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Ausgabe:

1930 Nr. 14

Spalte:

333

Autor/Hrsg.:

Naß, Otto

Titel/Untertitel:

Das Recht der Feiertagsheiligung 1930

Rezensent:

Schian, Martin

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333

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 14.

334

In der Tat, das Verfahren M.'s erweist sich, wie |
man sieht, als fruchtbar, und wenn er für die alte Zeit
in der Verwendung von privaten Äußerungen als Quellen
der Geschichte gelegentlich fast zu vorsichtig war, für
die Geschichtschreibung der allerjüngsten Vergangenheit
wäre es im Interesse der Objektivität nur wünschenswert
, wenn alle sich der gleichen Beschränkung
befleißigen würden wie der Verstorbene.
Kiel-Voorde. Kurt Dietrich Schmidt.

Naß , Reg.-Rat. Dr. jur. Otto: Das Recht der Feiertagsheiligung.

Berlin: C. Heymann 1929. (VII, 90 S.) gr. 8°. RM4-; geb. 5-.
Im vorliegenden Heft handelt es sich nicht bloß um eine Zusammenstellung
der geltenden Rechtsbestimmungen, sondern um eine
sachlich eindringende Darstellung des gesamten Feiertagsrechts. Zuerst
■»erden die Feiertage selbst besprochen, dann die „äußere Heiligung"
der Sonn- und Festtage. Je ein kurzer Abschnitt ist schließlich dem
Nationalfeiertag und der „gesetzgebungspolitischen Lage" gewidmet.
Eine Einleitung nimmt „zur Soziologie und Geschichte der Sonn- und
Feiertage" Stellung. Literaturverzeichnis und alphabetisches Sachverzeichnis
sind beigefügt. — Behandelt sind nur das Reichsrecht und das
in den verschiedenen Teilen Preußens geltende Recht; der Titel ist daher
durchaus ungenau; es müßte unbedingt beigefügt sein: „in
Preußen". Merkwürdig ist die Einteilung der Abschnitte I, 2—5 ; sie
läßt klare logische Gliederung vermissen. So ziemlich alle einschlägigen
Rechtsfragen dürften angerührt sein; bei den wichtigeren verweilt Verf.
ausführlicher. Aber daß die Dinge nach allen Seiten hin klargestellt
würden, kann man gerade bei einigen jetzt sehr aktuellen Problemen
■nicht sagen. Ob z.B. Art. 139 R. V. den Statusquo wirklich schützt,
wird nicht deutlich entschieden. Einerseits ist es nach dem Verf. möglich
, die Zahl der Feiertage zu vermindern (S. 6); anderseits gelangt
■er zu dem Schluß, daß die Aufhebung eines der bis jetzt bestehenden
Feiertage einen Verstoß gegen Art. 139 bedeuten würde (S. 7). Aus
Art. 10,1 R. V. folgert N., daß das Reich berechtigt wäre, den Religionsgesellschaften
gewisse Pflichten für die Begehung der Feier, z. B.
hinsichtlich der äußeren Gestaltung der Feiertage, aufzuerlegen. Das
ist eine allzu dunkle Andeutung. S. 11 bekämpft Vf. die Annahme, als
könnte sich durch Gewohnheitsrecht in Preußen ein neuer, öffentlicher,
staatlich anerkannter Feiertag bilden; diese Ausführungen halte ich für
überflüssig. Nicht ganz im Bild ist N. betreffs der Geschichte des
preußischen Bußtags. S. 28 f. berichtet er über das Staatsgesetz von
1893 betr. den jetzigen Bußtag und fährt dann fort: „Überall sind die
evangelischen Landeskirchen dem Staat gefolgt und haben den Mittwoch
vor dem letzten Trinitatissonntag zum kirchlichen Bußtag gemacht."
In Wirklichkeit war der Staat auf die Wünsche der Kirchen eingegangen !
Was über die Möglichkeit einer Verlegung von Feiertagen und über
staatliche und gesetzliche Mitwirkung dabei gesagt ist (S. 34), ist reichlich
grau-theoretisch, mindestens in der Ausdrucksweisc. Hinsichtlich
des Volkstrauertags hegt N. anscheinend den Irrtum, als gehe die Einrichtung
dieses Tages auf kirchliche Initiative zurück, was ganz und gar
nicht der Fall ist. So ließe sich noch an zahlreiche Stellen des Buchs
kritisch anknüpfen; aber ich muß mir weiteres Eingehen versagen. Der
Stil ist oft reichlich umständlich. S. 8 Z. 12 v. o. ist versehentlich ein
„nicht" stehengeblieben, das den Sinn des Satzes verkehrt. Doch soll
ausdrücklich anerkannt werden, daß die fleißige und eingehende Behandlung
des ganzen für Preußen geltenden Stoffes als dankenswerte
Gabe bezeichnet werden kann.

