel-
scher, der sich mit dieser Frage viel befaßt hat, nennt
in seiner Geschichte der israelitischen und jüdischen Religion
1922, S. 140 f. als den, der zuerst die Überlieferung
von der Reformtätigkeit des Esra als legendenhaften
Reflex der seit der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts
in der Judenschaft durchgeführten Reformen
beurteilt hat, W. Bousset (Religion des Judentums
1903, S. 139). Aber Bousset hat in E. Renan einen
Vorgänger (Geschichte des Volkes Israel, deutsche Ausg.
. . von E. Schaelsky, Bd. IV 1894, S. 90—99: Die
Legende über Esra).
Halle a. S. Otto Eißfeldt.

Eberharter, Prof. Dr. Andreas: Der Dekalog. Münster i. W.:
Aschendorff'sche Verlagsbuchh. 1929. (III, 67 S.) 8°. = Biblische
Zeitfragen, 13. Folge, H. 3./4. RM 1.30.

Gemeint ist der klassische Dekalog in den beiden Rezensionen
Ex. 20 u. Dtn. 5. Das Problem einer Mehrheit von Dekalogen entsteht
nicht, da eine solche Mehrheit, wie der dissensus der Forscher hinlänglich
beweise, nur aus unsicherer Konstruktion zu gewinnen sei. (Bei
der Aufzählung von Versuchen, dekalogartige Gruppen von Geboten aufzuweisen
, hätte Meinholds Vorschlag bezgl. der um das „Bundesbuch"
herumgelagerten Partien Ex. 20,22—26 u. 23,13 b—19 nicht unerwähnt
bleiben dürfen. Da eine gattungsgeschichtliche Betrachtung nicht
aufkommt, fehlt auch ein Hinweis auf Ps. 15 u. 24, Ez. 18, 5—9).
Infolge der Einengung der Fragestellung ist die neuerdings von Mowinckel
aufgeworfene Frage, wo der „Sitz im Leben" für die Dekaloge sei,
nirgends zur Sprache gebracht worden. Überhaupt ist, wie es scheint,
Mowinckels Le decalogue, 1927, dem Verf. nicht bekannt geworden.

Die Arbeit ist nach Inhalt und Aufbau eine Verteidigung der
mosaischen Herkunft des (klassischen) Dekalogs, u. zw. ausschließlich
im Sinne der Abwehr gegenteiliger Meinungen allgemeiner wie spezieller
Art. Die Frage nach dem Alter dieses Dekalogs nimmt darum auch
den breitesten Raum in der Darstellung ein. Daneben werden behandelt:
der Ursprung des Dekalogs (als Ausdruck des natürlichen Sittengesetzes
zum Erbgut der Menschheit gehörig; demnach) seine Bedeutung (mehr
als bloß religöse und soziale Friedensgebote israelit. Menschen), ferner
Wortlaut, Einteilung, Reihenfolge, Zählweise, ursprüngliche Gestalt des
Dekalogs, Ort und Art seiner Promulgation. Die Argumente sind nicht
neu, aber sie sind übersichtlich zusammengestellt. Mehrfach freilich ist
die Beweisfähigkeit eines Arguments nicht sauber genug abgesteckt. Wer
z. B. grundsätzlich mit Erweiterungen einer Urform zu rechnen bereit
ist, kann nicht den Charakter des Schöpfergottes in der Motivierung des
I Sabbatgebotes von Ex. 20 benutzen, um die im 1. Gebot geforderte
I Monolatrie zum Monotheismus zu stempeln. Anderes ähnlich. Überhaupt
j fehlt (aus der Stellung zur Quellenkritik) die unumgängliche Aner-
l kennung, daß die gegenwärtigen Rezensionen exilisch sind, und daß ihr
j gegenseitiges Verhältnis zu einander es ist, das allein den methodischen
j Ausgangspunkt abgibt für die Frage nach ihrer Urform und deren Alter.

Die „mosaische" Herkunft hätte dann allerdings weniger zuversichtlich,
I je nachdem wie man sich zum letzten Gebot stellt („Haus"), nur als
i Möglichkeit ausgesprochen werden können. Aber bei solchem Schrittfür
-Schritt-Vorgehen wäre zweierlei besser herausgetreten: einmal wo
und wieweit Übereinstimmung besteht, sodann wieweit historische Lösungsmöglichkeiten
hier überhaupt erreichbar sind.

Zu Einzelheiten sei kurz folgendes vermerkt. Zum Sabbat fehlt:
Eerdmans in ZAW. Beih. 41, 1925, und Budde in Christi. Welt, 1928;
zur Frage der Jahvebilder ist unberücksichtigt: Pfeiffer in Journ. Bibl.
Lit, 45, 1926 vgl. jetzt auch Obbink in ZAW. 1929.

Bonn. F. Horst.