Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1930 Nr. 14

Spalte:

325-326

Autor/Hrsg.:

Delafosse, Henri

Titel/Untertitel:

Les Écrits de Saint Paul IV 1930

Rezensent:

Lohmeyer, Ernst

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

325

Theologische Literaturzeitung 1930 Nr. 14.

326

Nr. 8 1. „der Ebed-Jahve-Lieder" ; 345 1 1. pTDtS'; 407 zl- 13
Esras; 418, Überschrift von Nr. 2 1. 133; 419, Überschrift von Nr. 3
1. 232 ff.; 441 ZI. 14 v. unten !. Sothisperioden (der Fehler ist wie
der von S. 280 sogar säuberlich im Sachregister gebucht!); 442 letzte
ZI- 1. 12, 1 ; 449 ZI. 10 Ii Bethlehem; 4618 1. Sukka; 462 a 1. Götterkind
.

Gießen. W. Rudolph.

Delafosse, Henri: Les fjcrits de Saint Paul IV. L' epitre
aux Philippiens. Les epftres aux Thessaloniciens, les epitres Pastorales,
l'epitre aux Hebreux. Traduction nouvelle avec introduction et notes.
Paris: F. Rieder & Co. 1928. (246 S.) 8°. = Christianisme, 28.

12 Fr.

In der unter der Leitung von P. L. Couchoud
herausgegebenen Schriftenreihe „Christianisme" hat
Henri Delafosse (der Name ist ein Deckname) die im
Titel genannten neutestamentlichen Briefe herausgegeben
. Das Werk, das die Kommentare zu paulinischen
Briefen abschließt, ist derart angelegt, daß zunächst
ziemlich umfangreiche Einleitungen zu jedem Briefe gegeben
werden, denen in einem zweiten Teil die Übersetzungen
folgen, in guter Sprache geschrieben und von
vereinzelten Anmerkungen begleitet. Die allgemeine
Richtung dieser Arbeit geht dahin, jeden Brief als ein
Konglomerat verschiedener Zeiten und verschiedener
Verfasser zu erweisen, das hernach einheitlich überarbeitet
worden ist. Da es hier nicht möglich ist, die
Analvse jedes einzelnen Briefes wiederzugeben, wähle
ich den Hauptbrief an die Philipper aus.

In etwa dreißig Versen, die sich wieder in kleinere Bruchstücke
vereinzeln, liegt vor, was Paulus zugehört. In der ersten Gruppe
(1,12 — 18) spricht er von seiner Gefangenschaft in Rom, in der zweiten
(1,25. 26) von seiner Hoffnung, daß der Prozeß gut ausgehen
werde. Die dritte (2,19-3,1 außer 2, 20 f.) beschäftigt sich mit Epa-
phroditus, die fünfte (4, 10- 22) mit einer Geldunterstützung. Am lehrreichsten
ist die vierte (4, 2—3), die sich an den Syzygos richtet. Der
Name ist, wie einst Clemens von Alexandrien und zuletzt Renan ihn
verstanden, mit „Gattin" zu übersetzen und legitimiert die zarten und
alten Beziehungen, die den Apostel einst mit der Purpurkrämerin Lydia
in Philippi verknüpften. Sucht man diese Satzstücke dann geschichtlich
zu verstehen, so ordnen sie sich wohl zwei, vielleicht auch drei verschiedenen
Briefen zu, die aus einem Zeitraum von 10 Jahren stammen.
Die Sache, die in diesen Briefen m-hr gestreift als erörtert wird, ist die
gleiche, die Paulus in anderen, zuvor freilich gereinigten Briefen als die
Sache seines Lebens und seiner Mission verkündet hatte; er „predigte den
Juden, daß die Verheißung Gottes an Abraham in Bälde durch den
Messias erfüllt werde, daß gemäß dieser Verheißung das jüdische Volk
vom römischen Joch befreit und das alte Königreich Israel wieder hergestellt
würde".

Eine zweite Reihe von Briefabschnitten ist marcionitischen Ursprunges
. Das wichtigste Stück ist der jetzt freilich kirchlich durchsetzte
Christushymnus mit der vorangehenden und nachfolgenden Paränese
(1 27—2, IS); er zeigt mit aller Deutlichkeit, die nur „Irre und
schwache Greise" mißverstehen können, daß ihr Verfasser Gegner der
Fleischwerdung Christi ist Er ist also ein Schüler Marcions: „le Christ
qui ,a par les traits l'aspect d'un homme', — so ^übersetzt der Verfasser
ohne jedes Bedenken: oy.i'jjiaTi EÜ(je0elc a>c äv&eoCTO? — repond
exactement an Christ spirituel des marcionites." Zwei weitere große
Stücke des gleichen Ursprunges stehen im 3. Kapitel (3,1b-11 und
3, 17—4, 1); endlich gehört auch der Abschnitt 4,4-9 hierher. Es ist
klar, daß sie nicht Paulus zugehören: Er, der Judenmissionar, predigt
hier Feindschaft gegen das Judentum und eine geistige Beschneidung.
Alle diese Abschnitte sind schon von einem Marcioniten mit den persönlichen
Billets des Paulus verwoben worden, um ihnen dessen Autorität
zu sichern.