Breslau. M- Schi an.

Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung.

In Gemeinschaft m. O. Becker, M. Geiger, M. Heidegger u. A. Pfänder
hrsg. v. Edmund Husserl 10. Bd. Halle a. S.: M. Niemeyer 1929.
(XVII, 569 S.) gr. 8°. RM 32—; Hfrz. 39-.

Der vorliegende 10. Bd. des Jahrbuches, das über die philosophische

Forschung innerhalb der phänomenologischen Schule auf dem laufenden

halten will, enthält folgende Arbeiten:

1. E. Husserl: Formale und transzendentale Logik. In Ausführungen
von größter Prägnanz und Akribie wird die traditionelle formale Logik
zu einer transzendentalen zu vertiefen versucht. Vergl. meine ausführliche
Besprechung, Theol. Literaturztg. 1930 Sp. 308—311.

2. C. V. Salmon (M. A. Oxon): The Central Problem of David
Hume's Philosophy, eine größere Abhandlung in englischer Sprache.
Die Frage, die sich Hume vorlegte, lautete nach dem Verf.: Was besteht
für ein Unterschied zwischen „appearance" und „existence" of the per-
ceptions? Das führte ihn in seinen Psychologismus hinein. Er hätte
diese Frage umwenden sollen in die andere: „Wie kann innerhalb der Subjektivitätssphäre
das Objekt, das ich bewußt habe, von seinem Erfahren, in j
dem ich es bewußt habe, verschieden sein ?" Dann wäre aus seinem Begriff |
»appearance" der Begriff der psychologischen Erfahrung geworden und i
aus seinem Begriff „existence" das trotz der verschiedenen Bewußtseins- 1
erlebmsse, in denen es intendiert wird, mit sich identische Objekt. Seine I

psychologischistische Fragestellung hätte sich in die transzendentallogische
umgewendet.

3. Ph. Schwarz (Bad Dürkheim): Zur Ontologie der Vergleichungs-
sach verhalte.

4. E. Heller (München): Zur Logik der Annahme. Beide Aufsätze
behandeln logische Spezialthemata.

5. A. Kolnai (Wien): Der Ekel. Eine Studie, die besonders gut in
die Art und Weise phänomenologischer Praxis einführt. Das Ekelgefühl
wird zunächst gegenüber anderen Abwehrreaktionen abgegrenzt, vor allem
gegenüber der Angst, im Unterschied von welcher der Ekel mehr an
dem verursachenden Gegenstand hafte. Im Unterschied vom Haß, der
seinen Gegenstand gleichsam auswählend aufsucht, wirkt beim Ekel der
verursachende Gegenstand provokativ. Hauptträger der Ekelempfindung
ist der Geruchssinn, dann auch der Gesichts- und Tastsinn, gar nicht der
Gehörssinn. Der Ekel ist bezogen vor allem auf zerfallendes (Fäulnis)
oder üppig wucherndes Leben, im geistigen Gebiet auf alles sexuell Betonte
, aber auch auf die Lüge u. s. w. Die phänomenologischen Einzeluntersuchungen
kommen zu dem Ergebnis, daß der Ekel durch die Nähe
von Gebilden, deren Seinsart in bestimmter Weise auf Leben und auf
Tod hinweist, hervorgerufen wird. (S. 553 ff.) Der Ekel hat als Abwehrreaktion
gegen das Moralisch-Ekelhafte auch eine ethisch-kognitive Funktion
. Schon deshalb kann er nicht, wie Werfel meint, etwas sein, was
überwunden werden müßte. Besonders im Dienst der Caritas soll aber
die Liebe über den Ekel siegen.

Heidelberg. Robert Winkler.

Schmalenbach, Herman: Kants Religion. Berlin: Junker &
Dünnhaupt 1929. (133 S.) gr. 8". = Sonderhefte d. Deutsch. Philos.
Gesellschaft, 1. rm 6 — .

Diese bedeutungsvolle Interpretation Kants unterscheidet
sich dadurch grundlegend von den landläufigen
Darstellungen und Beurteilungen der Kantischen Religionsphilosophie
, daß sie ihn nicht gleich in das überkommene
Schema der Aufklärungsreligiosität hineinpreßt
und dann mit dem Urteil eigentlich schon fertig
ist, ehe die Untersuchung ernstlich aufgenommen ist.
Diese freiere Haltung wird dem Verf. dadurch erleichtert
, daß er sich nicht auf die Erörterung der „Religion
innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" zurückzieht
, und daß er nicht das weit verbreitete Vorurteil
von dem über seinem Philosophieren verschrumpften
und in seine Verständigkeit eingekerkerten Kant mitbringt
. Er fragt nach der Religion Kants und nicht
bloß nach seiner Religionsphilosophie, und er hat so
viel Kontakt mit dem sprachlich-menschlichen Ausdruck
dieses Denkers, daß er weiß: „die Voraussetzung" für
Kants „Ablehnung der Gefühle ist eine zunächst ungeheure
Gewalt wirklichen eigenen Fühlens". „Der tiefer
eindringende Leser Kants entdeckt in seinen Büchern,
bald hier, bald da, dann in immer weiteren Zusammenhängen
und schließlich im ganzen die Zeugnisse eines
sogar fast unvergleichlichen, jähen und wilden inneren
Erlebens, das den Hintergrund seines gesamten Philosophierens
bildet" (14).

Eine weitere wichtige Voraussetzung für eine
wirkliche Begegnung mit Kant ist dadurch gegeben,
daß der Verf. Kant nicht nur im Zuge der deutschen
idealistischen Bewegung sieht, daß er sich die radikale
Unterschiedenheit nicht verbirgt, die zwischen der Religion
des Idealismus und auch der Religion „im Zeitalter
Goethes" und der Religion besteht, die sich — wie die
der Aufklarungszeit — immer noch in der direkten
Nachfolge der Reformation vorfindet. Damit ist natürlich
nicht gemeint, daß die Aufklärungsreligiosität der
reformatorischen an Kraft und Entscheidungsgewißheit
vergleichbar wäre, sondern nur dies, daß noch keine sich
überlegen dünkende Religionsform den von der Reformation
ausgehenden Traditionsstrom unterbrochen hatte.
„Die fundamentale religiöse Position des definitiven
Kant . . schließt ihn an die große Linie der ,älteren
Neuzeit' seit der Reformation, seit Luther und Calvin an
und trennt ihn vom Zeitalter Goethes" (132).

Der mit der Naturwissenschaft verbundene Pantheismus
, wie er von Cusanus bis zu Newton (33) mehr
oder weniger stark als metaphysischer Hintergrund
wirksam ist, und wie er auch von dem kosmogonischen
Hauptwerk des jungen Kant her bis in die reife Zeit