Das so entstandene Schreiben ist dann in kirchlichem Sinne redigiert
worden. Die Redaktion bekundet sich in dem Christushymnus,
dessen zweiter Teil (2, 9—11) wie gelegentliche Einschiebungen im ersten
von einer subordinatianischen Christologie bestimmt sind, wie sie etwa
Justin, Clemens Alexandrinus, Tertullian, Origenes vertraten, im Gegensatz
zu der koordinatianischen des Marcion, des ersten Redaktors des
vierten Evangeliums, der ignatianischen Briefe und der römischen Gemeinde
. Eine zweite kleine Einfügung findet sich noch in 3, 20c und 21.
So läßt sich alles in allem sagen: „Der Brief an die Philipper ist eine
Abhandlung marcionitischer Theologie, in die zwei oder drei Billets des
Paulus an die Philipper eingefügt wurden, und die später durch drei
katholische Glossen neutralisiert worden ist."

•n ähnlicher Weise erklären sich die Briefe an die Thessalonicher
und die Pastoralbriefe. Ihre Entstehung ist fast durchweg so zu denken,
daß paulinische Briefchen den Anlaß gaben, marcionitische Theologie
den Gehalt zusteuert und kirchliche Theologie die entstandenen Anstöße '

beseitigt; das gilt auch für den Hebräerbrief, der zwar Marcion bekämpft,
aber nicht ohne ihm wichtige Konzessionen zu machen, und auch hier
ist wohl in 13, 24f. ein paulinisches Briefstückchen benutzt.

Alle diese oft minutiösen Untersuchungen kennen
an kaum einer Stelle ein Schwanken, den überlieferten
Bestand rücksichtslos zu zerbrechen; sie kennen auch
kaum den Zwang, für Richtigkeit der eigenen oder Unrichtigkeit
anderer Meinungen Beweise anzuführen.
Diese unbeirrbare Sicherheit verdanken sie dem ebenso
festen Dogma, daß die Geschichte des Urchristentums
nur zu begreifen sei, wenn Jesus nicht gelebt habe. Es
ist vielleicht lehrreich, unter solchem Gesichtspunkt die
Tradition der ältesten Christenheit durchzudenken: und
es ist dann auch folgerichtig, in dialektischem Dreitakt
Paulus, Marcion und etwa die ältesten kirchlichen Theologen
zu den Trägern und Förderern dieser Entwicklung
zu machen. Eine solche Betrachtung enthüllt manche
Möglichkeiten dieser ersten Geschichte, die man sonst
nicht beachtet, und deckt dort manche Schwierigkeiten
auf, wo man sich gewöhnt hat, keine Schwierigkeiten
mehr zu sehen. Aber daß sie mehr sein will als eine
gleichsam pädagogische Möglichkeit für den Historiker,
daß sie ihren dogmatischen Ansatz verhüllt und sich, wie
dieses Werk zeigt, seiner kaum noch bewußt ist, bleibt
methodenlose Willkür und zeigt an seinem Teile, daß
die gepriesene Dogmatik des Verstandes gründlicher
den Weg zur Historie versperrt als die gescholtene Dogmatik
des Glaubens.

Breslau. Ernst Lohmeyer.

Rohr, Prof. Dr. Ignaz: Die soziale Frage und das Neue Testament
. Münster i. W.: Aschendorff 1929. (HI, 66 S.) 8°. = Biblische
Zeitfragen, 13. Folge, H. 5/6. RM 1.35.
Ausgehend vom Begriff des Reiches Gottes, das als
sittliche Größe und zwar als Forderung für die nächste,
als Lohn für die fernere Zukunft und die Ewigkeit gedeutet
wird, sammelt diese Schrift diejenigen sittlichen
Weisungen des N.T., welche zu den Fragen bestehender
sozialer Verhältnisse Beziehung haben, um zu zeigen,
daß — trotz einiger Worte Jesu, „die für sich genommen
der Aufnahme in ein soziales oder sozialpolitisches Programm
[ !] Schwierigkeiten machen" — „sich die
Grundsätze einer gesunden Arbeiterpolitik (und, dürfen
wir im Sinne des Verf. hinzusetzen, überhaupt Sozialpolitik
) so ziemlich Zug um Zug im Evangelium nachweisen
lassen", und mit der Feststellung zu endigen,
daß die äußere wie die innere Politik habe zurücklenken
müssen auf die Pfade, die die Grundsätze Christi ihr gewiesen
hätten.

„Christus konnte der sozialen Frage nicht aus dem
Wege gehen" — heißt es einmal (S. 19).

Aber gab es für Jesus, gab es für das Urchristentum
überhaupt eine „soziale Frage"? Die Frage stellen
heißt sie verneinen. Es gab soziale Beziehungen und
soziale Notstände und es war ein ernstes Anliegen, zu
wissen, wie man sich in ihnen im Geiste Christi m verhalten
habe. Aber es gab keine „soziale Frage". Auch
für Paulus nicht. Gerade die Art, wie er die Sklavenfrage
behandelt, zeigt, daß sie ihm nicht eine „soziale
Frage" ist. Die „soziale Frage" beginnt erst dort, wo
die bestehende Gesellschaftsordnung zum Problem wird.
Wo wäre das im N.T. der Fall? R. meint, Jesu Mahnung
zur Barmherzigkeit habe „die Erlösung der Enterbten
, die Versöhnung zwischen Besitzenden und Besitzlosen
, die Lösung der brennendsten Frage, die es für
sie überhaupt gab", bedeutet. In Wirklichkeit beweist
gerade die Empfehlung des Almosens, daß die bestehende
Gesellschaftsordnung nicht als „soziale
Frage" empfunden wurde. Die Frage einer Umgestaltung
der gesellschaftlichen Verhältnisse besteht nicht;
oder, um mit anderen Worten dasselbe zu sagen, sie besteht
, aber nur als eine eschatologische. Das Urchristentum
ist Religion, eschatologische Religion. Es handelt
sich um das Verhältnis zu Gott. Dadurch sind zunächst
alle anderen Fragen völlig enttont, außer sofern es sich